Sonntagsblatt 3/2019 | Page 22

bestätigt sich. Georg Kramm wuchs in der Branauer Gemeinde auf, die bekannt ist nach dem Blaufärberfestival (dazu ein Bei- trag von Patrik Schwarcz-Kiefer in dieser Ausgabe), das jährlich stattfindet, und der Kirche, die zur Zeit der Herrschaft von Maria Theresia erbaut wurde. „In meiner Kindheit wohnten mehrere Generationen zusammen. Wir haben zu Hause deutsch ge- sprochen, was eine gute Basis für meinen späteren Werdegang schuf. In der Grundschule von Großnaarad hatten wir neben Deutsch- auch Russischunterricht gehabt. Meine Großeltern tru- gen bis zu ihrem Tod die Großnaarader Volkstracht. Mitglieder meiner Familie und nahe Verwandte haben es geschafft, nach der Vertreibung wieder heimzukommen. Unsere Nachbarn hat- ten oft deutsche Gäste zu Besuch – ich sehe es immer noch, wie ich am Bach, der durch das Dorf fließt, beim Spielen die Entchen bewachte, während ich die Quelle-Kataloge der deutschen Gäs- te durchblätterte. Ich war begeistert von den schönen Waren und den bunten Seiten”, erinnert sich der Mohatscher Unternehmer. Nach seinen Erinnerung wurde womöglich in diesem Moment der Entschluss gefasst, den Textilberuf zu ergreifen. Nach der Ausbildung in Fünfkirchen kam Georg Kramm durch Heirat nach Mohatsch, wo er mit 25 im Warenhaus „Duna” Leiter der Me- ter- und Heimtextilienabteilung wurde. Nach Geburt der beiden Söhne David und Martin folgten einschneidende Veränderungen im Leben der Familie – wir schreiben das Jahr 1990/91: Georg Kramm startete sein Familienunternehmen „Gabardin Meterwa- ren-Heimtextilien”. Auch das Geschäftslokal konnte im Zuge der Privatisierungswelle, die über das Land rollte, erworben werden. „Es war ein Traum von meiner Frau und mir, dass auf dem Fir- menschild „Vater und Sohn” steht. Dies wurde erst etwas später Realität, denn unser Sohn Martin stieg ins Geschäft ein, wäh- rend unser anderer Sohn David Autohändler in Budapest wur- de”, berichtet der Firmeninhaber. Bald erschienen in der Stadt - nach seinen Erinnerungen – die internationalen Firmen und die so genannten „chinesischen” Geschäfte, sodass immer weniger Leute Meterwaren bei ihnen kauften und die Näherinnen ins Aus- land gingen, um Kranke zu pflegen. Für ihn Zeit zum Wechsel: „Danach haben wir angefangen größeren Wert auf den Verkauf von Heimtextilien zu legen – dabei bieten wir einen kompletten Service von der Abnahme der Maße über das Nähen bis hin zum Anbringen der Gardinen. Zum Glück nehmen immer mehr Menschen diesen Service in Anspruch”, berichtet Kramm. „Vor etwa 12 Jahren habe ich auf einer Fachmesse in Frankfurt einen deutschen Gardinenhersteller kennen gelernt, zu einer Zeit, in der der ungarische Markt von Produkten türkischer und fernöst- licher Hersteller regelrecht überschwemmt wurde. Der deutsche Hersteller steht für gute Qualität – sie vertreiben Gardinen, Ver- dunkelungsvorhänge und andere Accessoires. Sie laden uns jedes Jahr zur Fachmesse ein, wo wir die neuesten Produkte und Trends kennen lernen können. Die Zufriedenheit der Kunden zeigt, wenn sie sagen: „Gyuri, die Vorhänge an meinem Fens- ter sehen aus wie früher im Quelle-Katalog!” In Mohatsch und Umgebung entstehen immer mehr neue Arbeitsplätze, so steigt nach meinem Eindruck die Nachfrage nach schönen und hoch- wertigen Heimtextilien”, so der Seniorchef. Inzwischen ist auch der Traum der Eheleute in Erfüllung gegan- gen: 2017 übernahm Sohn Martin die Leitung des Geschäfts. Die größte Herausforderung sieht Georg Kramm in dem Online-Han- del, der immer mehr an Bedeutung gewinnt, auch in der unga- rischen Provinz. Es werde nach einer gewissen Zeit notwendig, einen Webshop zu eröffnen. Nach 28 Jahren als Unternehmer für ihn nichts Ungewöhnliches, denn man müsse sich stets wei- terentwickeln, was er aber in der Zukunft gerne der Jugend über- lassen möchte. Für ihn steht jetzt was anderes auf der Agenda: das Bewirtschaften des eigenen Weinguts in Großnaarad. „Ich möchte, dass meine Enkel selbst angebautes, gesundes und le- ckeres Obst essen können”, wünscht sich der 62-Jährige. 22 Ansichten - Einsichten s mein (ungarn-) deutschtum (31) Der angehende Ingenieur Armin Stein über die Herausforderungen einer modernen ungarndeutschen Identität Ich bin aktuell Ingenieurstudent in Budapest, komme jedoch aus dem Tolnaer Teil der Schwäbischen Türkei. Meine Muttersprache ist Hochdeutsch - auch wenn ich als Kleinkind noch Kontakt zur Mundart hatte, ist dieser über die Jahre verloren gegangen. Das Ungarische habe ich während meiner Zeit im Kindergarten er- lernt, weshalb ich sie quasi als zweite Muttersprache spreche, jedoch benutzte ich sie, besonders seitdem ich von zu Hause weggezogen bin, weitaus häufiger als Deutsch. Mein Verhältnis zum Ungarndeutschsein lässt sich am besten über die prägenden Erlebnisse meines Lebens erklären, die maßgeblich beeinflusst haben, wie ich mich und meine Um- gebung wahrnehme. Als Kleinkind war es für mich selbstver- ständlich deutsch zu sprechen, jedoch im Moment, wo ich die Türschwelle meines einstigen Kindergartens das erste Mal über- schritt, traf mich der erste Kulturschock meines Lebens wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich realisierte, dass die Sprache, die ich bis jetzt überall verwenden konnte, nicht universell ist, ich kam zu Schlussfolgerungen. Als Erstes verstand ich jetzt, dass ich anders war, nicht wegen meines Aussehens oder meiner Ge- wohnheiten, sondern weil ich eine andere Sprache sprach. Mei- ne zweite Konsequenz war, dass ich diese Lücke so schnell wie möglich schließen musste, wenn ich nicht den Großteil meiner Zeit am Rande des sozialen Geschehens verbringen wollte, wes- halb ich recht motiviert war Ungarisch zu lernen. Nachdem ich die wahrlich nicht einfachen Kindergartenjahre hin- ter mir hatte und in die Grundschule kam, folgte der zweite große Schritt meiner Identitätsbildung. Ich besuchte eine Nationalitä- tenklasse, und verstand, dass es nicht schlimm ist, dass meine Muttersprache eine andere ist, zwar war ich immer noch der Ein- zige, der Deutsch von zu Hause aus mitbrachte, jedoch sah ich das erste Mal die Vorteile meiner Sprachkenntnisse. Zu dieser Zeit entwickelte sich auch ein anderer Aspekt meiner Identität, und zwar dass auch die Geschichte und Bräuche mei- ner Familie anders waren. Die Geschichten von „damals“, die mir meine Großmutter erzählte, und mein stetig wachsendes his- torisches Wissen haben mir langsam klargemacht, was meine Herkunft ist und was im heutigen Ungarn als „ungarndeutsch“ betrachtet wird. Nachdem ich meinen Werdegang kurz geschildert habe, muss ich eine wichtige Sache loswerden, eine, die meines Erachtens in der heutigen ungarndeutschen Szene eher unpopulär ist. Mich interessiert weder Volkstanz noch Volksmusik, ich trage keine Tracht und finde Hochdeutsch viel sympathischer als die ver- schiedenen Mundarten. Aber bitte nicht falsch verstehen, mir ist die Erhaltung meiner Nationalität ungemein wichtig. Ich fin- de, es steht der jungen Generation der Ungarndeutschen kein modernes Nationalitätenbild zur Verfügung. Gefühlt endet das Minderheitendasein beim Tanzunterricht, mit dem letzten Tanz des Schwabenballs oder mit den ersten vier Worten einer jeden Rede. Meine vorherigen Bemerkungen konstruktiv-kohärent for- muliert lässt sich sagen, dass es keine populären Medien (Maga- zine, Webseiten, Videos, Vlogs, Social-Media-Konten usw.) auf Deutsch erreichbar sind, die zwar einen Nationalitäten-Hinter- grund haben, jedoch modern-populäre Themen behandeln. SoNNTAGSBLATT