Alexander Petőfi, Johann Kis, Johann Arany und Michael Vörösmarty. Ich wusste lange nicht, dass es diese Gedichte, die ich zum Teil heute noch auswendig kann, eigentlich in ungarischer Sprache auch gibt.
Über die Bevölkerung Ungarns lasen wir auf Seite 200 des » Dik- ken Deutschen Buches «, dass die Bürger des ungarischen Staates zwar eine Nation seien, der Sprache nach jedoch verschiedenen Nationalitäten angehörten. Gesamtzahl der Einwohner 17 400 000 Seelen. Die Ungarn(= Madjaren) bilden die Hälfte der Gesamt- bevölkerung: 8 000 000, Slawen: 5 000 000, Deutsche: 1 800 000. Dann wurde die Zahl der Rumänen / Walachen, Slowaken, Ruthe- nen und Russen und schließlich Kroaten und Slowenen aufgeführt. Unter der Überschrift » Das Kaisertum Österreich « steht der Satz » Ungarn bildet im Verein mit den Österreichischen Ländern die österreichisch – ungarische Monarchie. Beide Staaten haben einen gemeinsamen Herrscher. Der König von Ungarn ist zugleich Kaiser von Österreich.« In dem gleichen » Lesestück « werden dann die Landschaften Österreichs und auch die einzelnen Kronländer aufgeführt. Alle diese Lesestücke waren in deutscher Sprache gesetzt. Heute, wenn ich in dem erwähnten Buche blättere, fällt mir auf, dass wir nur jene Stücke lesen oder auswendig lernen mussten, die sich auf Ungarn bezogen. Ich erwähnte ja schon, dass dieses Lesebuch erst ab der 4. Klasse benützt wurde. Als ich in diese Klasse ging, schrieb man das Jahr 1924 / 25 und folgende Jahre. So haben wir natürlich das Lesestück » Verfassungslehre « nicht mehr gelernt oder gelesen, auch nicht die Erdkunde Österreichs und selbstverständlich auch nicht mehr die Kronländer, die es ja nun nicht mehr gab. Erwähnt sei noch, daß wir die Hymne in deutscher Sprache zuerst erlernen mußten. » Gib, o Herr, dem Ungarland / Frohsinn Glück und Segen « usw. Ebenso den » Mahn- ruf «( Szózat) von Michael Vörösmarty. » Dem Vaterland, o Ungar, halt / Die Treue unbefleckt / Das deine Wiege und dein Grab / dich hegt und pflegt und deckt.« Ungarisch lernten wir erst in der 6. Klasse. Die Geschichte der Reformation Luthers lernten wir ebenfalls deutsch. So wurde man mit Städtenamen wie Speyer, Worms, Augsburg usw. vertraut. Vor allem dann, wenn man wie ich, auch die Lesestücke immer und immer wieder las die dann— wie erwähnt— nicht mehr gelernt werden mussten. Auch der Konfir- mandenunterricht wurde ausschließlich in deutscher Sprache erteilt. Das » Konfirmationsbüchlein zur Stärkung des christlichen Glaubens « wurde 1886 in Bonnhard gedruckt, in gotischer Schrift selbstverständlich. Das Evangelische Gesangbuch ebenfalls in gotischer Schrift 1886 in Ofenpest, Druckerei Koloman Rózsa und Frau. Bei der 15. Märzfeier wurde in der Kirche das Lied Nr. 387 gesungen: » Beim holden Namen Vaterland / Erwachen frohe Triebe / ich fühle mich mit ihm verwandt / ich fühle, daß ichs liebe « usw.
Bei der » Märzfeier «, die jeweils am Abend in der Schule abgehalten wurde, trug man A. Petöfis » Es quält mich ein Gedanke viel « oder auch » Auf fürs Vaterland ihr Brüder «( Talpra magyar) vor. Erst später dann auch in ungarischer Sprache. Am Heldensonntag, der jeweils am letzten Sonntag im Mai begangen wurde, sang man in der Kirche das Lied » Groß ist der Schmerz / Der Tod hat ihn ereilt / Im fernen Feindesland «. Und beim Heldengrab auf dem Friedhof, das zwischen vier Tannenbäumen errichtet war, und auf dem in gotischer Schrift auf dem großen Holzkreuz die Worte » Fürs Vaterland « standen, wurde meistens das bekannte Lied » Morgenrot « von Wilhelm Hauff gesungen. Einige Male auch das Gedicht von Peter Jekel » Einst war das Dorf erfüllt von Schlachtenliedern / Von Fahnenschmuck, Standarten ungezählt / Von Kriegervolk in endlos langen Gliedern / Aus unsern Allerbesten ausgewählt / Zu Felde zog die wackre Schar / Das Vaterland war in Gefahr « deklamiert. Peter Jekel war ein Mitarbeiter Jakob Bleyers. So war dies in meiner Heimatgemeinde
Mecknitsch im nördlichsten Zipfel der Branau. Noch einer Sache lassen Sie mich, liebe Leser, Erwähnung tun. Die Schulabschluss Feier, genannt » Examie « fand in jenen Jahren am Sonntagnach- mittag in der Kirche im Beisein der ganzen Gemeinde statt. Man wurde gefragt, mußte antworten, um so den Beweis zu erbringen, daß man fleißig gewesen ist. Einige Schüler der oberen Klassen durften auch ein freigewähltes Gedicht » aufsagen «. Ich hatte in der 4. Klasse einen solchen » Examiespruch «. Gefunden hatte ich ihn auf einer bunten Ansichtskarte, die mein Vater aus dem Krieg heimgeschrieben hatte. Ein bärtiger Mann kniete in einer einfachen Dorfkirche vor dem Altar. Dieser Vorgang wurde in einfachen Reimen geschildert, die ich nicht mehr rekonstruieren kann. Nur die letzte Zeile, die mich auch sehr ergriffen hatte, lautete: » Der fromme Beter war der Kaiser.« Weder vom Pfarrer noch vom Lehrer wurde dieser » Examiespruch « beanstandet. Wenn ich nun versuche, mit der Schilderung dieses feierlichen Schulabschlusses der 5. Volksschulklasse eine Art Zwischenbilanz zu ziehen, fällt es mir schwer, die Atmosphäre meiner bis dahin verlaufenden Schulzeit zu charakterisieren. Was uns die beiden Lehrer an deutscher Sprache, Schrift und Lied vermittelt haben, wurde nicht mit irgendeinem Bekenntnis oder einer Art von » völkischer Einstellung « verbunden, sondern sie taten dies ganz selbstverständlich. Dass dies alles » deutsch « sei habe ich kaum je von ihnen gehört.
Vaterland Die vaterländische Einstellung war noch weitgehend, vielleicht mehr unbewusst als bewusst, von der k. u. k. Atmosphäre geprägt. Ein letztes Abendrot vom alten Preßburg, welches auch immer so genannt wurde, und von Oberschützen. Man sprach von Ödenburg genauso selbstverständlich wie von Güns, Raab, Fünfkirchen oder Budapest. Nicht ganz so, aber » beinahe so « tat dies auch der Pfarrer, der ein gebürtiger Madjare war, jedoch die evangelische Verpflichtung, jedem Volk das Evangelium in seiner Mutter- sprache zu verkündigen, ernst nahm, auch in einer Zeit als er im- mer heftiger gegen den » Volksbildungsverein und seine Hetzer « zu schelten pflegte. So erschien mir das Lesen des » Sonntags- blattes « und des Bleyer‘ schen Vorwortes in dem Büchlein » Die neue Heimat « in keiner Weise in einem Gegensatz mit dem zu stehen, was ich bisher durch die Lesungen meiner Mutter und durch die fünf Volksschuljahre vernommen hatte. Das, was im » Sonn- tagsblatt « und in den » Volksbildungsvereinskalendern « stand, schien mir als die Fortsetzung des bisherigen kindlichen Bildungs- standes ganz selbstverständlich, und ich stellte mir vor, dass dies in allen schwäbisch-deutschen Dörfern wohl so sein müsse und in den ungarischen Schulen anders zu sein habe.
Aus diesem allem stellte sich bei mir auch eine natürlich-kindliche Vaterlandsliebe ein. Meine Mutter hatte ja oft Tränen in den Augen, wenn das schon erwähnte Lied » Beim holden Namen Vaterland, erwachen frohe Triebe « in der Kirche gesungen wurde. Das von Jakob Bleyer gedichtete Schwabenlied, » Gott segne tausendmal dich Ungarnland « konnte ich alsbald auswendig( kann es auch heute noch) und die zweite und dritte Strophe schienen mir ganz im Einklang mit dem allem zu stehen, was ich bis dahin an Eindrücken empfangen hatte.
» Vom Rhein und Schwarzwald kam der fromme Ahn, Bracht deutschen Fleiß und Schwabenbrauch,
Durch Sumpf und Wildnis brach sein Mut sich Bahn, Gesegnet reich von Gottes Hauch.«
Auch die dritte und letzte Strophe, stand durchaus im Einklang mit den Eindrücken aus Elternhaus, Schule und Kirche. » Dem Ahnenerbe bleibt der Enkel treu, Der Schwabenart, dem deutschen Wort, Treu auch in jeder Not, von Arglist frei, Dem Bruder Ungar immerfort.«
( Fortsetzung auf Seite 20)
SONNTAGSBLATT 19