Sonntagsblatt 2/2018 | Page 17

vor allem in Osteuropa sind nach dem Fall des Eisernen Vor- hangs die Situation von ethnischen und sprachlichen Minderhei- ten wieder zu Tage getreten. Hingegen ist der Status des einst zu Österreich gehörenden Südtriols, das in Folge des 1. Welt- krieges von Italien annektiert wurde, in Form einer weitreichen- den Autonomie innerhalb des italienischen Staates auf eine in Europa einzigartige Weise geklärt worden, die zu Befriedung und Akteptanz geführt hat. (…) Wird das Ladinische auch von Italienern oder deutschspra- chigen Südtirolern gesprochen? Unter anderem hierüber sprach Martin Jehle mit dem Südtiroler Politiker Daniel Alfreider … Ja, das gibt es. Es gibt keine ethnischen oder kulturellen Res- sentiments, die dem entgegenstehen würden. Welche Sprache dann gesprochen wird bzw. welche Sprache die erste Sprache für die Kinder wird, ist eine private Entscheidung. Da gibt es kei- nen gesellschaftlichen Druck oder ähnliches. Herr Alfreider, wer sind die Ladiner? Die Ladiner sind eine kleine Volksgruppe. Ursprünglich wurde das Ladinische im gesamten östlichen Alpenraum gesprochen, von kurz vor Triest bis in die Schweiz. Die Sprache ist im Laufe der Jahrhunderte durch eine Mischung des Vulgär-Lateinischen und der Sprache der Räter entstanden. Durch Völkerwanderun- gen und den Lauf der Zeit hat sich diese Sprache nur in den abgelegensten Teilen der Alpen erhalten, im Engadin in der Schweiz, im Dolomitengebiet und in der Region Friaul. Nur dort werden heute noch verschiedene Arten der ladinischen Sprache gesprochen. Im Dolomitengebiet, zu dem Südtirol gehört, sind wir noch 30.000 Muttersprachler. Wie ist Stand der ladinischen Sprachgruppe innerhalb des italienischen Staates? Wir sind eine anerkannte Minderheit in Italien. Rund um unse- ren Hausberg, den Sellastock, liegen die vier ladinischen Täler. Zwei der Täler gehören zu Südtirol, die beiden anderen gehö- ren jeweils zu einer anderen Provinz, Trentino und Venedig. Die Zersplitterung der ladinischen Gemeinden auf drei Provinzen er- schwert eine wirksame Interessenvertretung. Diese künstliche Zuschneidung der Provinzen geht noch auf die Zeit unter Musso- lini zurück, der sowohl Südtirol als auch die ladinischen Gemein- de italienisieren wollte, und ist bis heute nicht korrigiert worden. Sie sprechen die oft schwere Geschichte der Südtiroler und Ladiner an. Gibt es in der italienischen Politik immer noch ein – vielleicht auch unterschwelliges – Element, das noch die Auflösung dieser Minderheiten anstrebt? Auf der kulturellen od er ethnischen Ebene gibt es das nicht, aber das System der Autonomie wird natürlich in Frage gestellt. “Wir sind hier in Italien”, ist so ein typischer Ausspruch, den man zu hören bekommt. Wenn man es aber im europäischen Vergleich betrachtet, hat man in Südtirol nach harten Kämpfen in der Ver- gangenheit mit Italien insgesamt gute Lösungen im Umgang mit seinen Minderheiten gefunden. Es gibt keinen Staat in Europa, wo dieses Niveau herrscht. Ganz zu schweigen von der Situation zum Beispiel im Elsass oder in Osteuropa. Ist das Ladinische Schulsprache in den ladinischen Orten? Ja, manche lernen es. Gibt es denn “gemischte” Ehen zwischen Angehörigen ver- schiedener Sprachgruppen und welche Sprache wird dann gesprochen? Sie waren bis zu den Wahlen Anfang März diesen Jahres für die Südtiroler Volkspartei (SVP) Mitglied des italienischen Parlaments, nun streben Sie den Einzug in den Südtiroler Landtag ein. Südtirol hat nur circa eine halbe Million Ein- wohner, von denen rund zwei Drittel Deutsch oder Ladinisch als Muttersprache haben. Wie ist unter diesen zahlenmäßi- gen Verhältnissen gewährleistet, dass die Minderheiten im italienischen Parlament vertreten sind? Es gibt Regelungen zur Vertretung von Minderheiten im italieni- schen Parlament, und auch das Wahlgesetz sieht das vor. Eine Minderheitenfraktion oder Autonomiefraktion kann in der Kam- mer schon ab einer Zahl von drei Abgeordneten und im Senat ab einer Anzahl von fünf Senatoren gebildet werden. Die SVP war in der letzten Wahlperiode mit vier Abgeordneten in Rom, in der aktuellen Wahlperiode sind es drei. Sehen sich die SVP-Abgeordneten primär als Vertreter Süd- tirols bzw. den speziellen Südtiroler Anliegen oder als für Italien insgesamt verantwortlich? Darüber habe ich mir am Anfang auch Gedanken gemacht. Zu- nächst dachte ich auch, dass wir uns mehr einbringen sollten, auch um das Verständnis der anderen Abgeordneten uns gegen- über zu verbessern. Aber die Realität ist eine andere. Wir müs- sen uns ganz überwiegend auf Südtiroler Themen konzentrieren. Rein quantitativ haben wir bei unserer Anzahl an Parlamentariern ja auch Grenzen. Vor allem prüfen wir die nationalen Gesetzes- vorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit dem Südtiroler Autonomie- statut und ihre Auswirkungen auf Südtirol im Allgemeinen. Unser Hauptanliegen ist der Ausbau und die Gestaltung der Südtiroler Autonomie. In welchen Bereichen der Südtiroler Autonomie sehen Sie noch Veränderungs- oder Weiterentwicklungsbedarf? Zurzeit ist das Thema Umwelt noch ein Kompetenzfeld, das im Sinne der Autonomie gestärkt werden muss. Wir haben unsere eigenen Raumordnungsgesetze, aber wir noch nicht die Kompe- tenz der Umwelt. Dazu befinden wir uns in Verhandlungen. Ja, in der Schule ist das Ladinische Unterrichtssprache. Die Hälf- te der Fächer wird auf Ladinisch unterrichtet, die andere Hälfte auf Italienisch. Auch die Kindergärten sind ladinischsprachig. Im Gegensatz zu den anderen Teilen Südtirols gibt es bei uns kein duales Schulwesen, bei dem jeder die Wahl zwischen einer deutschen und einer italienischen Schule hat. Es gibt in Art. 19 des italienischen Statutes ein Grundrecht auf Unterricht in der Muttersprache. Warum gerade dazu? Wie sehen Sie die Zukunft dieser kleinen Sprachgruppe? Sie sind auch Vize-Präsident der Föderalistischen Union Eu- ropäischer Nationalitäten (FUEN), der größten Organisation zur Vertretung von Minderheiten in Europa. Ist es vorstell- bar, dass neue Minderheiten entstehen, die Rechte einfor- Mit nur noch 30.000 Sprechern ist es nicht einfach, die eigene Sprache und Kultur weiterzuleben. Mathematisch ist das sehr schwierig. Ich bin aber zuversichtlich und wir werden alles dafür tun, dass unsere Kultur und Sprache auch in Zukunft weiterge- lebt werden kann. sonntagsblatt In den Bereichen, wo der italienische Staat agiert, gehen die Dinge nur sehr schleppend voran. Ständige Regierungswechsel, immer neue Leute und Verantwortlichkeiten – das führt zu vie- len Unterbrechungen. Es gibt in der italienischen Politik – oder anders gesagt: in Rom – wenig Bewusstsein für die Umsetzung von Vorhaben. (Fortsetzung auf Seite 18) 17