GINISDORF
DAS ERBE ( 7 )
GINISDORF
Von Richard Guth
Ein Dorf an der Grenze , das durch die Grenzziehung als einziges von seinem Zentrum getrennt wurde : Die Rede ist von Ginisdorf / Nemesmedves , Komitat Eisenburg , unweit der Grenzstadt St . Gotthard / Szentgotthárd . Das Stadtfernsehen von St . Gotthard berichtete im Februar über die Gemeinde , die in der Wendezeit nur noch von sieben Bürgerinnen und Bürgern bewohnt wurde („ ein Tiefpunkt ”), während sie vor dem Zweiten Weltkrieg noch von mehreren hundert „ Schwaben ” bevölkert wurde , wie der ehrenamtliche Bürgermeister Ferenc Mesics im Beitrag berichtet .
Bekanntheit erlangte Ginisdorf durch den Umstand , dass es die letzte Ortschaft in Ungarn war , die von der Roten Armee befreit und besetzt worden war . Das historische Datum 4 . April diente jahrzehntelang als Tag der Befreiung und war ein gesetzlicher Feiertag ; wohlgemerkt berichteten Zeitzeugen noch von bis zum 11 . April andauernden Kämpfen zwischen deutschen und sowjetischen Einheiten . Bürgermeister Mesics , der als Pionier damals nach Ginisdorf abkommandiert worden war , um den Tag zu feiern , betrachtet diesen Tag aus der Perspektive von heute durchaus differenziert : Er sagt , dass dieses Datum für die Menschen , die man vor der Zwangsarbeit in Arbeitslagern gerettet habe , eine Befreiung bedeutet habe , aber für diejenigen eine Besetzung , die infolgedessen ihren Besitz durch Reparationsforderungen verloren . So auch für die meisten Bewohner von Ginisdorf : Ferenc Mesics spricht von 417 Bewohnern , von denen 298 vertrieben wurden . Die verbliebenen zehn Familien deutscher Nationalität und die „ telepesek ”, die nach der Vertreibung kamen , hätten dann nach der Befestigung der Grenze durch Minenfelder und dank der militärischen Dauerpräsenz das Dorf verlassen .
Einer von ihnen - erzählt mir Ferenc Mesics , eigentlich Förster von Beruf , in seinem Einfamilienhaus , einem Bau neueren Datums - sei ins Dorf zurückgekehrt und habe ein Grundstück samt Haus erworben , denn das alte Haus habe nicht mehr bestanden . Und tatsächlich : Im Sackgassendorf stehen nur wenige alte Häuser : manche im Verfall begriffen , manche hingegen - wie das genannte Haus des Heimgekehrten oder das ehemalige Schulgebäude gegenüber dem Monument mit dem Panzer - schön hergerichtet . Der Heimgekehrte , der auf beiden Seiten Ländereien besessen hatte , so Mesics , habe nach dem Verlassen des Dorfes im nahe gelegenen Güssing gelebt . Insbesondere die Installation des S100-Signalsystems mit ständigen Kontrollen im Nachgang habe den Verfall des Dorfes beschleunigt , wo die Häuser der Vertriebenen noch von Binnenmigranten aus Nordostungarn bezogen worden seien . „ Leider kam nicht die Creme zu uns , sondern Leute , die auch daheim nicht Fuß fassen konnten . So gab es ständig Streit und Auseinandersetzungen ”, gibt Mesics zu bedenken . Der Verfall des Dorfes ist auch in dem Sinne zu sehen : Aufbrauchen der Ressourcen , Abreißen der Häuser und Verkauf des Baumaterials . So verschwand die alte Bausubstanz peu à peu .
In Folge historischer Ereignisse hat sich Ginisdorf zu einem Sackgassendorf ohne ÖPNV-Anbindung ( Bus und Bahn ) entwickelt , auch wenn die alte Straßenführung in Richtung der ehemaligen Kreisbzw . jetzigen Bezirksstadt Güssing erhalten geblieben sei . Der Grenzübergang ist mit normalen Pkws kaum passierbar ( auch wenn Google Maps anderer Meinung ist ) und darf nur von Fußgängern , Fahrradfahrern und Reitern passiert werden . Als einzige Gemeinde des Landkreises Güssing verblieb Ginisdorf bei Ungarn Die alten Verbindungen hätten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bzw . bis zum Beginn der Vertreibung bestanden , zumal viele Dorfbewohner noch Grundbesitz im nun österreichischen
16 SoNNTAGSBLATT