Sonntagsblatt 3/2015 | Page 30

Ein Plädoyer für Moskau –

Kreml-Stadt ohne Vorurteile
Von : Hans Dama – Dienstag , 23 . Dezember 2014
Was wir seinerzeit über die ehemalige UdSSR gelernt und darüber hinaus an russischer Sprache mehr oder weniger erworben hatten , sollte sich anlässlich meiner Reise nach Moskau und St . Petersburg bezahlt machen . Schon ein Vorteil , das Kyrillische lesen und zum Großteil auch verstehen zu können , war ein Erlebnis besonderer Art , weil man überall bestaunt wurde , als käme man von einem anderen Planeten , was wegen meiner Aussprache ja fast anzunehmen war …
Die überaus freundlichen und hilfsbereiten Menschen gestalteten den kurzen Aufenthalt angenehm , hinzu kamen überwältigende Eindrücke überall und endlose Informationen . In Moskau gibt es keine privaten Familienhäuser : Man lebt in den Hochhäusern , die meistens am Stadtrand entstanden sind und entstehen , weil die Fläche der 1081-Quadratkilometer-Stadt , auf der 13 Millionen Ein - wohner ihr Auskommen finden müssen , ohnehin schon enorm ist .
Über die breiten Straßen ( Prospekt , sprich : Prjaspjekt ) donnert auf bis zu acht Fahrspuren in einer Richtung rund um die Uhr der Verkehr ; in Moskau sind allein 5 Mio . Pkw zugelassen .
Niemanden scheint es zu interessieren , dass die Höchstge schwindigkeit auf 60 km / h beschränkt ist und blinken ist ein Fremd wort . Trotzdem ist die Zahl der Unfälle relativ gering , die Autofahrer nehmen gelassen und ohne jede Hektik die Ereignisse auf den Straßen hin , ohne zu hupen oder zu schimpfen , die Bremsen stets in Bereitschaft …
Die zwingende Alternative : die Metro . Laut , polternd und krachend hastet sie in ein bis zwei Minutenabständen an vielen der 262 schön gestalteten U-Bahn-Stationen vorbei ; bis zu 35 Kilo - meter Entfernung liegt zwischen manchen Stationen . Die Züge stets vollgestopft – auch nachts und an Wochenenden – donnern mit 120 km / h dahin . Manche Stationen liegen 70 Meter unter der Erdoberfläche . Auffallend sind die vielen Parkanlagen und Grünflächen riesigen Ausmaßes , die sommers und in der Freizeit regelrecht ge - stürmt werden . Vierzig Brücken verbinden beide Ufer des Mos - kau-Flusses ( sprich : Maskwa ) und sorgen für flüssigen Verkehr , der die Stadt in konzentrischen Kreisen , jeweils von etagenhaft angelegten Ausfallstraßen gekreuzt , durchströmt .
Marathon der Sehenswürdigkeiten Gemischte Gefühle kommen auf , wenn man – auch als Nicht- Betroffener – an der Lubjanka vorbeifährt . Von 1920 bis 1991 war es das Hauptquartier , das zentrale Gefängnis und das Archiv des sowjetischen Geheimdienstes in Moskau . Heute beherbergt die Lubjanka den russischen Geheimdienst FSB .
Von den Sperlingsbergen , einem der sieben Hügel der Stadt , er - öff net sich dem Betrachter ein Panoramablick sondergleichen . Hier oben steht auch die 1755 auf Erlass von Elisabeth I . gegründete Lomonosow-Universität , mit 40 000 Studierenden an 30 Fakultäten , die anlässlich der 800-Jahr-Feier Moskaus im Jahre 1947 im stalinischen „ Zuckerbäckerstil ” errichtet wurde , umgeben von Parkanlagen und einigen ehemaligen Datschas , die einst Peter der Große seinen treuen Ministern geschenkt hatte und in kommunistischen Zeiten von den Mächtigen der Partei genutzt wurden . Heute bezeichnet man als Datschas ( russisch : datj = geben ) auch Wochenendhäuser im ländlichen Milieu .
Dass der Name des Roten Platzes nicht auf die Kommunisten zurückzuführen ist , sondern auf die rote Kreml-Mauer – Rot war im Mittelalter die Lieblingsfarbe der Russen – und dass der Kreml eigentlich die Altstadt Moskaus ist , konnte nun auch geklärt werden , genauso wie die Tatsache , dass alle anderen Gebäude hier nach dem Brand von 1812 , ausgelöst während der Besetzung durch Napoleons Truppen , entstanden sind .
Im Kreml selbst – eine Stadt in der Stadt – liegen viele verschiedene Bauten , Paläste , Hallen , Kirchen , Kathedralen . Unter den Sehenswürdigkeiten : eine zwanzig Tonnen schwere Kanone aus dem 17 . Jh ., aus der aber nie ein Schuss abgefeuert wurde , weil die Kugel zu groß geraten war . Und in unmittelbarer Nachbarschaft eine 200-Tonnen-Glocke , die nie auf einen Turm gelangen konnte und aus der ein 10-Tonnen- „ Splitter ” abgebrochen ist . Sehenswert und von historischer Bedeutung ist das Neue Jungfrauenkloster , das von den französischen Besatzern unter Napoleon als Quartier in Besitz genommen wurde .
Bei deren Rückzug hätte die bereits verminte Anlage gesprengt werden sollen , doch die einzige verbliebene Nonne Sara – sie weigerte sich , das Kloster zu verlassen –, rettete es , indem sie die Lei - tungen zu den Pulverfässern durchtrennte . Außerhalb der Kreml- Anlage dominieren in nächster Nähe Bauten wie das Bolschoj ( sprich : Balschoj ) -Theater , das Museum für Geschichte u . a . das Stadt bild , das geprägt ist von Straßenmusikanten , fliegenden Händ lern und Souvenirständen . Was in Moskau nur spärlich zu finden , weil nicht vorhanden : öffentliche WC-Anlagen sowie Por - to marken , die nur auf versteckten Postämtern erhältlich sind : ein infrastrukturelles Manko . Dem Kreml gegenüber – auf dem Ro - ten Platz – befindet sich das bekannte Luxuskaufhaus GUM ( Go - su dartswennyiuniversalnyi Magazin ), in dem die wenigsten Mos - kauer Bürger sich einen Einkauf leisten können und lediglich als Schaulustige darin flanieren .
Man sollte unbedingt einen Besuch in der Tretjakow-Galerie einplanen , berühmt durch seine Ikonen-Sammlung und die Bilder der berühmtesten russischen Maler . Und dann gibt es noch etwa 80 Museen ...
Deutschenhass ? Längst Geschichte ! Als Deutscher kommt man wegen des Zweiten Weltkrieges mit gemischten Gefühlen nach Russland . Die Russen sehen es anders : „ Wenn wir allen böse sein sollten , die unser Land angegriffen ha - ben , dann müssten wir Tataren , Türken , Polen-Litauer , Schweden , Franzosen , Deutsche und andere hassen … Das ist Geschichte . Wir aber leben in der Gegenwart .” Derzeit wird im Historischen Museum eine Ausstellung „ 1000 Jahre Deutsch – Russische Kulturbeziehungen ” gezeigt , die auch nach Deutschland wandern soll . Dazu : Fast alle russischen Zaren und Großfürsten waren mit deutschen Prinzessinnen / Her zogin - nen etc . vermählt . Und auch die Vorzeigezarin Katharina II . – geboren am 2 . Mai 1729 in Stettin ; ab dem 9 . Juli 1762 Kaiserin von Russland – war eine Deutsche : Herzogin von Holstein-Got - torf und ab 1793 Herrin von Jever . Sie ist die einzige Herrscherin , welcher in der Geschichtsschreibung der Beiname die Große verliehen wurde . Katharina II . war eine Repräsentantin des aufgeklärten Absolutismus . Auch umgekehrt heirateten viele russische Großfürsten in deutsche Lande . Deutsch ist – nach wie vor – Fremd sprache Nummer eins in Russland und man freut sich , deutsch plaudern zu können . Eine eiserne Disziplin herrscht überall – in Museen , auf Flughäfen , Bahnhöfen , in U-Bahn-Stationen , in den Zügen der Metro , wo man älteren Passagieren den Platz überlässt : Mitteleuropa kann sich da ein Beispiel nehmen ! Auch die adrette Bekleidung wäre ein Vorbild für viele Mitmenschen unserer Breiten . Über das Moskauer Stadtgebiet dürfen keine Flugrouten führen und die Flughäfen sind weit außerhalb der Stadt , so dass man für den Transfer viel Zeit aufwenden muss . Das im Westen meist einseitig vermittelte Bild von Moskau lässt Vorurteile entstehen , die man jedoch schleunigst ablegen sollte . Zu wertvoll sind Kunst , Kultur und Geschichte , als dass man sich vom politischen Status quo von einer Reise dorthin abhalten lassen darf .
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