einfacher aus dem ungarischen staatlichen Schulsystem aus-
steigen als andere. Kostenloser Spracherwerb? Wie kann man
den Sohnemann an einer ausländischen Schule anmelden, in
welcher Jahrgangsstufe ist ein Wechsel sinnvoll? Und wieviel
kostet es?
Levente startet jeden Morgen um halb sieben, um von Sárvár
zuerst mit dem Überlandbus nach Steinamanger zu fahren und
dann mit dem Schulbus weiterzufahren. Kindern aus anderen
Regionen des Landes könnte es komisch vorkommen, dass die
Kinder hier an jedem Schultag zweimal die Grenze passieren:
Um acht Uhr sitzen sie bereits in österreichischen Schulbänken.
An der Grenze zu Österreich ist das aber ein gewohntes Bild:
Allein aus Steinamanger befördern täglich drei Sonderfahrten die
ungarischen Kinder nach Oberwart und in noch ein paar andere,
nahe gelegene burgenländische Gemeinden.
„Die deutschen Gedächtnisübungen waren anfangs schwer,
aber man gewöhnt sich daran. Die Atmosphäre an der Schule
ist viel besser dort”, erzählt die Familie von Levente. Der Junge
aus dem Jahrgang 6 kommt um halb sechs abends nach Hause,
danach stehen Solfeggio und Trompetenunterricht auf dem Pro-
gramm, trotzdem geht er gerne auf die österreichische Schule.
Seine Mutter sagt:
„So lächelt er immer noch viel mehr als die Kinder, die im
ungarischen Schulsystem gegängelt werden.”
Die Familie stellt sich bereits in Österreich die Zukunft des Kin-
des vor: Levente soll nach der Volksschule eine musikalische
Richtung einschlagen, aber auf jeden Fall in Österreich.
Etwa 2000 Kinder aus Ungarn könnten in Österreich zur Schu-
le gehen. Genaue Angaben findet man keine, da keine solchen
Statistiken existieren, aber man kann aus den burgenländischen
Statistiken Rückschlüsse ziehen. Der Großteil dieser ungari-
schen Kinder pendelt: Es gibt welche, die eine österreichische
Meldeadresse haben (warum es sinnvoll ist, dazu später mehr),
bei einem Teil ist Ungarn aber noch der Mittelpunkt des Lebens-
interesses. Das so genannte schulische Pendeln (ung. tanulá-
si ingázás) ist in der Umgebung von Steinamanger besonders
bestimmend: Die Grenze liegt wenige Minuten entfernt und in
Österreich gibt es viele kleine Gemeinden, für die es wichtig ist,
dass die Volksschule erhalten bleibt. Die neu eingeschulten un-
garischen Schüler kommen da gelegen.
„Es gibt sehr viele solche Familien, die den Entschluss fassen,
ihre Kinder nicht auf eine Schule in Ungarn zu schicken, sondern
in Österreich. Anfangs meinte ich den Charakter einer Mode-
erscheinung erkannt zu haben, aber dann bin ich auf der Straße
und in meinem Bekanntenkreis immer mehr Leuten aus diesen
Familien begegnet und ich war interessiert an ihren Erfahrun-
gen”, sagt Judit Buchwald-Langer, Hochschuloberassistentin
an der Fakultät für Pädagogik und Psychologie der Loránt-Eöt-
vös-Universität in Steinamanger (ELTE PPK). Die Bildungs-
forscherin hat über das Phänomen eine Monographie verfasst
– ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass das Hauptmotiv der
ungarischen Eltern der Spracherwerb ist.
Sie sind mit dem Niveau des ungarischen Fremdsprachenunter-
richts sehr unzufrieden und sehen, dass selbst Kinder, die einen
Fremdsprachenklassenzug besuchen, kaum bereit sind, die
Sprache aktiv zu benutzen. Die Eltern bringen deswegen die Kin-
der in einem muttersprachlichen Milieu unter, wo sie sich neben
Hochdeutsch auch den lokalen Dialekt aneignen und darüber
hinaus scheint in Österreich auch der Englisch-Fremdsprachen-
unterricht effektiver zu sein. Das ferne Ziel scheint zu sein, dass
das Kind dort eine Arbeit findet - mit perfekten Sprachkenntnis-
sen, dortigem Abschluss und dortiger Berufsausbildung.
„Hier ist der Fremdsprachenunterricht effektiver. In Ungarn ist
der Unterricht der math.-naturwissenschaftlichen Fächer stärker,
aber ich glaube, später werden meine Kinder nicht davon profi-
tieren, sondern von ihren Fremdsprachenkenntnissen”, so einer
der interviewten Elternteile zu Judit Buchwald-Langer.
SoNNTAGSBLATT
Weniger Stoff, weniger Stress
Die PISA-Ergebnisse der österreichischen Kinder sind besser
als die der ungarischen, wohlgemerkt ist der Unterschied nicht
gewaltig. Nach Meinung ihrer Befürworter zeichnet sich die ös-
terreichische Schule durch weniger lexikalisches Wissen, eine
viel praxisorientiertere Ausbildung, innovativere pädagogische
Methoden und mehr kinderorientierte Lehrer aus und erzieht
außerdem zum Leben, mit einem starken Fremdsprachenunter-
richt. Die ungarischen Eltern betrachten die geringere Erwartung
an lexikalisches Wissen auch nicht als Nachteil, sondern beto-
nen, dass man nicht so viel Unnützes lerne wie im ungarischen
Schulsystem.
„Dort gibt es dieses Verkrampfte nicht, nichts, weswegen sich
das Kind unter Druck setzen würde. Es gibt keine unangekün-
digten Tests. Die Arbeiten werden rechtzeitig angekündigt und
eingetragen und wir leben unser Leben seelenruhig. Es inter-
essiert nicht das, was du nicht kannst, sondern was du kannst”,
berichtete ein Elternteil über seine Erfahrungen.
Von den drei Kindern von Andrea gehen zwei in Österreich zur
Schule. Zu Hause haben sie zuerst eine deutsche Nationalitä-
tenschule ausprobiert, aber mit ihr waren sie nicht glücklich, in
der Jahrgangsstufe 6 hat der Junge das Jahr in Österreich wie-
derholt. „Obwohl er in Ungarn eine deutschsprachige Schule be-
sucht hat, sagte er in Österreich in den ersten drei Monaten kein
Wort. Aber er sog die Sprache auf wie ein Schwamm.” Andrea
hat die Erfahrung gemacht, dass man an der österreichischen
Schule für alles Zeit und keine 500 Seiten lange Bücher hat,
jeder kann nach seinem eigenen Tempo arbeiten. Ihr gefiel es
nach eigenen Angaben auch, dass man die Umweltkunde- und
Biologiestunden oft draußen in der Natur hält und es viele thema-
tische Tage und Projektarbeit gibt.
„Sie lernen nicht so viel Unsinniges und stressfrei.”
Ihre Kinder setzten ihre schulische Karriere auch nach der Volks-
schule in Österreich fort: Der Junge lernt BWL in Wien, das
Mädchen in Graz Übersetzen-Dolmetschen. Ihrer Ansicht nach
werden sie ganz bestimmt in Österreich arbeiten. Andrea sagt,
dass sie sie auch nicht mehr heimlassen würde, wenn es auf sie
ankäme.
Die Eltern stellen sich in der Regel die ganze schulische Karriere
ihres Kindes in Österreich vor. Anfangs ist es noch häufig so,
dass das Kind zu Hause als Privatschüler die Feststellungsprü-
fungen absolviert, nach ein-zwei Jahren gibt das die Mehrheit
jedoch auf. Die Eltern sind der Ansicht, dass die Kinder eh nicht
mehr in das ungarische Schulsystem zurückkehren würden. Aber
nicht jedermanns Rechnung geht auf. Es gibt solche Kinder, die
nach der achten Klasse zurückkehren, denn es war nach ihrer
Ansicht in Österreich schwerer oder sie haben es ausprobiert
und es war genug – das ist aber der seltenere Fall.
Zügel ziehen auf österreichische Art
Die an den Umfragen beteiligten Eltern haben in der Regel posi-
tive Erfahrungen, die Mehrheit spürt nach eigenem Bekunden
keine Diskriminierung. Sie sagen, dass das Verhältnis zu den ös-
terreichischen Kindern an den meisten Orten gut sei, aber man
berichtet auch von Ausnahmen. In Eberau hilft uns ein ungari-
sches Mädchen und erzählt, dass das Verhältnis zu den Einhei-
mischen, die die Parallelklasse besuchen, nicht so gut sei. An
einer anderen Schule gibt es auch solche Eltern, die meinen,
dass „ein-zwei Lehrer, die die Ungarn nicht mögen, die Öster-
reicher bevorzugt behandeln und die Ungarn unterdrücken” und
dass unter den Kindern natürliche Rivalitäten vorkommen wür-
den – beispielsweise bei der Fußball-EM, als es nicht gern gese-
hen wurde, dass nach der Niederlage Österreichs gegen Ungarn
ein ungarischer Schüler mit einer Rot-Weiß-Grün-Fanschminke
die Klasse betrat.
(Fortsetzung auf Seite 18)
17