Sonntagsblatt 3/2015 | Page 5

den Tag der deutschen Vereinigung planerisch vorzusorgen. Das war auch die Zeit, als in Deutschland das Wort „national” auf sei - ne andere, zweite Bedeutung zusammengeschnitten wurde: Es meinte nur noch „für den gesamten westdeutschen Staat”. Die Fußball-, die Eishockeynationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland gab es schon: solche eingeführten Bezeichnungen, die sich schwer auf handliche Weise ersetzen lassen… Soweit aus der FAZ. Doch im Zusammenhang mit obigen Aus - führungen kann nun auch die Frage gestellt werden: Und wie ist es mit Nationalitäten? In Ungarn war es Jahrzehnte hindurch selbstverständlich, dass man über Minderheiten sprach, auch wenn damit Nationalitäten gemeint waren. Als jedoch mit der Zeit immer häufiger „moder- ne” Minderheiten (z.B. Schwule) in Erscheinung traten, hat man dann den Begriff – zur Unterscheidung – „nationale Min derhei - ten” in Umlauf gebracht, woraus heute überwiegend das nationa- le als Nationalität verwendet wird. Da fragt nun der Josef den Stefan: „Und sind dann die Natio - nalitäten auch national? Sind die Ungarndeutschen vielleicht natio - nalistisch?” Stefan überlegt. „Hm. Ich kenne viele Ungarndeutsche die nationalistisch sind. Aber madjarisch nationalistisch.” Man sagt, anno sei der Volksbund nationalistisch bzw. sogar nationalsozialistisch gewesen. Diesmal fragt Stefan den Josef: „Stimmt das, was man uns da in die Schuhe schieben will?” Josef überlegt: „Blödsinn. Wussten doch unsere Landsleute mit solchen politischen Begriffen nichts anzufan- gen. Gefühlsmäßig waren viele deutschnational gesinnt, also volksbe- wußt, aber in Wirklichkeit dennoch ungarische Patrioten. Heute wür - de man dazu sagen: Politische Doppelidentität.” –ri– O Von Gestor-Schule in die Eigenständigkeit Schulen in der Trägerschaft deutscher Selbstverwaltungen Teil 4 – Grundschule Tscholnok/Csolnok Von Richard Guth Das vor dem Weltkrieg erbaute Schulgebäude bestimmt die Orts - mitte, nebst Kulturhaus und anderen sozialen und kulturellen Einrichtungen. Eine enge Treppe führt zum Dienstzimmer der Schul leiterin, einst Teil des Wohnungstrakts für Grundschul päda - gogen. Den Flur rechts schmücken Zeichnungen der Grund - schüler zum Schwerpunkt „schwäbische Traditionen” mit ungari- schen und deutschen Erläuterungen. Helga Mayer, einst Absol - ventin und seit 19 Jahren Lehrerin der Dorfschule in der einst vom Bergbau geprägten Gemeinde Tscholnok nahe Daurag/Dorog, empfängt mich. „Wir sind eine verhältnismäßig kleine Schule, mit etwa 220 Schülerinnen und Schülern, die bis auf wenige Ausnahmen aus Tscholnok selbst kommen”, gewährt die Schulleiterin Einblick in die Zahlen. „Bei uns wird integrativer Unterricht angeboten, darüber hinaus kümmern wir uns um Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher sozialer Herkunft, wenngleich die überwältigen- de Mehrheit der Kinder aus intakten Familien kommt”, so Mayer. Die niedrige Schülerzahl mache sie eher zu schaffen, denn eine Gruppenteilung oder in vielen Jahrgangsstufen gar die Einrich - tung einer zweiten Klasse erscheine momentan als schwierig. „Einst, in den 70er Jahren, besuchten die zwei Schulstandorte in Tscholnok und in der Rákóczi-Kolonie etwa 500 Schüler”, erin- nert sich Agatha Hárs, Mitglied der Deutschen Selbstverwaltung und langjährige stellvertretende Schulleiterin der Grundschule Tscholnok. Auch Helga Mayer bestätigt, dass sich die Zeiten geän- dert hätten: „Damals, als ich hier ang efangen habe, hatten wir in jeder Klasse gut 5–6 Schüler, die Deutsch- beziehungsweise Mundartkenntnisse von zu Hause mitgebracht haben. Heute freut man sich über eins-zwei in der ganzen Schule”. Rahmenbedingungen, die Konsequenzen für das Unterrichts - angebot haben. „Wir waren Ende der 1980er Jahre mit die ersten, die den zweisprachigen Unterricht eingeführt haben. Das Prog - ramm lief bis Mitte der 90er Jahre. Da mussten wir aufhören, wegen der immer geringeren Schülerzahlen und der mangelnden Versorgung mit Fachlehrern”, erinnert sich die pensionierte Deutschlehrerin Agatha Hárs. Nichtsdestotrotz sind Schule und Selbstverwaltung willens, die Zweisprachigkeit an der Schule zu stärken, was angesichts der beiden Problemfelder sich als schwie- rig gestalte, so die Gesprächspartner. Auch ein langer Wunsch beider Deutschpädagogen sollte diesem Ziel dienen: Das En - gagement eines Muttersprachlers, der nicht nur die Schüler ani- mieren soll, sondern auch die Deutschkollegen, die Sprache aktiv zu benutzen. Denn die Entscheidung zugunsten der Übernahme durch die Deutsche Selbstverwaltung war auch dem Wunsch geschuldet, wieder alles in eigener Regie zu handhaben. Gerade nach Jahren als Gestor-Schule (Koordinatorenschule) eines Schulverbundes, der fünf Schulen der Umgebung umfasste. Anfangs hatten sie Angst, die Trennung würde sich schwierig gestalten und die Pläne für eine Übernahme zunichte machen, aber der Prozess verlief nach Angaben der Schulleiterin problemlos. „Die Übernahme bedeutete eine Entbürokratisierung, Entscheidungsprozesse hät- ten sich beschleunigt, nicht zuletzt dank der engen Zusam - menarbeit mit der Trägerin, allen voran mit dem Vorsitzenden der Deutschen Selbstverwaltung, Ladislaus Sax”, so Helga Mayer. Als nützlich erwies sich auch, dass der Vorsitzende gleichzeitig Mitglied des Gemeinderates ist. Die Finanzbuchhaltung läuft, wie bei vielen anderen Schulen, die von örtlichen Selbstverwaltungen übernommen wurden, über das Gemeindeamt, was gerade im Falle einer kleinen Schule eine große Hilfe bedeute, so die Rektorin. Ähnlich wie in Hartian findet ein reger Austausch zwi- schen Gemeinde, Gemeinschaft und Schule statt: So werden Schüler in die Arbeit des so genannten „Schwowisch-Disch - kursch” einbezogen, gemeinsame Projekte wie zum Beispiel das Faschingsprojekt „Rund um Krapfen und Faschingsbräuche” rea- lisiert. Darüber hinaus sollen die Schüler bei der 300-Jahr-Feier der Ansiedlung im August aktiv mitarbeiten. Im Gegenzug unter- stützen Gemeinderat und Deutsche Selbstverwaltung den Schüleraustausch mit Ubstadt-Weiher, der jährlich stattfindet. Auch finanziell hätte die Übernahme eine Erweiterung der Ressourcen bedeutet, wie im Falle aller bislang vorgestellter Schu - len, so dass die Schule aus dem Ersparten im Sommer Inves - titionen, die lange aufgeschoben wurden, tätigen kann, so unter anderem die Erneuerung der Nasszellen und der Küche. Weiter werden vom Träger die Rekonstruktion des Daches und der Heizung geplant. Diese werden wohl größtenteils aber aus Fördergeldern realisiert. Pläne, die noch auf ihre Verwirklichung warten. Genauso die Stärkung des bilingualen Charakters der Schule, was sich gerade im Falle von Kleinschulen ohne oder mit kaum Möglichkeit für Gruppenteilung als schwierig erweist. Ohne Deutschkenntnisse von zu Hause ist der zweisprachige Unterricht für viele der Schüler eine zusätzliche Belastung, zumal viele selbst mit der nun „Muttersprache Ungarisch” Schwierigkeiten haben, was nicht alle auf sich nehmen wollen. Auf der anderen Seite wäre bilingualer Unterricht gerade in so jungen Jahren sinnvoll, mit entsprechen- den vorbereitenden Kindergartenangeboten. Denn eins steht fest: Sprache und Identität gehen Hand in Hand, eine Erkenntnis, die (Fortsetzung auf Seite 6) 5