Sonntagsblatt 3/2019 | Page 13

mit ihr ein positives, auf Kompromiss bedachtes Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs zu suchen, überhaupt erst den dritten Partner ins Spiel brachte, nämlich Deutschland als Schutzmacht seiner konationalen Minderheit in Ungarn. Die nun- mehr intensivierte Patronagerolle Deutschlands, von dem sich die ungarischen Politiker als Bündnispartner zugleich den revi- sionspolitischen Durchbruch erwarteten, war tatsächlich neu. Da die Revision von Trianon das oberste Ziel jeglicher ungarischer Politik dieser Epoche darstellte, konnten die ungarischen Politi- ker zwar den Volksbund innenpolitisch nach Kräften bekämpfen, worauf sie auch viel Energie verwandten, außenpolitisch jedoch mussten sie ihn akzeptieren. Das hieß von den bislang ange- wendeten Methoden der Unterdrückung, des gegenseitigen Aus- spielens konkurrierender Kräfte und der Kriminalisierung ihrer „radikalen“ Anführer Abschied zu nehmen. Dieses widersprüch- liche Verhalten der ungarischen verantwortlichen Politiker - in- nenpolitisch das zu bekämpfen, was man aus außenpolitischen Gründen akzeptieren musste - lässt sich gleich auf zwei Per- zeptionslücken oder Realititätsverweigerung zurückführen. Die eine Perzeptionslücke betraf Deutschlands und seine Rolle als Patronagestaat, die zweite die Minderheitenproblematik im All- gemeinen. Es gab in Ungarn seit den 1870er Jahren kein die Minderheiten bejahendes minderheitenpolitisches Konzept, es gab nur den fortgesetzten Versuch, Minderheiten durch Assimilation oder Unterdrückung - d.h. freiwillig oder zwangsweise - in den auf Homogenität bedachten Nationalstaat zu integrieren. Das seit 1920 im Hinblick auf die Existenz konationaler Minderheiten in den Nachbarstaaten vom Horthy-Regime geheuchelte Interesse für Minderheitenschutz sollte darüber hinwegtäuschen, dass die- sen konationalen Minderheiten nur die Rolle eines Instruments für die Durchsetzung der Revisionspolitik des Mutterlandes vor- behalten war, d.h. auch für diese konationalen Minderheiten war von Budapest keine Regelungskompetenz im Sinne eines Min- derheitenschutzes zu erwarten, weil jegliche eine solche Rich- tung einschlagende Idee oder gar Konzeption - im Unterschied beispielsweise zum zeitgenössischen Estland - als politische Konsequenz des „Diktats von Trianon“ von vornherein abgelehnt wurde. Ungarn hatte sich dadurch im Teufelskreis seiner als alternativlos angesehenen Revisionspolitik gefangen und nahm selbstzerstö- rerisch jegliche Negativwirkung dieser Politik in Kauf. Schon Hol- ger Fischer hat in seiner kritischen Beurteilung der ungarischen Außenpolitik dieser Periode darauf hingewiesen, dass „sich Un- garn aufgrund bestimmter politischer Axiome selbst in eine Situ- ation hineinmanövriert hat, in der es nicht mehr über seine Politik frei bestimmen konnte“. Dazu gehörte auch die Rolle Deutsch- lands als Schutzmacht für die deutsche Minderheit in Ungarn. Einer durchaus nachvollziehbaren Logik folgend interpretierten die ungarischen Politiker die deutsche Schutzmachtrolle ähnlich den Denkmustern über die eigene Rolle des ungarischen Staa- tes gegenüber seinen Konationalen in den Nachbarländern. Das heißt, sie unterstellten Deutschland die Zielvorgabe einer Instru- mentalisierung der deutschen Minderheit wie sie selbst eine sol- che auch für ihre konationale Minderheit in den Nachbarländern programmiert hatten. Das war im Prinzip gar nicht so falsch, nur inhaltlich irreführend, so beispielsweise die häufig geäußerte Be- fürchtung, die deutsche Minderheit könnte als Instrument für ei- nen Anschluss Transdanubiens an das Deutsche Reich dienen. Fehl am Platz war jedoch die Selbstüberschätzung der eigenen Kräfte, die offenbar von der Überzeugung getragen war, man könnte im eigenen Land verhindern, was man am Verhandlungs- tisch als Tauschgeschäft für die Revision gebilligt hatte. Das deutsche Machtpotential und die Entschlossenheit, dieses politisch einzusetzen, haben viele ungarische Politiker dieser Zeit unterschätzt. Dass dies als Gefahr rechtzeitig jedoch auch wahrgenommen wurde, belegt beispielsweise die von István Be- thlen an Horthy gerichtete Denkschrift vom Januar 1939, in der er vor einem deutschen Übergewicht warnte, oder die harsche, allerdings rassistisch argumentierende Kritik von Dezsö Szabó, der bereits 1935 Hitlerdeutschland als eine „kontinuierliche, ele- SoNNTAGSBLATT mentare und permanent tödliche Gefahr für das Ungartum“ be- zeichnete. Im Unterschied dazu kam freilich der zu dieser Zeit bereits viel einflussreichere Begründer und Herausgeber der populären ungarischen Tageszeitung Magyar Nemzet, Sándor Pethö (1885-1940), im Dezember 1938 zu dem Schluss, dass das Dritte Reich im Gegensatz zur Habsburgermonarchie kei- ne elementare Bedrohung des ungarischen Nationalstaats dar- stellen würde, und begründete dies als Sprecher der damaligen politischen Elite des Landes wie folgt: „Die führenden Männer des Dritten Reiches betrachten und be- handeln die in ihrer Nachbarschaft befindlichen kleinen Staaten nicht mit den Ideen, Traditionen und Methoden des früheren habsburgischen Imperialismus. Das Dritte Reich will nicht ein- verleiben, will nicht mit den Methoden von Caraffa und Haynau herrschen und germanisieren in den Gebieten, die es als seinen Lebensraum ansieht.“ Nun, die Herrschafts- und Germanisierungsmethoden des Drit- ten Reiches stellten alles in den Schatten, was hier Caraffa oder Haynau zugeschrieben wurde. Diese nach dem Anschluss Ös- terreichs und der Zerschlagung der Tschechoslowakei geäußer- te Fehleinschätzung nationalsozialistischer Aggression und Ex- pansion auf ungarischer Seite führt uns zu der Frage: Welches Deutschlandbild hatten die Anhänger des Volksbundes? Selbst Bleyer hatte bereits 1933 trotz seiner Antipathie gegen den Nationalsozialismus in einer Intervention Deutschlands zu- gunsten seiner Konationalen in Ungarn den einzigen Ausweg aus der ethnopolitischen Sackgasse in Ungarn gesehen. Die Ent- wicklung im Zeitraum von 1933 bis 1938 hatte diese Erwartungs- haltung bestätigt, denn die ungarische Politik zeigte sich unfähig und auch nicht gewillt, aus der selbst geschaffenen Sackgasse einer völlig inkompetenten Minderheitenpolitik herauszufinden. Von Budapest hatte daher kein deutscher Ethnopolitiker mehr etwas zu erwarten, also richteten sich alle Hoffnungen auf Berlin. Wer Hilfe erwartet, kann sich den Luxus einer kritischen Haltung gegenüber seinem Helfer nicht unbedingt erlauben. Es gab ungarndeutsche Bauern, die für ein paar Monate als „Gastarbeiter“ in deutschen Industriebetrieben gearbeitet hat- ten. Sie kamen in der Regel mit einem sehr positiv besetzten Deutschlandbild in ihre Heimat zurück, beeindruckt insbesonde- re von sozialpolitischen Errungenschaften und dem erreichten Stand der Modernisierung in vielen Bereichen der Arbeits- und Lebenswelt. Es gab ungarndeutsche Studenten, die für ein bis zwei Semester in Deutschland studiert hatten und zusätzlich zu den Erfahrungen, die ihre bäuerlichen Landsleute nach Hause brachten, waren sie von der Idee des „Volkstums“ und der soli- darischen „Volksgemeinschaft“ begeistert. Sie waren damit poli- tisch gesehen „völkisch“ vorprogrammiert und die meisten von ihnen identifizierten solche Ideen mit dem Programm bzw. dem Gedankengut des Nationalsozialismus, den sie damit als alter- nativlose Form der politischen Umsetzung ihrer völkischen Ideen in die Praxis, ins öffentliche Leben, akzeptierten. Diesen Jungakademikern gemeinsam war eine ziemlich selek- tive Wahrnehmung des Nationalsozialismus, eingeengt auf das Bedürfnis nach ethnopolitischer Orientierung und programmati- scher Handlungsanleitung. Sie, die ja die Führungsgruppe des Volksbundes bildeten, waren idealistisch, aber nicht realistisch, autoritätsgläubig und bereit, alles in politisches Handeln umzu- setzen, was ihnen für ihren „Dienst am Volk, an ihrer Volksgrup- pe“, nützlich und wirkungsvoll erschien. Kurzum, Erwartungshal- tung und das Angebot eines politischen Organisationsmodells in Gestalt der „Volksgruppe“ waren geradezu ideale Vorausset- zungen für eine politische Instrumentalisierung des Volksbundes und seiner Führung seitens der dritten und jetzt bereits stärk-sten politischen Kraft, der Schutzmacht Deutschland. Die Solidarität der Volksgemeinschaft schloss zwar eine solche Instrumentali- sierung im Prinzip aus. Doch abgesehen von solchen ideologie- geleiteten Illusionen kam die Wahrnehmung der dahinter ver- borgenen politischen Realität zu spät, um daran noch etwas zu ändern. Die Wahrnehmung nämlich, dass die Machtorgane des Dritten Reiches, insbesondere die SS, die sich das Machtmono- (Fortsetzung auf Seite 14) 13