Sonntagsblatt 3/2019 | Page 17

einfacher aus dem ungarischen staatlichen Schulsystem aus- steigen als andere. Kostenloser Spracherwerb? Wie kann man den Sohnemann an einer ausländischen Schule anmelden, in welcher Jahrgangsstufe ist ein Wechsel sinnvoll? Und wieviel kostet es? Levente startet jeden Morgen um halb sieben, um von Sárvár zuerst mit dem Überlandbus nach Steinamanger zu fahren und dann mit dem Schulbus weiterzufahren. Kindern aus anderen Regionen des Landes könnte es komisch vorkommen, dass die Kinder hier an jedem Schultag zweimal die Grenze passieren: Um acht Uhr sitzen sie bereits in österreichischen Schulbänken. An der Grenze zu Österreich ist das aber ein gewohntes Bild: Allein aus Steinamanger befördern täglich drei Sonderfahrten die ungarischen Kinder nach Oberwart und in noch ein paar andere, nahe gelegene burgenländische Gemeinden. „Die deutschen Gedächtnisübungen waren anfangs schwer, aber man gewöhnt sich daran. Die Atmosphäre an der Schule ist viel besser dort”, erzählt die Familie von Levente. Der Junge aus dem Jahrgang 6 kommt um halb sechs abends nach Hause, danach stehen Solfeggio und Trompetenunterricht auf dem Pro- gramm, trotzdem geht er gerne auf die österreichische Schule. Seine Mutter sagt: „So lächelt er immer noch viel mehr als die Kinder, die im ungarischen Schulsystem gegängelt werden.” Die Familie stellt sich bereits in Österreich die Zukunft des Kin- des vor: Levente soll nach der Volksschule eine musikalische Richtung einschlagen, aber auf jeden Fall in Österreich. Etwa 2000 Kinder aus Ungarn könnten in Österreich zur Schu- le gehen. Genaue Angaben findet man keine, da keine solchen Statistiken existieren, aber man kann aus den burgenländischen Statistiken Rückschlüsse ziehen. Der Großteil dieser ungari- schen Kinder pendelt: Es gibt welche, die eine österreichische Meldeadresse haben (warum es sinnvoll ist, dazu später mehr), bei einem Teil ist Ungarn aber noch der Mittelpunkt des Lebens- interesses. Das so genannte schulische Pendeln (ung. tanulá- si ingázás) ist in der Umgebung von Steinamanger besonders bestimmend: Die Grenze liegt wenige Minuten entfernt und in Österreich gibt es viele kleine Gemeinden, für die es wichtig ist, dass die Volksschule erhalten bleibt. Die neu eingeschulten un- garischen Schüler kommen da gelegen. „Es gibt sehr viele solche Familien, die den Entschluss fassen, ihre Kinder nicht auf eine Schule in Ungarn zu schicken, sondern in Österreich. Anfangs meinte ich den Charakter einer Mode- erscheinung erkannt zu haben, aber dann bin ich auf der Straße und in meinem Bekanntenkreis immer mehr Leuten aus diesen Familien begegnet und ich war interessiert an ihren Erfahrun- gen”, sagt Judit Buchwald-Langer, Hochschuloberassistentin an der Fakultät für Pädagogik und Psychologie der Loránt-Eöt- vös-Universität in Steinamanger (ELTE PPK). Die Bildungs- forscherin hat über das Phänomen eine Monographie verfasst – ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass das Hauptmotiv der ungarischen Eltern der Spracherwerb ist. Sie sind mit dem Niveau des ungarischen Fremdsprachenunter- richts sehr unzufrieden und sehen, dass selbst Kinder, die einen Fremdsprachenklassenzug besuchen, kaum bereit sind, die Sprache aktiv zu benutzen. Die Eltern bringen deswegen die Kin- der in einem muttersprachlichen Milieu unter, wo sie sich neben Hochdeutsch auch den lokalen Dialekt aneignen und darüber hinaus scheint in Österreich auch der Englisch-Fremdsprachen- unterricht effektiver zu sein. Das ferne Ziel scheint zu sein, dass das Kind dort eine Arbeit findet - mit perfekten Sprachkenntnis- sen, dortigem Abschluss und dortiger Berufsausbildung. „Hier ist der Fremdsprachenunterricht effektiver. In Ungarn ist der Unterricht der math.-naturwissenschaftlichen Fächer stärker, aber ich glaube, später werden meine Kinder nicht davon profi- tieren, sondern von ihren Fremdsprachenkenntnissen”, so einer der interviewten Elternteile zu Judit Buchwald-Langer. SoNNTAGSBLATT Weniger Stoff, weniger Stress Die PISA-Ergebnisse der österreichischen Kinder sind besser als die der ungarischen, wohlgemerkt ist der Unterschied nicht gewaltig. Nach Meinung ihrer Befürworter zeichnet sich die ös- terreichische Schule durch weniger lexikalisches Wissen, eine viel praxisorientiertere Ausbildung, innovativere pädagogische Methoden und mehr kinderorientierte Lehrer aus und erzieht außerdem zum Leben, mit einem starken Fremdsprachenunter- richt. Die ungarischen Eltern betrachten die geringere Erwartung an lexikalisches Wissen auch nicht als Nachteil, sondern beto- nen, dass man nicht so viel Unnützes lerne wie im ungarischen Schulsystem. „Dort gibt es dieses Verkrampfte nicht, nichts, weswegen sich das Kind unter Druck setzen würde. Es gibt keine unangekün- digten Tests. Die Arbeiten werden rechtzeitig angekündigt und eingetragen und wir leben unser Leben seelenruhig. Es inter- essiert nicht das, was du nicht kannst, sondern was du kannst”, berichtete ein Elternteil über seine Erfahrungen. Von den drei Kindern von Andrea gehen zwei in Österreich zur Schule. Zu Hause haben sie zuerst eine deutsche Nationalitä- tenschule ausprobiert, aber mit ihr waren sie nicht glücklich, in der Jahrgangsstufe 6 hat der Junge das Jahr in Österreich wie- derholt. „Obwohl er in Ungarn eine deutschsprachige Schule be- sucht hat, sagte er in Österreich in den ersten drei Monaten kein Wort. Aber er sog die Sprache auf wie ein Schwamm.” Andrea hat die Erfahrung gemacht, dass man an der österreichischen Schule für alles Zeit und keine 500 Seiten lange Bücher hat, jeder kann nach seinem eigenen Tempo arbeiten. Ihr gefiel es nach eigenen Angaben auch, dass man die Umweltkunde- und Biologiestunden oft draußen in der Natur hält und es viele thema- tische Tage und Projektarbeit gibt. „Sie lernen nicht so viel Unsinniges und stressfrei.” Ihre Kinder setzten ihre schulische Karriere auch nach der Volks- schule in Österreich fort: Der Junge lernt BWL in Wien, das Mädchen in Graz Übersetzen-Dolmetschen. Ihrer Ansicht nach werden sie ganz bestimmt in Österreich arbeiten. Andrea sagt, dass sie sie auch nicht mehr heimlassen würde, wenn es auf sie ankäme. Die Eltern stellen sich in der Regel die ganze schulische Karriere ihres Kindes in Österreich vor. Anfangs ist es noch häufig so, dass das Kind zu Hause als Privatschüler die Feststellungsprü- fungen absolviert, nach ein-zwei Jahren gibt das die Mehrheit jedoch auf. Die Eltern sind der Ansicht, dass die Kinder eh nicht mehr in das ungarische Schulsystem zurückkehren würden. Aber nicht jedermanns Rechnung geht auf. Es gibt solche Kinder, die nach der achten Klasse zurückkehren, denn es war nach ihrer Ansicht in Österreich schwerer oder sie haben es ausprobiert und es war genug – das ist aber der seltenere Fall. Zügel ziehen auf österreichische Art Die an den Umfragen beteiligten Eltern haben in der Regel posi- tive Erfahrungen, die Mehrheit spürt nach eigenem Bekunden keine Diskriminierung. Sie sagen, dass das Verhältnis zu den ös- terreichischen Kindern an den meisten Orten gut sei, aber man berichtet auch von Ausnahmen. In Eberau hilft uns ein ungari- sches Mädchen und erzählt, dass das Verhältnis zu den Einhei- mischen, die die Parallelklasse besuchen, nicht so gut sei. An einer anderen Schule gibt es auch solche Eltern, die meinen, dass „ein-zwei Lehrer, die die Ungarn nicht mögen, die Öster- reicher bevorzugt behandeln und die Ungarn unterdrücken” und dass unter den Kindern natürliche Rivalitäten vorkommen wür- den – beispielsweise bei der Fußball-EM, als es nicht gern gese- hen wurde, dass nach der Niederlage Österreichs gegen Ungarn ein ungarischer Schüler mit einer Rot-Weiß-Grün-Fanschminke die Klasse betrat. (Fortsetzung auf Seite 18) 17