Die deutsche Sprache im Karpatenbecken( Teil I.)
( Geschichte, aktuelle Situation und Entwicklungen)
Von Prof. Dr. Nelu Bradean-Ebinger Einleitung
Laut Angaben des Bundesministeriums des Innern leben derzeit noch rund 500.000 Deutsche in Ostmittel- und Südosteuropa, die größten Gruppen in Polen( zwischen 148.000 und 350.000), Ungarn( 132.000) und Rumänien( 36.900). Etwa 40.000 verteilen sich auf Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien. Im sogenannten Karpatenbecken( ung. Kárpát-medence) ließen sich die ersten deutschen Siedler schon im 9. Jahrhundert nieder und lebten seither meistens nebeneinander mit den hiesigen Völkern zusammen, selten miteinander, aber auch oft gegeneinander.
Deutsche im Karpatenbecken von der Zeit des Andreanum bis zum Ende der Türkenherrschaft in Ungarn
Das Karpatenbecken war seit prähistorischer Zeit von verschiedenen- vor allem indoeuropäischen- Völkern bewohnt. Nach dem Verfall des Weströmischen Reiches im Jahre 476 n. Chr. lebten vor allem verschiedene germanische- Langobarden, Skiren, Gepiden- und slawische Stämme auf dem Gebiet Pannoniens. Das später „ deutsch“ genannte Volk, das sich im Laufe des 8.-9. Jahrhunderts im östlichen Teil des Frankenreiches entfaltete, lebte nördlich der Alpen. Das Deutschtum im Karpatenbecken war also kein Ureinwohner, aber schon im Laufe des 9. Jahrhunderts erschienen die ersten ostfränkischen Sippen in Pannonien. Die fränkische( frühdeutsche) Ansiedlung spielte sich auf verschiedene Art und Weise ab. Einerseits kamen die Franken nach 800 n. Chr. als Eroberer nach Pannonien. Nach dem Verfall des Awarenreiches siedelten sie sich durch die Zurückdrängung der Awaren und der anderen Völker an. Andererseits wurde die frühere, eingeborene Bevölkerung von ihnen langsam, aber sicher assimiliert.
Der fränkische Kaiser Karl der Große gründete zwei Markgrafschaften auf dem Gebiet Pannoniens- die Ostmark und Friaul-, sie sollten die Ostgrenzen des Frankenreichs schützen. Infolge der östlichen Expansion des Frankenreichs ließ sich eine Bevölkerung mit fränkischer und bayerischer Sprache auf dem Gebiet Pannoniens und des Großmährischen Reiches nieder. Die während des 9. Jahrhunderts gegründeten deutschen Siedlungen waren in der Gegend des Plattensees und Fünfkirchens / Pécs konzentriert.
Die am Ende des 9. Jahrhunderts einsetzende ungarische Landnahme veränderte grundsätzlich die politische und gleichzeitig auch die ethnische Landkarte des Karpatenbeckens. Im Karpatenbecken wurden beide Markgrafschaften infolge der Angriffe der Ungarn und der Mährer am Anfang des 10. Jahrhunderts vernichtet. Der ostfränkische König Otto d. Große( 935-973) gründete später als deutsch-römischer Kaiser abermals die Markgrafschaft Ostmark. Trotzdem kamen wegen der politischen Situation keine neuen fränkischen oder anderen „ deutschen“ Siedler aus dem Deutsch-Römischen Reich ins Karpatenbecken. Im ungarischen Fürstentum des 10. Jahrhunderts lebte keine bedeutende deutsche Bevölkerung.
Die ungarische Staatsgründung brachte eine Veränderung aus der Sicht der deutschen Ansiedlung und nach hundertjähriger Abwesenheit ließen sich Deutsche als Gäste( hospites) wieder
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Leitartikel s in größerer Zahl im Karpatenbecken nieder. Vor allem kamen Ritter, Priester, Mönche und Bauern nach Ungarn und spielten eine bedeutende Rolle in der um die Jahrtausendwende begonnenen Christianisierung Ungarns. Die deutschsprachige Bevölkerung erfüllte wichtige Aufgaben im militärischen, politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Leben des Landes. Was für eine eminente Rolle die angesiedelten Deutschen im Leben des ungarischen Staates hatten, wird durch einige Beispiele aus jener Zeit beleuchtet.
Die deutsche Bevölkerung, die entlang der Flüsse Kraszna und Bereteu angesiedelt wurde, verteidigte schon im 11. Jahrhundert das Tor von Meszes gegen die Angriffe der östlichen Nomaden. Dieses Tor bildete eine wichtige Straße zwischen der großen ungarischen Tiefebene und Siebenbürgen. Im Jahre 1052 versenkte ein deutscher Burgsoldat, Sothmund( der ungarischen Überlieferung nach der „ Taucher Kund”) die deutschen Schiffe auf der Donau, die die Stadt Preßburg / Pozsony belagerten. Preßburg / Pozsony hatte schon im 11. Jahrhundert in großer Anzahl eine deutsche Bevölkerung, erhielt das Stadtrecht aber erst Anfang des 13. Jahrhunderts.
1074 übergab König Salomon seinem Schwager, dem deutschen Kaiser Heinrich IV. die Stadt Wieselburg / Moson. Der Kaiser begüterte mit diesem Gebiet deutsche kirchliche und weltliche Großgrundbesitzer des deutsch-römischen Reiches. Wieselburg / Moson erhielt zusammen mit Ungarisch-Altenburg / Magyaróvár 1354 das Ofner Stadtrecht.
Vom 11. Jahrhundert an wuchs die Bevölkerung Westeuropas mit rasender Geschwindigkeit und dies führte dazu, dass die deutschen Bauern nach Osten, nach spärlich bewohnten Gebieten auswanderten. Unter der Regierung von Geisa II.( Géza) aus der Dynastie der Árpáden( 1141-1162) nahm die Ansiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung in Ungarn in größerem Maße ihren Anfang. Die Zielorte dieser Ansiedlung waren Oberungarn und Siebenbürgen. Die Zahl der Gäste( hospites), die unter der Regierung von Geisa II. nach Ungarn kamen, erreichte etwa 500 Familien, also etwa 2000-2500 Menschen. Die Bevölkerungszahl der Deutschen wuchs in den kommenden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts durch weitere Kolonisten und durch die natürliche Bevölkerungszunahme. Infolge der Ansiedlungen bildeten sich zwei Siedlungsgebiete im Ungarn des Mittelalters heraus: die Zips und der Königsboden. Die Zips umfasst das von den Sachsen bewohnte Gebiet, das entlang der östlichen und südöstlichen Abhänge der Hohen Tatra und entlang des Flusses Popern liegt. Der Name des sächsischen Gebietes in Siebenbürgen wird auf die Belehnung durch Geisa II. zurückgeführt. Der Königsboden war durch die Flüsse Mieresch, Groß-Kokeln, den Alt und durch das Hermannstädter Gebirge begrenzt. Die Aufgabe der deutschen( sächsischen) Siedler war die Bevölkerung der spärlich bewohnten Gebiete, sie zu bewirtschaften und gleichzeitig die Grenzen dieser Gebiete zu verteidigen.
1211 rief Andreas II. den aus dem Heiligen Land vertriebenen Deutschen Ritterorden ins Land und siedelte ihn im Burzenland an. Der Deutsche Ritterorden siedelte seinerseits weitere deutsche Kolonisten im Burzenland an.
1224 ist ein wichtiges Jahr in der Geschichte des Deutschtums im Karpatenbecken, denn der König regelte in diesem Jahr in einem großen Freiheitsbrief, im sogenannten Andreanum, die Rechte der Siebenbürger sächsischen( ausschließlich auf dem Königsboden angesiedelten) Bevölkerung. Laut Freiheitsbrief durfte der König den Boden der Sachsen niemanden zum Lehen geben, die Sachsen standen daher unmittelbar unter der Gerichtsbarkeit des Königs und des Hermannstädter Grafen. Mit dem Andreanum hatte der König das Ziel, die zwischen Broos / Szászváros und Barót lebende Bevölkerung juristisch zu einen. Von da an strebten die Siebenbürger Sachsen stets danach, ihre im Andreanum festgeschriebenen Privilegien vom jeweiligen König aner-
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