Leitartikel
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Aktuelles
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Trianon 100 - Rückblick und Ausblick
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Vor hundert Jahren am 4. Juni 1920 wurden die neuen Grenzen
Ungarns in Versailles bestimmt und das Friedensdiktat von
Trianon unterzeichnet, unter dessen Folgen wir bis heute leiden
- sowohl als Ungarn als auch als Donauschwaben. Aus madjarischer
Perspektive beschäftigt man sich mit diesem Thema sehr
viel; jeder kennt die Tatsachen, die rohen Statistiken muss man
also nicht vorstellen. Das Friedensdiktat von Trianon war aber
nicht nur fürs Madjarentum eine Tragödie, sondern auch für alle
Volksgruppen des Karpatenbeckens.
Wir haben durch das Diktat unglaublich viel verloren und die Ereignisse
nach Trianon haben die Zukunft des Deutschtums im
Karpatenbecken besiegelt. Vielsprechend ist, wie sich die Anzahl
der Deutschen im Karpatenbecken in den letzten 100 Jahren
verringert hat: 1910 gab es etwas mehr als 2 Millionen Deutsche
in den Ländern der ungarischen Stephanskrone, heute leben auf
diesem Territorium etwa 480000 Deutsche, Deutschsprachige
oder Deutschstämmige. Mehr als die Hälfte davon in dem österreichischen
Bundesland Burgenland.
In den Jahrzehnten vor Trianon begann die Entstehung einer
deutschen Nation von Hungarus-Identität in dem Karpatenbecken.
Obwohl dahinter keine große Bewegung stand, kann
man dennoch mit Sicherheit sagen, dass ein Teil der damaligen
ungarndeutschen Intelligenz dahinter stand. Edmund Steinacker
war der bekannteste Fahnenträger dieser Idee, deren Weiterentwicklung
nach Trianon nicht mehr möglich war, Zweidrittel der
ungarndeutschen Bevölkerung wurde ja von Ungarn abgetrennt.
Die Ungarndeutschen haben neben einer möglichen nationalen
Identität wirtschaftlich auch sehr viel verloren. In vielen Fällen befanden
sich die Deutschen plötzlich in einer Grenzregion: Die in
Westungarn gebliebenen deutschen Gemeinden waren an einer
Grenze statt das pulsende Herz eines Imperiums zu sein, in der
Branau war die Situation ähnlich. Der Vertrag und dadurch die
Trennung wirtschaftlich zusammengehöriger Regionen - später
gemeinsam mit dem Eisernen Vorhang - haben diese Regionen
kaputtgemacht, was später Aus- und Abwanderung zu Folge hatte
bzw. hat.
Man könnte diese Liste der Verluste erweitern, aber man darf
nicht in der Vergangenheit leben und dieses Ereignis hat wichtige
Botschaften nicht nur für uns, sondern auch für unsere Nachkömmlinge.
Wir müssen etwas traurig feststellen: Die madjarische Elite hat
keine Lehre gezogen, dafür ist das neue Trianon-Denkmal in
Budapest ein gutes Beispiel. Das Denkmal beinhaltet alle Ortsnamen
Großungarns aus dem Jahre 1913 - eine Liste zusammengestellt
nach der Welle der Ortsnamenmadjarisierung. Und
alles einsprachig! Das spiegelt nicht gerade wieder, dass man
verstanden hat, was auch früher das Problem war.
Wichtiger ist aber, dass wir eine positivere Botschaft formulieren:
Wir sollen an einer gemeinsamen Zukunft im Karpatenbecken
arbeiten. Unabhängig von der Staatsbürgerschaft oder der Muttersprache
teilen wir das gleiche Schicksal so heute wie vor Jahrhunderten.
Und das kann Trianon auch nicht beeinflussen.
Corona geht auch an den
Fördergeldern für Nationalitäten
nicht spurlos vorbei
Streichungen und Umstrukturierungen bei den
ungarischen und deutschen Fördergeldern
für die deutsche Minderheit
Von Richard Guth
Am 13. Mai 2020 erschien im Amtsblatt ein Regierungserlass mit
der Nummer 1215/2020, der zu Lasten der Förderung von Aktivitäten
der Minderheiten knapp 1 Milliarde Forint (964 623 634 Forint,
2,75 Millionen Euro) umschichtet. Nutznießer der Entscheidung
sind die Kirchen, die diese Summe für den „Schutz des
Bauerbes” einsetzen können. Die Regierung begründete damals
diese Entscheidung mit der Corona-Ausnahmesituation, erläuterte
aber nicht, auf welche Weise diese „Ausgaben zwecks von
Anhäufung”, wie es im Erlass steht, mit den Schutzmaßnahmen
in Verbindung stehen.
Bereits eine Woche zuvor erhielten unter anderem ungarndeutsche
Organisationen, die eine Bewerbung beim Gábor-
Bethlen-Fondsverwalter eingereicht haben, ein Schreiben, in
dem diese vom Vorhaben der Regierung informiert wurden.
Darin berief man sich ebenfalls auf die besondere Situation
und das Ziel die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen
der Krise dämpfen zu wollen. Die Einschränkungen beträfen
(zum damaligen Zeitpunkt, R. G.) auch die Nationalitätenlager
und die gemeinschaftlichen Programme, so die Mitteilung des
Bethlen-Fondsverwalters. Die Betonung liegt hier in der Tat auf
dem Wort „auch”, denn daneben wurden im Rahmen der nun
vorläufig eingestellten Programme NEMZ-KULT (Nationalitätenkultur)
und NEMZ-TAB (Nationalitätenlager) Konferenzen, Forschungsprojekte,
die Herausgabe von Publikationen jeglicher
Art, so auch von Zeitungen, Zeitschriften, und die Einrichtung
und Pflege von Internetseiten gefördert, also eine große Brandbreite
an Aktivitäten von Nationalitätenorganisationen, die auch
das Alltagsgeschäft dieser maßgeblich bestimmen. Der Bethlen-Fondsverwalter
würde sich im nächsten Jahr je nach Haushaltslage
bemühen, die nun zurückgewiesenen Bewerbungen
bevorzugt zu berücksichtigen. Die einzige Kategorie, in der die
Gelder ausgezahlt wurden und werden, ist die für Betriebskosten
(NEMZ-CISZ).
Gleichzeitig kündigte der Fondsverwalter eine neue Bewerbungsrunde
für die betroffenen Organisationen an, in deren Rahmen
Investitionen, Erneuerungen und Erhaltungsmaßnahmen
(von Immobilien und Gegenständen) in Höhe von bis zu zwei
Millionen Forint (5680 Euro) gefördert werden sollen, um auf diese
Weise mittelständische Unternehmen zu unterstützen und die
Wirtschaft wiederzubeleben. Die Höhe der Gesamtfördersumme
ist nicht bekannt.
Auch „Treffpunkt am Vormittag”, die deutsche Sendung der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalt MTVA, beschäftigte sich
wenige Tage später mit der umstrittenen Maßnahme. Angelika
Pfiszterer von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
lieferte im Gespräch auch keine Erklärung für die Entscheidung,
sprach aber von mehreren hundert Organisationen, Vereinen
und Selbstverwaltungen, die betroffen seien. Sie sprach im Gespräch
von 700 Millionen Forint für kulturelle Aktivitäten und 400
Millionen für Sommercamps. Selbst solche Projekte erhielten
keine Förderung, die bereits im Spätwinter diesen Jahres rea-
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