Sonntagsblatt 3/2015 | Page 9

– Von ungarischer Seite (Regierung, Medien) wird mit „Zu - friedenheit” – man könnte auch sagen sogar mit Stolz – festge- stellt, dass die deutsche Minderheit Ungarns wieder Mut aufbringt ihre Volkszugehörigkeit frei zu bekennen. Vom Statistischen Lan - desamt werden aufgrund der letzten Volkszählung 185 000 „Deut - sche in Ungarn” bestätigt. Wenn (mir) diese Zahl auch unglaub- würdig erscheint, so will ich mich doch damit zufrieden geben, denn schließlich ist sie ja eine Bestätigung unseres Daseins, unse- res Lebenswillens als Volksgruppe. Merkwürdig, eben auf der Grundlage der einst doch (aufgrund Volkszählung 1941) so hart verurteilten Nationalität! vermehren wir uns – und schrumpfen dabei (leider) hinsichtlich Muttersprache (laut Nachkriegs-Volks - zählungen). Also ist es keine Sünde, sich als Deutscher zu bekennen! Heute nicht!? Gestern ja!? Merkwürdig! Die Frage wurde eigentlich schon „gestern”, d.h. bereits 1945, in einer Zeit, als man uns wegen unseres Deutschtums zu Ver - brechern abgestempelt und verfolgt hat, von dem bekannten kom- munistischen Staatsmann István Bibó beantwortet, der damals schrieb: „Nagyon jól tudjuk, hogy éppen úgy, ahogy számos magyar anélkül, hogy fasiszta vagy reakciós lett volna, csupán rosszul értelmezett haza - fiságból a szélsôjobb felé sodródott, ugyanígy sok sváb is azért lett volksbundista, mert identitását öntudatosan vállalta, és nem akart beleolvadni a többségi társadalomba.” Zu Deutsch: „Wir wissen gut, dass ebenso, wie viele Madjaren, ohne Faschist oder Reaktionär zu sein, einfach nur einem falsch verstandenen Pat - riotismus zufolge sich nach Rechtsaußen abtrieben, ebenso wurden viele Schwaben nur deshalb Mitglied des Volksbundes, weil sie selbst- bewusst zu ihrer Identität standen und nicht einschmelzen wollten in die mehrheitliche Gesellschaft.” Der bekannte ungarndeutsche Historiker Dr. Norbert Spannen - berger meint zu diesem Thema: „…Wie der Autor den interessierten Zuhörern erläuterte, haben die ungarischen Historiker in aller Regel (bewusst?) den methodischen Fehler gemacht, dass sie den Volksbund herausgelöst aus seiner Vor - geschichte untersucht haben und nicht auch jene, bis in die revolu- tionäre Zeit von 1919 zurückgehende Zeit in ihren Betrachtungen mit einbezogen, ohne die eine tiefergehende Erkenntnis über den Volks - bund aber nicht möglich ist. Es sei bisher viel zu wenig untersucht worden, welche Breitenwirkung der Volksbund mit seinen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Programmen bei den Ungarndeut - schen erreicht hat. Stattdessen wurde in den zurückliegenden Publi - kationen nur zu gerne die Stereotype von der nationalsozialistischen Ideologie des Volksbundes bemüht. Dabei wussten damit die Ungarn - deutschen in ihrer Mehrheit überhaupt nichts anzufangen. Wie sie auch den extremen ungarischen politischen Strömungen, wie der Gleichschaltungspolitik von Gömbös oder der Rassenpolitik der Pfeilkreuzler, nicht folgten, so war es auch nicht die nationalsozialis- tische Rassenideologie, die sie zum Volkbund brachte, sondern die pragmatisch ausgerichteten Wirtschafts-, Kultur- und Sozialprogram - me, die für sie neue Hoffnung und eine bessere Perspektive boten… (Aus einem Vortrag von N. Spanenberger). Damit ist es unverständlich, dass man immer noch den Volks - bund von damals (1938–1945 Volksbund der Deutschen in Ungarn = VDU) – so ganz eindeutig – als „Bösewicht”, als NS-Organi - sation beschimpft, anstatt sich ein objektives/neutrales Urteil zugehen zu lassen. Es ist unverständlich, dass man noch immer die ehemaligen Mitglieder dieser Organisation als Landesverräter und Kriegsverbrecher hinstellt, was sie bestimmt nicht gewesen sind. Denn dieser Volksbund wurde nicht in „nazistischem“ Geiste geboren, – und wenn er infolge Krieg und Ungarns Abhängigkeit vom Deutschen Reich, unter Druck von innen und außen doch teilweise auch eine falsche Färbung angenommen hat, so war diese (meine ich) keinesfalls mehr „faschistisch”, als die damalige ungarische Wirklichkeit allgemein. Bestimmt bin ich nicht zustän- dig den Volksbund zu verteidigen oder eben anzuklagen. Das will ich auch nicht. Doch eine einseitige Betrachtung und Darlegung der Geschichte kann nicht wortlos hingenommen werden. Beson - ders dann nicht, wenn von UNSERER GESCHICHTE die Rede ist. Wir wollen und dürfen uns nicht brüsten mit DAMALS, doch uns selbst bespucken sollten wir auch nicht. Als Zeitzeuge (Jahrgang 1928) darf ich sagen, die Geschehnisse der Vorkriegs- und Kriegsjahre schon mit offenen Augen miterlebt zu haben. Deshalb erlaube ich mir die Frechheit, die Volksbundmitglieder, diese einfachen Menschen, die als Sündenböcke gebrandmarkt wurden (weil sie sich zu ihrem Volkstum bekannten, weil sie doch deutscher Natio nalität und Muttersprache waren) und heute noch verschmäht werden, in Schutz zu nehmen. Man darf keinesfalls verallgemeinern. Damit will ich sagen, es hat bestimmt unter die- sen einfachen Menschen/Mitgliedern auch Unbesonnene oder Unverantwort liche gegeben. Aber die gab und gibt es immer und überall, so damals wie heute. Diese Volksbund-Mitglieder wollten eben Deut sche sein – der/die eine ganz im Stillen, der/die andere vielleicht stolz und aufsehenerregend. Aber allgemein nicht feind- selig oder aggressiv. Sie waren bestimmt keine Vaterlandsverräter – sie liebten ihre Heimat und ehrten somit ihr Vaterland Ungarn. Diesbezügliche Anschuldigungen kann ich anhand von Beispielen widerlegen. Feindseligkeiten und Hass wurden von Außen - stehenden geschürt, die Gegnerschaft unter unseren Landsleuten war politisch/nationalistisch motiviert und provoziert. Auch in dem Werk „Töréspontok” von Réka Marchut wird ziemlich viel über Zwistigkeiten unter der schwäbischen Bevöl - kerung und über Radikalismus und Feindseligkeit der Budaörser (bzw. Schwaben in der Hauptstadt-Umgebung) Volksbund-Leute ihren madjarischen und madjarisch gesinnten deutschen Mitbür - gern gegenüber geschrieben. Obwohl Marchut versucht objektiv zu bleiben, so ist dennoch Schritt auf Tritt die Dominanz ihrer madjarischen Gefühlswelt spürbar. Natürlich sind es dann immer die bösen „bundisták” die damit an den Pranger gestellt werden (siehe Meldungen des örtlichen Notars, Geheimdokumente des Oberstuhlrichters, des Obergespans u.a.), ohne dass nach dem Grund, den Ursachen des „Übels” (der Konflikte) geforscht wird. Weil, wie Marchut feststellt: „Die »kleinen« Leute der Gesell - schaft haben auf ihrem Neveau wohl wenig von der »großen« Po - litik erkannt, dennoch konnten sie in ihrer örtlichen Gemeinschaft erfahren, dass die Tätigkeit des Volksbundes nicht den Interessen des ungarischen Vaterlandes dient…” Das Interesse das Vater - landes aber war (seit 200 Jahren immer) die Schaffung einer „ein- heitlichen ungarischen Nation”, welchem Interesse jedoch die Erstarkung einer deutschen Volksgruppe gegenüberstand, die eben vom Volksbund verkörpert wurde. Diese zwei einander gegenüberstehenden Interessgebiete führten also zu den „Törés - pontok = Bruchpunkten”, wie sie Marchut benennt. In Budaörs war der Pfarrer Aubermann eine Hauptfigur im Verursachen von Brüchen, ergo Bruchpunkten. Warum? Weil er selber als deutsch- stämmiger (wohl mit großen Verdiensten für die Kirche – eben in ungarischer Sprache!) stets für die Interessen seiner deutschen Gläubigen eingetreten ist, was dann nicht als „ungarisches natio- nales Interesse” bei der madjarischen Obrigkeit und auch bei den von dieser beeinflussten madjarisch fühlenden Schwaben galt. Als Außenstehender will und kann nicht in den (bündlerischen) Sachververhalt in Budaörs und Umgebung eingehen, aber als Beispiel eines „Bruchpunktes”, d.h. als Übergriff der Volksbünd - (Fortsetzung auf Seite 10) 9