Sonntagsblatt 3/2019 | Page 8

Wieder die Siebenbürger - zum Stellenwert der (Groß-) Muttersprache Von Richard Guth tschangomadjarischer Verwandtschaft, dem die Angelegenheit etwas peinlich erschien. Er sagte, dies sei eine Entscheidung des Pfarrgemeinderates mit überwiegend ungarndeutschen Mit- gliedern gewesen. Den Wert der eigenen (Groß-) Muttersprache erkennen – dies scheint anderswo und nicht nur in Siebenbürgen eine Selbstver- ständlichkeit zu sein, auch wenn es in vielen Fällen mit Mühen und Kampf verbunden ist. Nur in unserem kleinen Lande fällt es vielen schwer - aus welchem Grund auch immer - den Wert der eigenen (Groß-) Muttersprache zu erkennen. Oft bedürfte es aber des Schrittes, die eigene Komfortzone zu verlassen, wie unser Coredakteur Patrik Schwarcz-Kiefer in den letzten Mona- ten in mehreren Beiträgen forderte. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Frage der Pfarrerin ruhig mal als eine rhetorische ver- standen werden. Wieder die Siebenbürger (auch wenn es angesichts der Tatsa- che, dass es im Weiteren auch um Menschen mit Banater und tschangomadjarischen Wurzeln gehen wird, um eine nicht sach- gemäße Sammelbezeichnung handelt) – dachte ich mir, als ich beim Surfen im Facebook auf einen Beitrag der Pfarrerin der Ver- einigten Evangelischen Pfarrgemeinden Wandorf/Sopronbánfal- va und Agendorf/Ágfalva, Eszter Heinrich, aufmerksam wurde. Die Pfarrerin war mit einer kleinen Delegation in Mediasch zu Gast, wo die Berliner Evangelische Akademie eine Konferenz veranstaltete. Die Pfarrerin berichtete auf der Seite der Kirchen- gemeinde im Ödenburger Land über ihre Eindrücke, den Pro- zess der Neuordnung der siebenbürgischen evangelischen Ge- meinden nach dem Exodus in der Wende- und Vorwendezeit, über die Bedeutung der Diasporaarbeit, wo sich Pfarrer des Me- diascher Kirchenbezirkes sams- und sonntags mit Kleinbussen auf den Weg machen, um Gemeindemitglieder abzuholen und an einen Ort zu bringen, wo sie gemeinsam Gottesdienst feiern, und über die Aktivitäten der Medischer Gemeinde mit Bibelstun- den und Brotbacken. Der Bericht endet mit einer bemerkenswer- ten Pointe: Im Gespräch mit Mediascher Gemeindemitgliedern erzählten diese, sie würden dank eines früheren Besuchs Öden- burg und Umgebung kennen – nur eins würden sie nicht ver- stehen: Warum die dortigen Deutschsprachigen und -stämmigen nur mit den Österreichern deutsch sprechen, aber untereinander nicht?! Pfarrerin Heinrich stellt daraufhin die Frage, ob diese be- rechtigt sei. Wieder die Siebenbürger, denn in diesem Jahr haben wir bereits über einen ähnlichen Fall unter siebenbürgischer, genauer Ba- nater Beteiligung berichtet. Ein Banater Madjare wunderte sich (und äußerte diese Verwunderung offen), warum sich die Un- garndeutschen nicht ihrer Muttersprache bedienen würden. Als Beleg erzählte er von einem Besuch im deutschen Gymnasium des Ortes, wo er feststellen musste, dass die Pausengespräche alles andere als deutsch geprägt seien. Selbst in den dunkelsten Jahren der kommunistischen Diktatur hätte man sich nicht neh- men lassen, in der Öffentlichkeit ungarisch zu sprechen, in der Schule sowieso, so der Zeitzeuge aus dem Banat. Und wieder diese Siebenbürger oder in diesem Falle Tschan- go-Madjaren: Es geschah vor vielen Jahren, aber die Erinnerung daran ist immer noch hellwach: Eine katholische Gemeinde mit vielen ungarndeutschen Mitgliedern in der Nähe der ungari- schen Hauptstadt – hoher Besuch hat sich angekündigt, zur Glo- ckeneinweihung: Der - mittlerweile verstorbene - Herr Bischof höchstpersönlich - der bekanntlich über gute Deutschkenntnis- se verfügte – zelebrierte die Messe und las sie aber dennoch auf Ungarisch. Nach der Messe fragte ich den Ortspfarrer mit 8 Wir sind doch Donauschwaben! Von Patrik Schwarcz-Kiefer Man streitet und diskutiert darüber seit langem, ob die Ungarn- deutschen sich Donauschwaben nennen sollten oder nicht (hier geht‘s natürlich nicht um die in Westungarn verbliebene Heanzen, sondern um die „wahren“ „Schwaben“, die nach den Türkenkrie- gen im Königreich Ungarn angesiedelt wurden). In der letzten Zeit scheint es so, dass dieser Begriff aus der ungarndeutschen Um- gangssprache gänzlich verschwindet. Eine große Ausnahme ist, wenn der Weltdachverband der Donauschwaben sein Welttreffen in Ungarn organisiert. Jugendliche und ältere Jugendliche aus der ganzen Welt (vor allem aus den USA, Kanada und Brasilien) nehmen an dieser zweiwöchigen Veranstaltung teil um das Leben und die Kultur ihrer Vorfahren kennen lernen zu können. Ich hat- te auch die Gelegenheit, mich nur für paar Stunden dieser Grup- pe anzuschließen; und diese Erfahrung werde ich nie vergessen. In Bohl/Bóly und dann in Taks/Taksony konnte ich mich mit den Teilnehmern ein bissl unterhalten - alle antworteten auf die Fra- ge „Wie identifizierst du dich?“ mit „Donauschwabe“ - manch- mal auf Englisch (der Sprachverlust ist nicht nur für uns ein Problem), manchmal mit amerikanischem Akzent. Und wenn junge Erwachsene in meinem Alter, z. B. aus Chicago, das- selbe tun, beginnt man sich Gedanken zu machen: Wie zum Teufel kann es sein, dass nach fast einem Jahrhundert Nach- fahren donauschwäbischer Familien, die teilweise auf dem Ter- ritorium des heutigen Ungarns lebten, sich für Donauschwa- ben halten, und diejenigen, die geblieben sind, nicht mehr. Diese Selbstabgrenzung, die sich in den letzten Jahrzehnten voll- zog, hatte zur Folge, dass man sich im Mutterland schwertut sich als (Ungarn-) Deutscher zu präsentieren. Der Begriff “ungarn- deutsch” bedeutet für den Durschnittsbundesdeutschen nichts, das gilt auch für Österreicher. Wenn man aber „Donauschwa- be” sagt, wird plötzlich auch für diejenigen verständlicher, wo wir hingehören, woher wir kommen, die die Geschichte des Aus- landsdeutschtums/Volksdeutschtums nur oberflächlich kennen. Die historische Verantwortung unserer Generation in diesem Sinne ist also, dass wir uns klar machen: Der größte Teil der Ungarndeutschen gehört zum Donauschwabentum. Es gibt im- mer mehr Initiativen, z.B. die Kooperation des Landesrats und des Weltdachverbandes, wodurch Tanzgruppen aus Ungarn in den USA vor US-Donauschwaben auftreten, oder der immer aktivere Austausch zwischen den Banater Schwaben und dem Hartianer GJU-Freundeskreis. Der erste wichtige Schritt ist, dass SoNNTAGSBLATT