MOTTO ______________________________________________
Alle Wahrheit durchläuft drei Stufen . Zuerst wird sie lächerlich gemacht , zweitens bekämpft und drittens als selbstverständlich angenommen .
Arthur Schopenhauer Durch die Gasse der Vorurteile muss die Wahrheit ständig Spießruten laufen .
Indira Gandhi
Nur umgesetzte Rechte taugen etwas
Die Selbstverwaltungen im Nationalitätengesetz
I Es liegt auf der Hand : Nur jene Gesetze und Rechte taugen etwas , die in die Tat umgesetzt werden .
Das jüngste Nationalitätengesetz ( NG ) gibt sich recht großzügig , wenn es Rechte der ungarländischen Volksgruppen in Worte fasst . Bescheidener geht es vor , wenn es um handgreifliche Möglichkeiten und Mittel wie für den Staat verbindliche Ent-
I Scheidungen oder um Finanzen geht . In den jüngsten Jahren hat
der Staat die Minderheitenselbstverwaltungen nicht gerade mit ; Geld geflutet . Unterstützungen sind nicht der Inflation angepasst , sondern eher eingefroren worden .
Viele recht verzwickt formulierte Paragraphen , ganze Absätze lassen Eile erkennen . An zahlreichen Stellen wimmelt das Gesetz von geradezu peinlich detaillierten Regelungen . Die lassen den Verdacht aufkommen , als wollten Regierung und Parlament uns Minderheitenbürgem nahelegen , wie wir unsere Anliegen zu verwalten , wie wir uns zu verhalten haben , als wollten sie uns den
[ einzigen richtigen Weg weisen , den wir zu begehen haben , der uns
zum Ziel führt . Für eigene Vorstellungen und Eigeninitiativen bleibt da kaum Raum . Vieles wäre bestimmt anders formuliert worden , wäre dem Regelwerk ein umfassender lebendiger Meinungsaustausch mit den Volksgruppen vorausgegangen . Das hätte mit Sicherheit der Sache gedient .
Mittel und nicht Ziel
Das Gesetz widmet dem Thema Nationalitäten-Selbstverwaltungen ( NSVW ) mit Abstand den größten Raum . Als wären sie das Ziel und nicht das Mittel zum Ziel . Kein anderes Thema ist so ausführlich geschildert wie die Wahl und das Wirken der NSVW . Dieser Abschnitt des Gesetzes umfasst mehr als 30 gedruckte Seiten . Zum Vergleich : Unterricht , Kultur und Medien - Kernfragen der Volksgruppen - werden auf sechs Seiten behandelt . Weniger Wichtiges lenkt von Wichtigerem ab .
Die in demokratischen Wahlen ins Leben zu rufenden Selbstverwaltungen der Nationalitäten mit dem Status einer Rechtsperson sind laut Gesetz berufen , die Rechte der Nationalitäten-Gemeinschaften geltend zu machen , ihre Interessen zu schützen und zu vertreten , ihre kollektiven Anliegen örtlich , regional und landesweit wahrzunehmen . Dazu gehören u . a . die kulturelle Autonomie , schulische , kulturelle , mediale und wissenschaftliche Einrichtungen , Vereine , geistige , historische , religiöse und gegenständliche Traditionen .
Die einzelnen Volksgruppen können in Dörfern , Städten und in Bezirken der Hauptstadt örtliche , in Budapest und in den Komitaten regionale sowie landesweite Selbstverwaltungen wählen .
Bekenntnis zur Volksgruppe angemahnt
Der Gesetzgeber nahm sich das Recht , die Zahl der Abgeordneten selber und exakt festzulegen . Dafür hat das Namensverzeichnis zu den Wahlen herzuhalten . Wahlberechtigt sind jene Minderheitenbürger , die sich bis zur Bekanntgabe des Wahltages ins Wahlregister der betreffenden Nationalität haben eintragen lassen . Das Gesetz mahnt die Minderheitenbürger an , sich zur Volksgruppe zu bekennen . Richtig . So , wie es sich gehört und wie es den Tatsachen entspricht .
Scheinen in diesem Register weniger als hundert Wahlberechtigte auf , können drei , ab hundert vier Abgeordnete in die örtlichen Körperschaften gewählt werden .
Die regionalen Organisationen werden einheitlich aus sieben Vertretern bestehen .
Die Landesselbstverwaltungen werden sich ebenfalls nach ausgeklügelten Schlüsseln zusammensetzen . Als hätten Zahlen eine magische Kraft . Als würden sich die Anliegen , die Existenz einer Volksgruppe auf Abgeordnetenzahlen gründen .
Auf nicht mehr als 5000 Wähler im Namensverzeichnis entfallen 15 ; auf mehr als 5000 Wahlberechtigte 23 ; auf mehr als 10 000 Wähler 31 ; auf mehr als 25 000 Wahlbürger 39 ; auf mehr als 50 000 Verzeichnete 47 Abgeordnete . Die deutsche Volksgruppe wird es erwartungsgemäß zu 47 Mitgliedern der Vollversammlung bringen . Warum gerade diese Zahlen ? Das lässt das Gesetz offen .
Gewählt werden können Wahlbürger , die bei den Kommunalwahlen wahlberechtigt sind ; sich verpflichten , die Volksgruppe zu vertreten ; in den zurückliegenden zehn Jahren nicht von einer anderen Nationalität kandidiert wurden ; die Sprache der Volksgruppe sprechen , deren Kultur und Traditionen kennen .
Reicht es , guten Tag sagen zu können ?
Auf den ersten Blick sind das akzeptable Bedingungen . Im gleichen Atem fragt man sich : Wer wohl wird den Sachverhalt prüfen ? Vor allem die Sprachkenntnisse . Und in welchem Maße muss der Kandidat die Sprache beherrschen ? Reicht es , wenn einer oder eine nur „ Guten Tag !” oder „ Auf Wiedersehen !” sagen kann ? Wird man vor Sachverständigen eine Polka oder einen Walzer tanzen und ein deutsches Lied singen müssen ? Und wird dann ein Gutachten ausgestellt ? Und es drängen sich weitere und wichtigere
( Fortsetzung auf Seite 2 )