bestätigt sich. Georg Kramm wuchs in der Branauer Gemeinde
auf, die bekannt ist nach dem Blaufärberfestival (dazu ein Bei-
trag von Patrik Schwarcz-Kiefer in dieser Ausgabe), das jährlich
stattfindet, und der Kirche, die zur Zeit der Herrschaft von Maria
Theresia erbaut wurde. „In meiner Kindheit wohnten mehrere
Generationen zusammen. Wir haben zu Hause deutsch ge-
sprochen, was eine gute Basis für meinen späteren Werdegang
schuf. In der Grundschule von Großnaarad hatten wir neben
Deutsch- auch Russischunterricht gehabt. Meine Großeltern tru-
gen bis zu ihrem Tod die Großnaarader Volkstracht. Mitglieder
meiner Familie und nahe Verwandte haben es geschafft, nach
der Vertreibung wieder heimzukommen. Unsere Nachbarn hat-
ten oft deutsche Gäste zu Besuch – ich sehe es immer noch, wie
ich am Bach, der durch das Dorf fließt, beim Spielen die Entchen
bewachte, während ich die Quelle-Kataloge der deutschen Gäs-
te durchblätterte. Ich war begeistert von den schönen Waren und
den bunten Seiten”, erinnert sich der Mohatscher Unternehmer.
Nach seinen Erinnerung wurde womöglich in diesem Moment
der Entschluss gefasst, den Textilberuf zu ergreifen. Nach der
Ausbildung in Fünfkirchen kam Georg Kramm durch Heirat nach
Mohatsch, wo er mit 25 im Warenhaus „Duna” Leiter der Me-
ter- und Heimtextilienabteilung wurde. Nach Geburt der beiden
Söhne David und Martin folgten einschneidende Veränderungen
im Leben der Familie – wir schreiben das Jahr 1990/91: Georg
Kramm startete sein Familienunternehmen „Gabardin Meterwa-
ren-Heimtextilien”. Auch das Geschäftslokal konnte im Zuge der
Privatisierungswelle, die über das Land rollte, erworben werden.
„Es war ein Traum von meiner Frau und mir, dass auf dem Fir-
menschild „Vater und Sohn” steht. Dies wurde erst etwas später
Realität, denn unser Sohn Martin stieg ins Geschäft ein, wäh-
rend unser anderer Sohn David Autohändler in Budapest wur-
de”, berichtet der Firmeninhaber. Bald erschienen in der Stadt
- nach seinen Erinnerungen – die internationalen Firmen und die
so genannten „chinesischen” Geschäfte, sodass immer weniger
Leute Meterwaren bei ihnen kauften und die Näherinnen ins Aus-
land gingen, um Kranke zu pflegen. Für ihn Zeit zum Wechsel:
„Danach haben wir angefangen größeren Wert auf den Verkauf
von Heimtextilien zu legen – dabei bieten wir einen kompletten
Service von der Abnahme der Maße über das Nähen bis hin
zum Anbringen der Gardinen. Zum Glück nehmen immer mehr
Menschen diesen Service in Anspruch”, berichtet Kramm. „Vor
etwa 12 Jahren habe ich auf einer Fachmesse in Frankfurt einen
deutschen Gardinenhersteller kennen gelernt, zu einer Zeit, in
der der ungarische Markt von Produkten türkischer und fernöst-
licher Hersteller regelrecht überschwemmt wurde. Der deutsche
Hersteller steht für gute Qualität – sie vertreiben Gardinen, Ver-
dunkelungsvorhänge und andere Accessoires. Sie laden uns
jedes Jahr zur Fachmesse ein, wo wir die neuesten Produkte
und Trends kennen lernen können. Die Zufriedenheit der Kunden
zeigt, wenn sie sagen: „Gyuri, die Vorhänge an meinem Fens-
ter sehen aus wie früher im Quelle-Katalog!” In Mohatsch und
Umgebung entstehen immer mehr neue Arbeitsplätze, so steigt
nach meinem Eindruck die Nachfrage nach schönen und hoch-
wertigen Heimtextilien”, so der Seniorchef.
Inzwischen ist auch der Traum der Eheleute in Erfüllung gegan-
gen: 2017 übernahm Sohn Martin die Leitung des Geschäfts. Die
größte Herausforderung sieht Georg Kramm in dem Online-Han-
del, der immer mehr an Bedeutung gewinnt, auch in der unga-
rischen Provinz. Es werde nach einer gewissen Zeit notwendig,
einen Webshop zu eröffnen. Nach 28 Jahren als Unternehmer
für ihn nichts Ungewöhnliches, denn man müsse sich stets wei-
terentwickeln, was er aber in der Zukunft gerne der Jugend über-
lassen möchte. Für ihn steht jetzt was anderes auf der Agenda:
das Bewirtschaften des eigenen Weinguts in Großnaarad. „Ich
möchte, dass meine Enkel selbst angebautes, gesundes und le-
ckeres Obst essen können”, wünscht sich der 62-Jährige.
22
Ansichten - Einsichten
s
mein (ungarn-) deutschtum (31)
Der angehende Ingenieur Armin Stein über die
Herausforderungen einer modernen ungarndeutschen
Identität
Ich bin aktuell Ingenieurstudent in Budapest, komme jedoch aus
dem Tolnaer Teil der Schwäbischen Türkei. Meine Muttersprache
ist Hochdeutsch - auch wenn ich als Kleinkind noch Kontakt zur
Mundart hatte, ist dieser über die Jahre verloren gegangen. Das
Ungarische habe ich während meiner Zeit im Kindergarten er-
lernt, weshalb ich sie quasi als zweite Muttersprache spreche,
jedoch benutzte ich sie, besonders seitdem ich von zu Hause
weggezogen bin, weitaus häufiger als Deutsch.
Mein Verhältnis zum Ungarndeutschsein lässt sich am besten
über die prägenden Erlebnisse meines Lebens erklären, die
maßgeblich beeinflusst haben, wie ich mich und meine Um-
gebung wahrnehme. Als Kleinkind war es für mich selbstver-
ständlich deutsch zu sprechen, jedoch im Moment, wo ich die
Türschwelle meines einstigen Kindergartens das erste Mal über-
schritt, traf mich der erste Kulturschock meines Lebens wie ein
Blitz aus heiterem Himmel. Ich realisierte, dass die Sprache, die
ich bis jetzt überall verwenden konnte, nicht universell ist, ich
kam zu Schlussfolgerungen. Als Erstes verstand ich jetzt, dass
ich anders war, nicht wegen meines Aussehens oder meiner Ge-
wohnheiten, sondern weil ich eine andere Sprache sprach. Mei-
ne zweite Konsequenz war, dass ich diese Lücke so schnell wie
möglich schließen musste, wenn ich nicht den Großteil meiner
Zeit am Rande des sozialen Geschehens verbringen wollte, wes-
halb ich recht motiviert war Ungarisch zu lernen.
Nachdem ich die wahrlich nicht einfachen Kindergartenjahre hin-
ter mir hatte und in die Grundschule kam, folgte der zweite große
Schritt meiner Identitätsbildung. Ich besuchte eine Nationalitä-
tenklasse, und verstand, dass es nicht schlimm ist, dass meine
Muttersprache eine andere ist, zwar war ich immer noch der Ein-
zige, der Deutsch von zu Hause aus mitbrachte, jedoch sah ich
das erste Mal die Vorteile meiner Sprachkenntnisse.
Zu dieser Zeit entwickelte sich auch ein anderer Aspekt meiner
Identität, und zwar dass auch die Geschichte und Bräuche mei-
ner Familie anders waren. Die Geschichten von „damals“, die
mir meine Großmutter erzählte, und mein stetig wachsendes his-
torisches Wissen haben mir langsam klargemacht, was meine
Herkunft ist und was im heutigen Ungarn als „ungarndeutsch“
betrachtet wird.
Nachdem ich meinen Werdegang kurz geschildert habe, muss
ich eine wichtige Sache loswerden, eine, die meines Erachtens
in der heutigen ungarndeutschen Szene eher unpopulär ist. Mich
interessiert weder Volkstanz noch Volksmusik, ich trage keine
Tracht und finde Hochdeutsch viel sympathischer als die ver-
schiedenen Mundarten. Aber bitte nicht falsch verstehen, mir
ist die Erhaltung meiner Nationalität ungemein wichtig. Ich fin-
de, es steht der jungen Generation der Ungarndeutschen kein
modernes Nationalitätenbild zur Verfügung. Gefühlt endet das
Minderheitendasein beim Tanzunterricht, mit dem letzten Tanz
des Schwabenballs oder mit den ersten vier Worten einer jeden
Rede. Meine vorherigen Bemerkungen konstruktiv-kohärent for-
muliert lässt sich sagen, dass es keine populären Medien (Maga-
zine, Webseiten, Videos, Vlogs, Social-Media-Konten usw.) auf
Deutsch erreichbar sind, die zwar einen Nationalitäten-Hinter-
grund haben, jedoch modern-populäre Themen behandeln.
SoNNTAGSBLATT