S onntagsblatt
Nr. 3/2015
Gegründet von Dr. Jakob Bleyer im Jahre 1921
Informationen, Meinungen
MOTTO – Man kann viel, wenn man sich nur recht viel zutraut.
Humboldt
Ein Streifzug rund um die
MUTTERSPRACHE
Es geht mir um UNSERE Muttersprache, um die deutsche Mut -
tersprache der Deutschen in Ungarn.
Die offizielle Statistik – die Angaben der Volkszählungen –
erwecken, bei oberflächlicher Betrachtung, Hoffnung und Zuver -
sicht. Die Ungarndeutschen sind in den letzten Jahren mehr
geworden! Ja, viel mehr. Doch schaut man hinter die Kulisse, so
kann die Statistik gleichzeitig auch ernüchternd und nieder-
schmetternd wirken, wenn man unsere Geschichte (und deren
Hintergründe) vor Augen hält. Daraus – aus der Statistik! – Folge -
rungen zu ziehen hinsichtlich der Zukunft der deutschen
Volksgruppe in Ungarn ist schwierig, sie führen zu Unsicherheit,
ja zu Zweifel. Man kommt zum Ergebnis: Unsichere oder gar
keine Zukunft! Warum?
Sehen wir uns also einige Zahlen an:
Laut den Volkszählungen scheint die deutsche Volksgruppe –
nach Entrechtung, Enteignung, Verschleppung und Vertreibung
in den ersten Nachkriegsjahren – langsam einen Erwachungspro -
zess zu erleben.
Angaben der Volkszählungen ab 1941
Deutsche Muttersprache
1941 (1)
1949 (2)
1960 (3)
1970 (4)
1980
1990
2001 (5)
2011 (6)
475 491
2617
8640
35 594
31 231
37 511
33 792
38 248
Deutsche Nationalität
302 198
22 455
50 765
???
11 310
30 824
62 233
131 951
Dazu Bemerkungen:
(1) die letzte Volkszählung vor Kriegsende. – Diesmal war zum
erstemal die Frage nach der Nationalität gestellt. Früher wur -
de immer nur die Muttersprache gefragt, diese galt als Merk -
mal der Volkszugehörigkeit. Die ungarische Propaganda
sprach von „Aussiedlung” jener ungarischen Staatsbürger, die
sich als Deutsche bekennen. Die Folge war: Viele unserer
schwä bischen Landsleute wollten plötzlich keine Deutschen
sein und gaben daher bei der Befragung „ungarische Natio -
nalität” an. Die Muttersprache war schwieriger zu verleugnen,
weil ja viele kein Ungarisch konnten – dennoch haben sich
tausende für die ungarische Muttersprache entschieden.
Jakob Bleyer Gemeinschaft e.V.
Auffallend ist ja der zahlenmäßig große Unterschied
(ca. 170 000) zwischen Muttersprache und Nationalität.
(2) nach Entrechtung und Vertreibung beantworten nur wenige
Landsleute die Fragen – und nur eine Handvoll bekennt sich
zur deutschen Muttersprache.
(3) Es fühlen sich wieder mehr Landsleute als Deutsche, doch
betreffend Muttersprache fehlt immer noch der Mut zum Be -
kenntnis, bzw. die heranwachsende junge Generation be -
kommt schon ab der Wiege das Ungarische eingetrichtert.
(4) Nach 15 Jahren Verbandsarbeit wird die Muttersprache bei
der älteren Generation wieder – zögernd – „aktuell”.
(5) Die Fragen zu Muttersprache und Nationalität müssen (wie
schon immer) nicht beantwortet werden. Man darf aber auf diese
Fragen diesmal sogar drei Antworten geben, d.h. man kann
gleich zeitig deutscher, ungarischer und… Muttersprache und Na -
tio nalität sein. Das Ergebnis: Mehr Landsleute bekennen sich
AUCH (so nebenbei vielleicht) als Deutsche. Die ungarndeut-
schen Gremien (Vereine, Selbstverwaltungen) werben in erster Li -
nie für die Nationalität (!), Muttersprache wird in den Hinter -
grund gestellt.
(6) Auch diesmal werden die Minderheiten (auch von Seiten
staatlicher Stellen) zu „aufrichtigem Bekenntnis” aufgefor-
dert, mit Betonung der Nationalität (wobei doch einst eben
die Nationalität die „größere Sünde” war – größer als das Be -
kenntnis der Muttersprache! (und früher war sie nicht gefragt,
nicht maßgebend, weil Muttersprache für Volkszugehörigkeit
betrachtet wurde). Auch diesmal ist die Beantwortung der
Fragen nicht obligatorisch und man darf auf die Fragen zwei
Antworten abgeben. Dies erleichtert das „Bekenntnis” we -
sentlich. Damit ist zu erklären, dass sich die Zahl der zur
Nationalität Bekennenden mehr als verdoppelt hat. Die Zahl
der Muttersprachler ist im Vergleich zu früher jedoch kaum
angestiegen, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf,
dass in der verhältnismäßig geringen Zahl 11 000 Bekenner
„nicht ungarische Staatsbürger” sind. Demnach verbleiben
nur ca. 27 000 (ursprüngliche) Ungarndeutsche mit deutscher
Muttersprache. Diese kommen sehr wahrscheinlich aus der
ältesten Generation…
Allgemein muss noch erwähnt werden, dass bei der letzten
Volkszählung (2011) mehr als eine Million (eigentlich 1,4 Mil -
lionen) ungarische Staatsbürger (also 14% der Landesbe völke -
rung) die Fragen bezüglich nationaler Zugehörigkeit (Mutter -
sprache, Nationalität, Sprache in der Familie) nicht beantwortet
haben. Da kann man nur Vermutungen anstellen, z.B. darunter
können sich 5000 oder auch 50 000 Deutsche verborgen halten.
Ebenso paart sich auch ein Fragezeichen zu der allgemeinen
Feststellung, dass (laut Volkszählung) die deutsche Volksgruppe
(Fortsetzung auf Seite 2)