vor allem in Osteuropa sind nach dem Fall des Eisernen Vor-
hangs die Situation von ethnischen und sprachlichen Minderhei-
ten wieder zu Tage getreten. Hingegen ist der Status des einst
zu Österreich gehörenden Südtriols, das in Folge des 1. Welt-
krieges von Italien annektiert wurde, in Form einer weitreichen-
den Autonomie innerhalb des italienischen Staates auf eine in
Europa einzigartige Weise geklärt worden, die zu Befriedung und
Akteptanz geführt hat. (…) Wird das Ladinische auch von Italienern oder deutschspra-
chigen Südtirolern gesprochen?
Unter anderem hierüber sprach Martin Jehle mit dem Südtiroler
Politiker Daniel Alfreider … Ja, das gibt es. Es gibt keine ethnischen oder kulturellen Res-
sentiments, die dem entgegenstehen würden. Welche Sprache
dann gesprochen wird bzw. welche Sprache die erste Sprache
für die Kinder wird, ist eine private Entscheidung. Da gibt es kei-
nen gesellschaftlichen Druck oder ähnliches.
Herr Alfreider, wer sind die Ladiner?
Die Ladiner sind eine kleine Volksgruppe. Ursprünglich wurde
das Ladinische im gesamten östlichen Alpenraum gesprochen,
von kurz vor Triest bis in die Schweiz. Die Sprache ist im Laufe
der Jahrhunderte durch eine Mischung des Vulgär-Lateinischen
und der Sprache der Räter entstanden. Durch Völkerwanderun-
gen und den Lauf der Zeit hat sich diese Sprache nur in den
abgelegensten Teilen der Alpen erhalten, im Engadin in der
Schweiz, im Dolomitengebiet und in der Region Friaul. Nur dort
werden heute noch verschiedene Arten der ladinischen Sprache
gesprochen. Im Dolomitengebiet, zu dem Südtirol gehört, sind
wir noch 30.000 Muttersprachler.
Wie ist Stand der ladinischen Sprachgruppe innerhalb des
italienischen Staates?
Wir sind eine anerkannte Minderheit in Italien. Rund um unse-
ren Hausberg, den Sellastock, liegen die vier ladinischen Täler.
Zwei der Täler gehören zu Südtirol, die beiden anderen gehö-
ren jeweils zu einer anderen Provinz, Trentino und Venedig. Die
Zersplitterung der ladinischen Gemeinden auf drei Provinzen er-
schwert eine wirksame Interessenvertretung. Diese künstliche
Zuschneidung der Provinzen geht noch auf die Zeit unter Musso-
lini zurück, der sowohl Südtirol als auch die ladinischen Gemein-
de italienisieren wollte, und ist bis heute nicht korrigiert worden.
Sie sprechen die oft schwere Geschichte der Südtiroler und
Ladiner an. Gibt es in der italienischen Politik immer noch
ein – vielleicht auch unterschwelliges – Element, das noch
die Auflösung dieser Minderheiten anstrebt?
Auf der kulturellen od er ethnischen Ebene gibt es das nicht, aber
das System der Autonomie wird natürlich in Frage gestellt. “Wir
sind hier in Italien”, ist so ein typischer Ausspruch, den man zu
hören bekommt. Wenn man es aber im europäischen Vergleich
betrachtet, hat man in Südtirol nach harten Kämpfen in der Ver-
gangenheit mit Italien insgesamt gute Lösungen im Umgang mit
seinen Minderheiten gefunden. Es gibt keinen Staat in Europa,
wo dieses Niveau herrscht. Ganz zu schweigen von der Situation
zum Beispiel im Elsass oder in Osteuropa.
Ist das Ladinische Schulsprache in den ladinischen Orten?
Ja, manche lernen es.
Gibt es denn “gemischte” Ehen zwischen Angehörigen ver-
schiedener Sprachgruppen und welche Sprache wird dann
gesprochen?
Sie waren bis zu den Wahlen Anfang März diesen Jahres für
die Südtiroler Volkspartei (SVP) Mitglied des italienischen
Parlaments, nun streben Sie den Einzug in den Südtiroler
Landtag ein. Südtirol hat nur circa eine halbe Million Ein-
wohner, von denen rund zwei Drittel Deutsch oder Ladinisch
als Muttersprache haben. Wie ist unter diesen zahlenmäßi-
gen Verhältnissen gewährleistet, dass die Minderheiten im
italienischen Parlament vertreten sind?
Es gibt Regelungen zur Vertretung von Minderheiten im italieni-
schen Parlament, und auch das Wahlgesetz sieht das vor. Eine
Minderheitenfraktion oder Autonomiefraktion kann in der Kam-
mer schon ab einer Zahl von drei Abgeordneten und im Senat ab
einer Anzahl von fünf Senatoren gebildet werden. Die SVP war
in der letzten Wahlperiode mit vier Abgeordneten in Rom, in der
aktuellen Wahlperiode sind es drei.
Sehen sich die SVP-Abgeordneten primär als Vertreter Süd-
tirols bzw. den speziellen Südtiroler Anliegen oder als für
Italien insgesamt verantwortlich?
Darüber habe ich mir am Anfang auch Gedanken gemacht. Zu-
nächst dachte ich auch, dass wir uns mehr einbringen sollten,
auch um das Verständnis der anderen Abgeordneten uns gegen-
über zu verbessern. Aber die Realität ist eine andere. Wir müs-
sen uns ganz überwiegend auf Südtiroler Themen konzentrieren.
Rein quantitativ haben wir bei unserer Anzahl an Parlamentariern
ja auch Grenzen. Vor allem prüfen wir die nationalen Gesetzes-
vorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit dem Südtiroler Autonomie-
statut und ihre Auswirkungen auf Südtirol im Allgemeinen. Unser
Hauptanliegen ist der Ausbau und die Gestaltung der Südtiroler
Autonomie.
In welchen Bereichen der Südtiroler Autonomie sehen Sie
noch Veränderungs- oder Weiterentwicklungsbedarf?
Zurzeit ist das Thema Umwelt noch ein Kompetenzfeld, das im
Sinne der Autonomie gestärkt werden muss. Wir haben unsere
eigenen Raumordnungsgesetze, aber wir noch nicht die Kompe-
tenz der Umwelt. Dazu befinden wir uns in Verhandlungen.
Ja, in der Schule ist das Ladinische Unterrichtssprache. Die Hälf-
te der Fächer wird auf Ladinisch unterrichtet, die andere Hälfte
auf Italienisch. Auch die Kindergärten sind ladinischsprachig.
Im Gegensatz zu den anderen Teilen Südtirols gibt es bei uns
kein duales Schulwesen, bei dem jeder die Wahl zwischen einer
deutschen und einer italienischen Schule hat. Es gibt in Art. 19
des italienischen Statutes ein Grundrecht auf Unterricht in der
Muttersprache. Warum gerade dazu?
Wie sehen Sie die Zukunft dieser kleinen Sprachgruppe? Sie sind auch Vize-Präsident der Föderalistischen Union Eu-
ropäischer Nationalitäten (FUEN), der größten Organisation
zur Vertretung von Minderheiten in Europa. Ist es vorstell-
bar, dass neue Minderheiten entstehen, die Rechte einfor-
Mit nur noch 30.000 Sprechern ist es nicht einfach, die eigene
Sprache und Kultur weiterzuleben. Mathematisch ist das sehr
schwierig. Ich bin aber zuversichtlich und wir werden alles dafür
tun, dass unsere Kultur und Sprache auch in Zukunft weiterge-
lebt werden kann.
sonntagsblatt
In den Bereichen, wo der italienische Staat agiert, gehen die
Dinge nur sehr schleppend voran. Ständige Regierungswechsel,
immer neue Leute und Verantwortlichkeiten – das führt zu vie-
len Unterbrechungen. Es gibt in der italienischen Politik – oder
anders gesagt: in Rom – wenig Bewusstsein für die Umsetzung
von Vorhaben.
(Fortsetzung auf Seite 18)
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