Sonntagsblatt 2/2020 | Page 28

Literatur s SB: Sie sind Musiker, allerdings gehört Bluesgitarre nicht zu den traditionellen ungarndeutschen Musikinstrumenten - hatte das musikalische Leben in Tscholnok dennoch einen Einfluss darauf? 28 Erinnerungsstücke Der Tscholnoker Musiker und Schriftsteller Gábor Pfeiffer über sein neues Buch „Fußspuren im Matsch“ SB: Sie sind gerade mit einem Roman fertig geworden, der den Titel „Fußspuren im Matsch“ trägt. Was hat Sie dazu bewogen die Pfeiffer-Familiengeschichte in dieser Form zu verarbeiten? GP: Ehrlich gesagt habe ich mich früher nicht wirklich mit der Vergangenheit meiner Familie und meines Heimatdorfes Tscholnok/Csolnok beschäftigt. Ich habe von meinen Eltern und Großeltern in meiner Kindheit wohl Geschichten gehört, aber diese berührten mich damals nicht wirklich. Beim Urlaub – vor etwa vier Jahren – habe ich eine fünfköpfige deutsche Familie erblickt. Der Junge, der dabei war, erinnerte mich an ein anderes Kind aus der Verwandtschaft. Erst habe ich mir vorgenommen, dem Lebenslauf dieses Kindes zu folgen. Es kam aber anders. Aber als ich dann doch Nachforschungen angestellt habe, kamen mir die vor langem gehörten Geschichten wieder in den Sinn. Der Roman selbst besteht aus drei Teilen. Alles hat einen Tatsachenkern, aber die Geschichte enthält auch fiktionale Elemente. Beim ersten Teil geht es um die Lebensgeschichte um des jüngeren Brudersmeines Großvaters väterlicherseits. Er verschwand in der Ukraine. Wir wissen nicht viel über ihn. Dieses Kapitel ist meist fiktional. Natürlich taucht in der Geschichte der Alltag im damaligen schwäbischen Dorf auf. Es geht dabei um Liebe, Krieg, Freundschaft, Geburt und Tod. Beim zweiten Teil des Romans geht es um die Geschichte der jüngeren Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits. Dieser Teil fußt auf mehr Tatsachen. Diese Schwester heiratete einen Wudigesser und wurde von dort mit vier weiteren Familienmitgliedern vertrieben. Eine Reihe tragischer Ereignisse erwartete sie in der neuen Heimat. Zum Glück hat einer ihrer Söhne vieles aufgezeichnet, deshalb hatte ich bei diesem Kapitel ein leichteres Spiel. Der dritte Teil des Romans beschreibt schließlich den Deutschlandbesuch meiner Eltern im Jahre 1965. Ich habe recht viel geforscht, damit das Buch, soweit möglich, authentisch wirkt. Viele der Information waren neu für mich. Und ich denke, sie werden auch für viele anderen neu sein. Womöglich werden auch einige Politikernamen überraschend vorkommen. Ich wollte keinen Roman schreiben, der die Ereignisse dokumentiert, sondern vielmehr ein Lebensgefühl vermitteln, nichtsdestotrotz enthält das Werk unzählige konkrete Angaben zum historischen Hintergrund. Dienerschaft, Holocaust, Kirmesball, SS-Rekrutierung, Gefangenenlager, der Sozialismus der 1960er Jahre... SB: Wie haben Sie das ungarndeutsche Dasein selber erlebt? GP: Ich habe bereits als Kindergarten- bzw. Grundschulkind Deutsch gehabt. Mein Bruder hat erst im Kindergarten Ungarisch gelernt. Bis dahin sprach er nur Schwäbisch, die Sprache in der Familie. Meine Großeltern trugen noch Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre die Volkstracht. Ich selbst fühlte mich – was ich ein wenig bedauere und wofür ich mich schäme – in meiner Kindheit und Jugend kaum mit dem Schwabensein verbunden. Die Zusammensetzung der Bevölkerung hatte sich in der Zwischenzeit bedeutend verändert. Ich habe auch eine Nichtschwäbin geheiratet. Leider Gottes sprechen meine Söhne kein Deutsch, obwohl sie diese Sprache 12 Jahre lang gelernt haben. Daran bin ich auch schuld. Trotzdem ist bei uns die deutsche Identität immer noch sehr stark, weil es viele Kulturgruppen gibt, die die Traditionen pflegen. In der Umgebung gilt Tscholnok immer noch als schwäbisches Dorf. GP: Mein Bruder hat einige Jahre Trompetenunterricht in der örtlichen Großkapelle genommen, aber diese Art von Musik hat mich nie fasziniert, auch jetzt stehe ich nicht wirklich auf Schrammelmusik. Obwohl ich die Bläser in meiner Musikrichtung durchaus mag. Bereits früh habe ich Rock und Blues gehört. Ich war, glaube ich, fünf Jahre alt, als ich eine Spielgitarre bekommen habe. Ich wollte schon immer Gitarre spielen und singen, obwohl Singen mittlerweile nicht mehr Teil meines Alltags ist. Im Übrigen ist das musikalische Leben im Dorf sehr rege. Es gibt Blaskapellen, Chöre und Tanzgruppen. SB: Wie sehen Sie die gegenwärtige Lage der Ungarndeutschen in Tscholnok und anderswo? GP: Ich denke, wenn jemand sein Schwabensein erleben möchte, kann er das auch. Die Kinder lernen in der Nationalitätenschule Deutsch und es gibt unzählige Gruppen in Tscholnok, die die Traditionen bewahren wollen. Leider tat die Politik der Nachkriegszeit, egal welchen Couleurs, dem Verhältnis zwischen Schwaben und Madjaren nicht gut, aber das spürt man heute nicht mehr. Auch darüber schreibe ich in meinem Roman. Hin und wieder, von hie und da höre ich despektierliche Äußerungen, aber ich denke, das ist heute nicht mehr allgemeingültig. SB: Sie haben sechs Jahre in Österreich, im deutschsprachigen Umfeld verbracht - welchen Einfluss hatte es auf ihre (ungarndeutsche ) Identität? GP: Da ich Mundart spreche, dachten in Österreich viele, dass ich die Sprache sehr gut beherrsche, was anfangs nicht ganz stimmte. Es war aber eine gute Gelegenheit, um meinen Wortschatz aufzufrischen. Ein Beispiel: Ganz am Anfang fragte mich in Innsbruck ein Kollege von mir, seit wann ich dort arbeite. Ich zeigte mit dem Finger: seit zwei. „Seit zwei Jahren?”, fragte er? „Nein”, sagte ich, „seit zwei Monaten.” In meiner letzten Arbeitsstelle gab es einen Mazedonier, der seit seiner Kindheit in Österreich lebte. Er hat mich oft korrigiert, weil er nur Hochdeutsch sprach. Es ist witzig, mein jetziger Chef in Ungarn ist ein deutscher Herr, der meint, ich würde österreichisch sprechen. Ich habe eine beachtliche Karriere mit meinen lückenhaften Sprachkenntnissen durchlaufen. Da ich in dem Umfeld eher akzeptiert wurde als Söhne von anderen Nationen oder waschechte Madjaren, habe ich mich gefreut und war stolz, dass meine Eltern und Großeltern mir damals das Schwäbische beigebracht haben. Ich fühlte mich wie ein Verwandter unter ihnen. Vielleicht spielte es mit eine Rolle, dass ich mit dem Romanschreiben begann. SB: Wir haben bei der Vergangenheit begonnen, werfen wir deswegen einen Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie die Zukunft der Deutschen in Ungarn? GP: Ich denke, wir haben in unserer Heimat alle Möglichkeiten, um unser Schwabensein zu erleben. Vielleicht - unsere parlamentarische Vertretung ist nicht gelöst. Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch dazu beitragen kann, dass unsere Vergangenheit, Bräuche und Sprichwörter nicht in Vergessenheit geraten. Das Motto meines Buches lautet ja: „Manch einem wird mehr, man einem weniger Zeit auf Erden zuteil“. Dennoch hinterlässt jeder Spuren in uns und der unendlichen Geschichte. Es kann vorkommen, dass wir nur für Tage oder Monate im Leben eines anderen auftauchen, aber durchaus auch, dass wir zu Weggefährten, Partnern und Freunden eines anderen werden. Es gibt Menschen, denen nur ein-zwei Jahrzehnte gegönnt wird und die das Gefühl haben, nichts hinterlassen zu haben. Es gibt aber solche, denen wesentlich mehr Zeit gegönnt ist, aber dennoch meinen, ein langweiliges Leben zu führen. Es gibt welche, die nur ein Gedicht hinterlassen und welche, die ein Lied und wiederum welche, die ein Haus, mit den eigenen Händen gebaut oder SoNNTAGSBLATT