Sonntagsblatt 2/2023 | Page 33

Dorf . Daraufhin wurde ihm gedroht , der Sohn würde die Anstellung als Lehrer verlieren . Danach trat Opa der Genossenschaft bei , durfte aber eine Zeit lang ein Stück vom Weingut und angrenzend ein Stück Ackerland zum Bewirtschaften behalten . Er starb 1962 .”
„ Mein Vater verschwieg die deutsche Herkunft der Familie , obwohl meine Oma - aus einer ebenfalls wohlhabenden Wikaler Familie - Mundart mit uns sprach . Wir haben ihr dafür Ungarisch beigebracht . Auch Mutter und Vater sprachen ab und zu deutsch miteinander , wenn wir was nicht verstehen sollten ”, erzählt die heute 79-Jährige . Erst später sei ihr ihr Deutschtum bewusst geworden : „ Über meine Geburtsurkunde , die ich bei der Beantragung des Personalausweises brauchte , erfuhr ich , dass ich als Wagner geboren wurde . Ich habe das Leöwey-Gymnasium in Fünfkirchen besucht und vier Jahre lang Deutsch gelernt . Am Gymnasium gab es sogar eine Klasse mit deutscher Unterrichtssprache - sie hatten alle Fächer bis auf Ungarische Sprache und Literatur auf Deutsch – die Abiturienten gingen danach fast geschlossen zur Pädagogischen Hochschule .” Anfang der 1990er Jahre traf sie sich öfters mit Heimatvertriebenen , die in ihrer Kindheit Ungarn verlassen mussten . Das hat nach eigenen Angaben die Verbundenheit mit dem Deutschtum gestärkt und dazu geführt , dass sie nun die deutsche Sprache wieder auf „ Anwenderniveau ” beherrsche .
Auch schon damals waren für sie „ das Evangelischsein das bindende Glied ” und die Gemeinschaft ; weniger entscheidend war die ethnische Herkunft . Die vielen Heimatbesuche der Vertriebenen seien mit der Zeit immer weniger geworden . Dadurch verlor nach ihrem Eindruck die heimatverbliebene Gemeinschaft an Kraft , so dass es heute nur noch 50 Deutsche in Ratzkoslar lebten - auch als Ergebnis der Landflucht und „ des fehlenden Interesses der Jugendlichen am deutschen Erbe ”. Zudem seien die Deutschen zu passiv , was sie an einer Grabreinigungsaktion in Ratzkoslar demonstriert , die sie zusammen mit nur einer geladenen Person stemmen musste , die anderen hätten nicht reagiert . Auch die Arbeit der deutschen Selbstverwaltungen sieht Wagner kritisch : Sie sei in ihrer Wahlheimat Raab / Győr aktives Mitglied der deutschen Gemeinschaft - unter anderem mehrere Jahre als Sängerin im Rosmarein-Chor - und bekenne sich bei den Volkszählungen stets zur deutschen Volkszugehörigkeit : „ Die Nationalitätenselbstverwaltungen funktionieren nur zum Schein , sowohl hier in Raab als auch in Ratzkoslar . Sie tun einfach zu wenig und es geht ihnen um die Posten . Ein-zweimal im Jahr wird die Vergangenheit lebendig , aber nach dem Aussterben dieser Generation wird das verschwinden und damit auch die Erinnerungen . Übrigens auch ein Phänomen , das auch andere deutsche Gemeinschaften in der Welt betrifft , zu denen ich Kontakt habe !”
Genauso schmerzlich fand sie den Abbau des Heldendenkmals von 1848 / 49 auf dem Platz vor der evangelischen Kirche Mitte der 1990er Jahre , an dessen Stelle ein Turul und das Doppelkreuz gekommen seien . Die Gedenktafel zu Ehren der Gefallenen der beiden Weltkriege - alle Deutsche - habe man nur am Zaun der evangelischen Kirche anbringen können . „ All dies mit Billigung des deutschstämmigen Bürgermeisters !”, betont Wagner . Den Turul hätte man im Umkreis der neu an der Stelle eines alten deutschen Hauses errichteten katholischen Kirche aufstellen können , wo er hingehöre , so die Zeitzeugin .

FEUILLETON

JINK 300

Fotobuch gedenkt deutscher Vergangenheit einer Tolnauer Gemeinde
Von Josef Kiss
Unter diesem Motto entstand zu Pfingsten 2022 das heimatgeschichtliche Fotobuch von Jink / Gyönk . Das Fotobuch „ Die Vergangenheit lebt mit uns “ bekam diesen Titel nach einer Ausstellung von alten Fotos anlässlich der Errichtung der Gedenktafel im Jahre 2016 , die an die Verschleppung und Vertreibung der Jinker Bürger erinnert . Frau Margarethe Lerch-Kocsis als Leiterin der örtlichen Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung sammelte noch viele weitere alte Fotos von den Jinkern , die vor 1945 schon in Tolnauer Gemeinde beheimatet waren . Sie besuchte im Sommer 2021 die Heimatsammlung von Josef Kiss und entdeckte , dass dieser dort sehr viele Fotos in verschiedenen Fotoalben aufbewahrt . So entstand die gemeinsame Idee der Veröffentlichung eines Fotobuches über die Vorfahren der Jinker - ohne den Anspruch auf Vollständigkeit .
Im Jahre 1722 kam eine große Gruppe deutscher protestantischer Siedler aus Hessen an und fand in Jink eine neue Heimat . Durch das Erscheinen des Fotobuches gedenken wir würdigend des 300-jährigen Jubiläums der Neubesiedlung dieses Dorfes . Dieses Buch mit den mehr als 300 Fotos lässt das
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