Ungarns heute 185 696 Seelen zählt. Wie kommt man zu dieser Zahl? Dazu habe ich noch keine Erklärung gefunden. Es ist doch anzunehmen, dass die Muttersprache-Bekenner( 38 248) gleichzeitig auch deutscher Nationalität sind( 131 951) und dass die in der Familie deutsch Sprechenden( 95 661) ebenfalls aus diesem Kreis kommen. Somit kann man doch die Zahlen dieser drei Rubriken nicht addieren. Oder? Aber es soll uns lieb und recht sein: Wir sind wieder wer! Wir sind beinah unsere 200 000 – wie immer schon geraten / geschätzt wurde.
Bedeutungslose Muttersprache?
Die Zahlen besagen – leider –, dass die Bedeutung der Mutter- sprache verlorengeht. Dass die deutsche Muttersprache verschwindet! Ja, wenn die Entwicklung der Statistik so weitergeht, dann könnte es vorkommen, dass es in 20 – 30 Jahren keine „ deutschsprachigen Ungarndeutsche” geben wird, – deutscher Mut tersprache werden nur noch unter uns lebende fremde Staatsbürger sein. Die Ungarndeutschen werden Deutsch höchstens nur noch als zweite Muttersprache besitzen bzw. eben als „( Ungarn!) Deutsche mit ungarischer Muttersprache” in der Statistik erscheinen.
Auffallend ist jedenfalls, dass ungarische staatliche Stellen einstweilen diese Erscheinung nicht für erwähnenswert halten. Wobei man doch mit allen Mitteln sich bestrebt zeigt, bei den Madjaren im Ausland, insbesondere in den Nachbarstaaten, die Mutter- sprache hochzuhalten, weil doch die Losung gilt: „ Nyelvében él a nemzet”( In ihrer Sprache lebt die Nation)!
Noch mehr verwunderlich ist es, dass die Ungarndeutschen selber, ihre offiziellen Vertreter( Selbstverwaltung, angefangen bei der Landesselbstverwaltung bis runter zu den örtlichen deutschen Selbstverwaltungen) wie auch ihre Organisationen( mit Vereinen, Kulturgruppen) und Medien sich nicht daran stoßen, dass die deutsche Muttersprache im Schwinden ist. Unverständlich – aber merkwürdig! – dabei ist, dass man allgemein über Rückgewinnung und Pflege der Muttersprache schreibt und spricht, dass man mit vollem Mund in der Volkshymne singt „ deiner Sprache … bleibe treu”( weiß man vielleicht gar nicht was dies bedeutet?), dass man Mutterspracheunterricht in der Schule verkündet, dass man so tut, als gebe es gar viele „ deutsche” Veranstaltungen, auf die man stolz sein kann( und lassen für Nichtkenner der Lage als glaubwürdig erscheinen), wobei jedoch auf diesen Veranstaltungen nicht( mehr) deutsch gesprochen wird …
Wie es scheint, machen sich die „ Zuständigen” über diese Lage keine Gedanken und sogar auch im Mutterland scheint dies niemand aufzufallen.
Das Erbe der Ahnen
Für den „ einfachen” Ungarndeutschen mag es bereits eine Selbst- verständlichkeit sein, dass man( auch ohne es zu müssen) immer und überall ungarisch spricht, weil es eben unter Umständen so angebracht ist und weil man es sich bereits so angewöhnt hat, – und weil es so bequem ist, weil das Ungarische doch den jüngeren Generationen bereits zur Muttersprache geworden ist. Unsere Muttersprache? Ja! – sagen junge Ungarndeutsche, weil wir ja von unserer Mutter zuerst Ungarisch gelernt haben! Man fühlt sich dabei dennoch als Deutscher, richtiger: als UNGARNdeutscher( und das soll doch ein Unterschied sein!) und man will mit dem( vielleicht nur halben) Bekenntnis zur Volkszugehörigkeit die Ahnen ehren, das Ahnenerbe hüten und weitergeben … Ahnen- erbe? Ja, Sitten und Bräuche, Lieder und Tänze und …? Die Sprache, das Wichtigste und teuerste Erbe vergisst man dabei. Man will es vergessen, weil die Sprache der Ahnen( ob nun Mundart oder Schriftsprache) zu üben, zu sprechen und zu bekennen mit Mühe und Selbstbewusstsein( oder auch Gefahr? Nein – heute bestimmt nicht mehr!) verbunden ist. Fremdsprachen zu erlernen, so auch( vielleicht allen voran) die zur Fremdsprache gewordene Sprache der Ahnen, das ist erwünscht und wird auch( häufig) befolgt. Seit 1950 konnten Schwabenkinder in der Schule Deutsch lernen. Deutsch als Lehrgegenstand, oftmals als Mutter- sprache-Unterricht tituliert. Tausende unserer Jugendlichen ha- ben seit 1960( zweisprachige) Nationalitäten-Mittelschulen absolviert und ihre Reifeprüfung auch in Deutsch gemacht. Viele haben auf Hochschulen, Universitäten( manche sogar im deutschen Ausland) ihre Sprachkenntnisse erweitern können und sprechen und schreiben heute ein ausgezeichnetes Deutsch. Viele unserer „ gebildeten” Jugendlichen betreuen heute angesehene, auch gutdotierte Ämter, so bei Staat, Wirtschaft oder Kultur, auch auf Nationalitätengebieten. Ihre Deutschkenntnisse sind gefragt. Manche müssen, andere sollen deutsch kommunizieren. Sie tun es oder tun es eben nicht … Ihre Muttersprache? Natürlich( sagen sie): Ungarisch. Warum? Weil( sagen sie) von der Mutter haben wir Ungarisch auf den Lebensweg bekommen.
Ist dies nun richtig und muss es so sein?
Definition für Muttersprache
Unsere Ahnen haben „ so ganz selbstverständlich” deutsch( eigent lich Mundart) gesprochen, – bis zu Kriegsende konnten viele unserer( älteren) Landleute kein Ungarisch. Das war be- stimmt nicht gut, aber die Umstände haben es in damaliger Zeit so gebracht. Somit war also die Frage nach der Muttersprache leicht zu beantworten. Nicht zu vergessen, in damaliger Zeit waren viele Juden auch deutscher Muttersprache. Ja, so ganz selbstverständlich. Probleme hat eben der sich erstarkende Nationalismus, der madjarische Chauvinismus mit sich gebracht. So hat sich schon zu Zeiten Jakob Bleyers, in den 1920 – 30er Jahren( als Bleyer hartnäckig für die Erhaltung des Deutschtums in Ungarn aufgetreten ist) hinsichtlich deutscher Muttersprache bei der Volkszählung 1930 ein starker Schwund gezeigt( 447 153 gegenüber 1920 mit 550 062). Zu dieser Zeit war man ungarischerseits bemüht, den Begriff Muttersprache neu und verschiedentlich zu definieren. Galt doch ursprünglich die Erklärung: ‚ Muttersprache ist jene Sprache, die man als Kind von der Mutter erlernt hat’. Nun aber wurde – ungarischerseits – erklärt: ‚ Mut- tersprache ist die Sprache, die man am liebsten spricht’. Oder auch: ‚ in der man träumt’, oder ‚ in welcher man rechnet’, u. a. Hier hat man schon damit Rechnung getragen, dass die „ Geschulten”, die Stadtbewohner und die staatlich und wirtschaftlich Ange- stellten, also die bereits ganz oder halbwegs Assimilierten Schwa- ben( die Wankelmütigen, die mit schwankender Identität – heute Doppelidentität genannt), die der Staatssprache, dem Ungari- schen zugeneigt sind, ohne Gewissensbisse sich von der ursprünglichen( von der Mutter erlernten) Muttersprache abwenden und Ungarisch als ihre Muttersprache nennen können. So war das damals, schon vor 80 Jahren. Heute, wo unsere Schwabenkinder von der Mutter bereits das Ungarische auf den Lebensweg mitbekommen, ist man wieder bemüht, die alte Definition geltend zu machen, d. h. „ Mutter- sprache ist die von der Mutter erlernte Sprache”. Muss das nun wirklich von uns angenommen werden? Können wir nicht auch einmal den Stock umkehren und für eine neue Definition bezüglich Muttersprache plädieren? Heute, wo wir viele Tausende „ geschulte Schwaben” haben, wo zehntausenden Schwabenkin- dern( muttersprachlicher?) Nationalitäten-Deutschunterricht zuteil wird, wo wir viele junge Menschen haben die ein gutes Deutsch sprechen, – da müsste es doch möglich sein, dass wieder viele unserer jungen Landsleute Deutsch als schönste und liebste Sprache empfinden!
Ja, es muss möglich sein, und es ist notwendig, dass wir verkünden und dafür eintreten:
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