Sonntagsblatt 2/2016 | Page 5

Merkwürdige Erinnerungspolitik Denkmal für den Politiker György Donáth in Budapest soll in Kürze enthüllt werden Von Richard Guth „Ich wiederhole: Wir haben nicht danach gestrebt, die demokrati- sche Grundordnung, die demokratische Lebensweise zu verän- dern. Ganz im Gegenteil: Wir wollten unsere völkische politische Auffassung, die wir gerade in der Gemeinschaft aufgesogen haben und die Teil von uns wurde („vérünké vált”), nicht nur auf dem Papier vorherrschend machen, sondern auch in der Realität. (…) Wir wollten das politische Leben in Ungarn beeinflussen, natür- lich im Zeichen unserer Ideologie. Diese Ideologie verträgt je - doch jede Staatsform und jede Lebensform, die madjarisch ist.” So ein Auszug aus der sechsstündigen Verteidigungsrede des Politikers György Donáth am 23. Oktober 1947, die ihm aber die Todesstrafe nicht ersparte. Donáth wurde als Hauptbeschuldigter in einem Prozess verurteilt, der sich gegen die Kleinlandwirte - partei richtete und den der einst kommunistische Journalist und Politologe Péter Kende als „konzeptionell-verschwörungstheore- tisch” bezeichnet haben sollte, so die damals Fidesz-nahe und oppositionelle Zeitschrift „Heti Válasz” in einem Beitrag aus dem Jahre 2007. Auf einer Versammlung werde ich auf den iPhone-Bildschirm einer Person vor mir aufmerksam. Dieser zeigt den Bericht eines Internetanbieters über die bevorstehende Enthüllung des Denkmals des Politikers am Gedenktag der Opfer kommunisti- scher Diktaturen (die Enthüllung wurde infolge von Protesten ver- schoben, die Büste abtransportiert, die Marmortafel abgedeckt). So hat dieses Ereignis die Reizschwelle der Öffentlichkeit erreicht, wie in den vergangenen Jahren mehrfach ähnliche Pläne der Regierungsparteien, – denken wir an die Affäre rund um den ehe- maligen Minister mit antisemitischen Vorlieben, Bálint Hóman. Aber auch sonst erscheint die gegenwärtige Erinnerungspolitik merkwürdig, denke man an die Präferierung von offen antisemiti- schen Schriftstellern wie Albert Wass und Cécile Tormay, die die Literaturwissenschaft ohnehin nicht zu den bedeutendsten ungari- schen Literaten zählt. Merkwürdig erscheint dies, zumal die Regierung antisemitische Vorfälle stets verurteilt und sich um ein gutes Verhältnis mit Juden im In- und Ausland bemüht. Merk - würdig ist in diesem Zusammenhang dennoch das distanzierte Verhältnis der Regierung zur Verantwortung ungarischer Stellen beim Holocaust. Die Reaktion jüdischer Organisationen ließ nicht auf sich war- ten: Der Zentralrat der Juden in Ungarn MAZSIHISZ protestier- te (die Statue soll am ehemaligen Wohnort des Politikers an der Ecke Üllôer Chausee – Pfauengasse, in Sichtweite des Holo caust- Dokumentationszentrums, stehen) entschieden gegen das Denkmal für einen Politiker, der als hauptstädtischer Vorsitzender der Partei Ungarisches Leben (Magyar Élet Pártja) die „Verfol - gung fremder Rassen” auch im Rahmen eines eigens dafür ge - gründeten Vereins vorantreiben wollte, so die historische For - schung über das Opfer der kommun istischen Diktatur, der nicht für seine rassistischen Thesen verurteilt wurde. Auch die Mo - nografie „Magyar fajvédôk” (Ungarische/Madjarische Rassen - schüt zer, János Gyurgyák, Budapest 2012) bestätigt, dass es sich im Falle von Donáth um einen Rassisten handelte: Donáth hat seine Vorstellungen in den Dreißigerjahren in einem Büchlein (A mi világnézetünk/Unsere Weltauffassung, Budapest 1938) zusam- mengefasst. „Donáth argumentiert darin für den italienischen Faschismus, überwiegend mit madjarischen Rassenschutzargu - menten (Antiliberalismus, alte ungarische Verfassungstradition, Antibolschewismus, die Schädlichkeit fremden Kapitals, die Be - deutung der ungarischen/madjarischen(?) Supremität, Bodenre - form, Siedlungsmaßnahmen usw.), und schließlich forderte er eine reine Staatsführung, die von starker Hand geprägt ist und die den nationalen Selbstzweck in den Mittelpunkt stellt, sowie die Wiederherstellung der ungarischen/madjarischen Nation auf ras- sischer Grundlage”, so der Auszug aus der Monografie des re - nom mierten konservativen Historikers. Dass Donáths Ideologie bis 1947 sich nicht wesentlich wandelte, bestätigt seine Vertei - digungsrede. Aber inwiefern betrifft die Causa Donáth uns, Ungarndeut - sche? Dafür liefert einer der bekanntesten Historiker dieser Zeit, Dr. Krisztián Ungváry, gegenüber dem linksliberalen Internet - portal 444.hu, das von einem „Schwabenfresser” spricht, eine Antwort: „György Donáth war unschuldig dessen, wessen er 1947 bezichtigt wurde, wobei seine tatsächliche Verantwortung vom Gericht nicht hinterfragt wurde. Obwohl es eine gab. Donáth war einer der Fürsprecher der antisemitischen Gesetze. Aber er war mehr als ein einfacher Antisemit: Er forderte auch der deutschen Nationalität gegenüber rassistische Maßnahmen.” Ungváry spricht gegenüber dem Portal von einem „Skandal”. Merkwürdig. Aber dass diese Erinnerungskultur und vor allem der Umgang mit „Märtyrern” eine sehr lange Tradition haben, zeigt das Beispiel des ebenfalls antisemitischen Politikers Endre Bajcsy-Zsilinszky (über seine Vorstellungen und Tätigkeit berich- tete das Sonntagsblatt in der Vergangenheit mehrfach): Seinen Namen trägt seit Jahrzehnten eine große Durchfahrtsstraße im Herzen der ungarischen Hauptstadt. György Donáth (1904–1947) Er ist in Budapest geboren. Sein Abitur legte er 1922 am Katho - lischen Obergymnasium Franz Joseph ab, danach erwarb er den Titel eines Dr. jur. an der Königlichen Péter-Pázmány-Univer si - tät. Er beteiligte sich aktiv am Studentenleben. Zwischen 1932 und 1938 war er Beamter am Statistischen Landeszentralamt. 1938 verließ er den Staatsdienst und schloss sich der von Béla Imrédy initiierten Bewegung „Magyar Élet” (Madjari sches/Un - garisches Leben) an. Im Oktober 1938 wurde er Vorsitzender der Organisation „Intervereinszusammenarbeit” (Egyesületközi Együtt mûködés), deren Ziel die Verbreitung der Volkskultur war und die durch das Zusammentun völkisch orientierter Orga - nisationen entstand. Zwischen 1939 und 1944 war er Parlaments - abgeordneter der Magyar Élet Párt (Partei des Ungari - schen/Madjarischen Lebens) mit eigenem Wahlkreis in Budapest. Ab 1940 war er Vizevorsitzender der Partei in Budapest, ab 1944 stellvertretender Landesvorsitzender. 1939 wurde er Mitglied der patriotischen, deutschfeindlichen Magyar Testvéri Közösség (Madjarische/Ungarische Bruderschaft), als Politiker der Regie - rungs partei stand er gegenüber dem Nationalsozialismus. 1945 stand er kurzzeitig unter der Beobachtung der Polizei. Kurz darauf gerieten die Mitglieder der Madjarischen/Ungarischen Bruderschaft wegen ihrer kontinuierlichen Treffen ins Visier der Militärpolitischen Abteilung des Verteidigungsministeriums, die zu dieser Zeit unter kommunistischer Führung stand. Dezember 1946 wurde er – neben vielen anderen – unter dem Verdacht eines Umsturzes festgenommen. Die Ermittlungen übernahm kurz darauf die Abteilung für Staatssicherheit des Innenministeriums, die daraus zwecks der Schwächung der Kleinlandwirtepartei eine konzeptionelle Anklage machte. Während der Verhandlung, um seine Weggefährten zu retten, nahm er alles auf sich. Am 16. April verurteilte ihn das Volksgericht in erster Instanz zum Tode, was der Landesrat der Volksgerichte am 2. Juli in zweiter Instanz be - stätigte; im Prozess erhielt er die höchste Strafe. Am 23. Oktober 1947 wurde er hingerichtet. Am 15. April 1991 wurde das Urteil für nichtig erklärt. (Quelle: 1956-os Intézet/1956-Institut Budapest) 5