Sonntagsblatt 3/2015 | Page 2

Ungarns heute 185 696 Seelen zählt . Wie kommt man zu dieser Zahl ? Dazu habe ich noch keine Erklärung gefunden . Es ist doch anzunehmen , dass die Muttersprache-Bekenner ( 38 248 ) gleichzeitig auch deutscher Nationalität sind ( 131 951 ) und dass die in der Familie deutsch Sprechenden ( 95 661 ) ebenfalls aus diesem Kreis kommen . Somit kann man doch die Zahlen dieser drei Rubriken nicht addieren . Oder ? Aber es soll uns lieb und recht sein : Wir sind wieder wer ! Wir sind beinah unsere 200 000 – wie immer schon geraten / geschätzt wurde .
Bedeutungslose Muttersprache ?
Die Zahlen besagen – leider –, dass die Bedeutung der Mutter - sprache verlorengeht . Dass die deutsche Muttersprache verschwindet ! Ja , wenn die Entwicklung der Statistik so weitergeht , dann könnte es vorkommen , dass es in 20 – 30 Jahren keine „ deutschsprachigen Ungarndeutsche ” geben wird , – deutscher Mut tersprache werden nur noch unter uns lebende fremde Staatsbürger sein . Die Ungarndeutschen werden Deutsch höchstens nur noch als zweite Muttersprache besitzen bzw . eben als „( Ungarn !) Deutsche mit ungarischer Muttersprache ” in der Statistik erscheinen .
Auffallend ist jedenfalls , dass ungarische staatliche Stellen einstweilen diese Erscheinung nicht für erwähnenswert halten . Wobei man doch mit allen Mitteln sich bestrebt zeigt , bei den Madjaren im Ausland , insbesondere in den Nachbarstaaten , die Mutter - sprache hochzuhalten , weil doch die Losung gilt : „ Nyelvében él a nemzet ” ( In ihrer Sprache lebt die Nation )!
Noch mehr verwunderlich ist es , dass die Ungarndeutschen selber , ihre offiziellen Vertreter ( Selbstverwaltung , angefangen bei der Landesselbstverwaltung bis runter zu den örtlichen deutschen Selbstverwaltungen ) wie auch ihre Organisationen ( mit Vereinen , Kulturgruppen ) und Medien sich nicht daran stoßen , dass die deutsche Muttersprache im Schwinden ist . Unverständlich – aber merkwürdig ! – dabei ist , dass man allgemein über Rückgewinnung und Pflege der Muttersprache schreibt und spricht , dass man mit vollem Mund in der Volkshymne singt „ deiner Sprache … bleibe treu ” ( weiß man vielleicht gar nicht was dies bedeutet ?), dass man Mutterspracheunterricht in der Schule verkündet , dass man so tut , als gebe es gar viele „ deutsche ” Veranstaltungen , auf die man stolz sein kann ( und lassen für Nichtkenner der Lage als glaubwürdig erscheinen ), wobei jedoch auf diesen Veranstaltungen nicht ( mehr ) deutsch gesprochen wird …
Wie es scheint , machen sich die „ Zuständigen ” über diese Lage keine Gedanken und sogar auch im Mutterland scheint dies niemand aufzufallen .
Das Erbe der Ahnen
Für den „ einfachen ” Ungarndeutschen mag es bereits eine Selbst - verständlichkeit sein , dass man ( auch ohne es zu müssen ) immer und überall ungarisch spricht , weil es eben unter Umständen so angebracht ist und weil man es sich bereits so angewöhnt hat , – und weil es so bequem ist , weil das Ungarische doch den jüngeren Generationen bereits zur Muttersprache geworden ist . Unsere Muttersprache ? Ja ! – sagen junge Ungarndeutsche , weil wir ja von unserer Mutter zuerst Ungarisch gelernt haben ! Man fühlt sich dabei dennoch als Deutscher , richtiger : als UNGARNdeutscher ( und das soll doch ein Unterschied sein !) und man will mit dem ( vielleicht nur halben ) Bekenntnis zur Volkszugehörigkeit die Ahnen ehren , das Ahnenerbe hüten und weitergeben … Ahnen - erbe ? Ja , Sitten und Bräuche , Lieder und Tänze und …? Die Sprache , das Wichtigste und teuerste Erbe vergisst man dabei . Man will es vergessen , weil die Sprache der Ahnen ( ob nun Mundart oder Schriftsprache ) zu üben , zu sprechen und zu bekennen mit Mühe und Selbstbewusstsein ( oder auch Gefahr ? Nein – heute bestimmt nicht mehr !) verbunden ist . Fremdsprachen zu erlernen , so auch ( vielleicht allen voran ) die zur Fremdsprache gewordene Sprache der Ahnen , das ist erwünscht und wird auch ( häufig ) befolgt . Seit 1950 konnten Schwabenkinder in der Schule Deutsch lernen . Deutsch als Lehrgegenstand , oftmals als Mutter - sprache-Unterricht tituliert . Tausende unserer Jugendlichen ha - ben seit 1960 ( zweisprachige ) Nationalitäten-Mittelschulen absolviert und ihre Reifeprüfung auch in Deutsch gemacht . Viele haben auf Hochschulen , Universitäten ( manche sogar im deutschen Ausland ) ihre Sprachkenntnisse erweitern können und sprechen und schreiben heute ein ausgezeichnetes Deutsch . Viele unserer „ gebildeten ” Jugendlichen betreuen heute angesehene , auch gutdotierte Ämter , so bei Staat , Wirtschaft oder Kultur , auch auf Nationalitätengebieten . Ihre Deutschkenntnisse sind gefragt . Manche müssen , andere sollen deutsch kommunizieren . Sie tun es oder tun es eben nicht … Ihre Muttersprache ? Natürlich ( sagen sie ): Ungarisch . Warum ? Weil ( sagen sie ) von der Mutter haben wir Ungarisch auf den Lebensweg bekommen .
Ist dies nun richtig und muss es so sein ?
Definition für Muttersprache
Unsere Ahnen haben „ so ganz selbstverständlich ” deutsch ( eigent lich Mundart ) gesprochen , – bis zu Kriegsende konnten viele unserer ( älteren ) Landleute kein Ungarisch . Das war be - stimmt nicht gut , aber die Umstände haben es in damaliger Zeit so gebracht . Somit war also die Frage nach der Muttersprache leicht zu beantworten . Nicht zu vergessen , in damaliger Zeit waren viele Juden auch deutscher Muttersprache . Ja , so ganz selbstverständlich . Probleme hat eben der sich erstarkende Nationalismus , der madjarische Chauvinismus mit sich gebracht . So hat sich schon zu Zeiten Jakob Bleyers , in den 1920 – 30er Jahren ( als Bleyer hartnäckig für die Erhaltung des Deutschtums in Ungarn aufgetreten ist ) hinsichtlich deutscher Muttersprache bei der Volkszählung 1930 ein starker Schwund gezeigt ( 447 153 gegenüber 1920 mit 550 062 ). Zu dieser Zeit war man ungarischerseits bemüht , den Begriff Muttersprache neu und verschiedentlich zu definieren . Galt doch ursprünglich die Erklärung : ‚ Muttersprache ist jene Sprache , die man als Kind von der Mutter erlernt hat ’. Nun aber wurde – ungarischerseits – erklärt : ‚ Mut - tersprache ist die Sprache , die man am liebsten spricht ’. Oder auch : ‚ in der man träumt ’, oder ‚ in welcher man rechnet ’, u . a . Hier hat man schon damit Rechnung getragen , dass die „ Geschulten ”, die Stadtbewohner und die staatlich und wirtschaftlich Ange - stellten , also die bereits ganz oder halbwegs Assimilierten Schwa - ben ( die Wankelmütigen , die mit schwankender Identität – heute Doppelidentität genannt ), die der Staatssprache , dem Ungari - schen zugeneigt sind , ohne Gewissensbisse sich von der ursprünglichen ( von der Mutter erlernten ) Muttersprache abwenden und Ungarisch als ihre Muttersprache nennen können . So war das damals , schon vor 80 Jahren . Heute , wo unsere Schwabenkinder von der Mutter bereits das Ungarische auf den Lebensweg mitbekommen , ist man wieder bemüht , die alte Definition geltend zu machen , d . h . „ Mutter - sprache ist die von der Mutter erlernte Sprache ”. Muss das nun wirklich von uns angenommen werden ? Können wir nicht auch einmal den Stock umkehren und für eine neue Definition bezüglich Muttersprache plädieren ? Heute , wo wir viele Tausende „ geschulte Schwaben ” haben , wo zehntausenden Schwabenkin - dern ( muttersprachlicher ?) Nationalitäten-Deutschunterricht zuteil wird , wo wir viele junge Menschen haben die ein gutes Deutsch sprechen , – da müsste es doch möglich sein , dass wieder viele unserer jungen Landsleute Deutsch als schönste und liebste Sprache empfinden !
Ja , es muss möglich sein , und es ist notwendig , dass wir verkünden und dafür eintreten :
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