Sonntagsblatt 2/2016 | Page 16

Die Erinnerungsfeier
„ Unchristliche Akte ” Anders als in der Tschechoslowakei und in Polen wurde die Ver - treibung in Ungarn nicht durchweg von Zustimmung begleitet . So erhob Kardinal-Primas József Mindszenty – eigentlich Josef Pehm , Familienname 1941 magyarisiert – seine Stimme : „ Vertrei - bung und Enteignung können keineswegs menschlich und christlich genannt werden .” Bekannt geworden ist auch der „ Aufruf der 26 Aufrechten “. An die Regierung gerichtet , mahnten sie in der Ausgabe der Zeitung Magyar Nemzet vom 18 . Januar 1946 , im Umgang mit den Deutschen die Menschenrechte zu wahren :
„ Heimat , Umgebung , Dorf , Haus , Ackerland , Brot , Wasser kön nen von niemandem auf humane Weise weggenommen werden .” Zu den Unterzeichnern gehörte auch Béla Zsolt ; der Ge - fängnis , Getto und Arbeitslager entronnene jüdische Schriftsteller wollte damit ein Zeichen setzen . Bewirkt hat der Aufruf nichts .
Gedenktag – nur in Ungarn
Was während der kommunistischen Ära in Ungarn tabu war , dafür hat sich sein erstes frei gewähltes Parlament 1990 in aller Form entschuldigt . Das Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmun - gen , auf denen die Vertreibung fußte . Andernorts steht derlei weiter aus , ja trotz Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind in der Tschechischen Republik sowie in der Slowakei die Benes- Dekrete und in Slowenien die Avnoj-Bestimmungen nach wie vor Bestandteile der geltenden Rechtsordnungen . Seit 1993 ist in Un - garn ein Minderheitengesetz in Kraft ; alle Minoritäten , so auch die deutsche , verfügen seit 1995 über Selbstverwaltungen . Laut Volkszählung von 2011 bekennen sich knapp 186 000 Personen zur deutschen Nationalität ( 1,9 % der Gesamtbevölkerung ); 92 000 gaben Deutsch als ihre Muttersprache an . ( Diese Angaben sind leider falsch ! – Bem . d . Red .) 2006 wurde das „ Landesdenkmal der Vertreibung ” auf dem
Alten Friedhof zu Budaörs eingeweiht .
Dort legte Viktor Orbán , der weithin im Westen ( auch in Deutsch land von der PC-korrekten politischen Klasse von Linken , Sozial demokraten , Grünen , Liberalen bis hin zu manchen Christ - demokraten ) verhasste ungarische Ministerpräsident , aus Anlass des von seiner Regierung vor zwei Jahren eingeführten „ Ge - denktags für die Vertreibung der Ungarndeutschen ” ( den es in keinem anderen ehemaligen Vertreiberstaat gibt !) am 19 . Januar 2016 höchstselbst einen Kranz nieder . Mit den Worten „ Im Na men der ungarischen Regierung wünsche ich unseren in Ungarn lebenden deutschen Mitbürgern , dass sie das Andenken ihrer Ahnen bewahren und ihre Kinder als in der deutschen Kultur aufgewachsene gute Un - garn erziehen sollen . Ehrfurcht den Opfern . Gebührende Erinne rung an die Leidenden . Ein Verneigen vor der Erinnerung an die Un - schuldigen . Anerkennung und Ruhm jenen , die den in Not geratenen Ungarndeutschen geholfen hatten . Alles Gute unseren mit uns zusammenlebenden deutschen Mitbürgern ”, schloss er seine Ansprache – in Budaörs ( Wu dersch ), wo vor siebzig Jahren alles begonnen hatte .
KOMMENTAR

Die Erinnerungsfeier

Von Eugen Kaltenbach
Auf meine größte Überraschung habe ich eine offizielle Einla - dung zur Erinnerungsfeier an die Verschleppung und Vertreibung der Deutschen aus Ungarn , die diesmal in Wudersch veranstaltet wurde , bekommen . Anlässlich eines so würdigen Festes gehört es sich eigentlich nicht zu nörgeln , insbesondere , wenn der Haupt - festredner kein geringerer als der amtierende Regierungschef ist , aber dazu später mehr .
Ich war deshalb überrascht , weil mich die hohen Herren von der Regierung zu keiner der Vorgängerveranstaltungen eingeladen haben , sie nahmen sich also das Recht darüber zu entscheiden , ob ich die Einladung zur Erinnerung an die größte Tragödie meiner eigenen Gemeinschaft verdient habe . Vermutlich deshalb , weil ich mir , meinen Grundrechten entsprechend , die Freiheit nehme in manchen Sachen andere Meinung zu haben wie sie . Man sollte sich mal vorstellen , was wohl passieren würde , wenn so etwas einer der führenden Persönlichkeiten der Auslandsmadjaren von Rumänien oder der Slowakei widerfahren würde . Ich liege vermutlich nicht falsch mit der Annahme , dass einige der Sold - schreiber sofort einen deftigen Artikel über die rumänische , slowakische usw . Unverschämtheit veröffentlichen würden oder so - gar der entsprechende Botschafter einbestellt würde . Letzteres ist hoch im Kurs heutzutage .
Obwohl ich momentan , nach einem fünfundzwanzigjährigen Einsatz für die Sache , nur ein einfacher Rentner bin , und das nur , weil das Duo ( Trio ? usw .), das zurzeit meine Gemeinschaft re - giert , eine von der „ offiziellen ” Linie abweichende , eigene Auffas - sung genauso wenig toleriert wie ihre Herren ( von der Regie - rung ). Selbst wenn diese Meinung ( nimmt man die Ergebnisse der letzten Wahl ) höchstwahrscheinlich mehrheitsfähig wäre . Meinungsdiktatur ist also kein Privileg der Mehrheitsnation . Aber ich wollte eigentlich nicht darüber schreiben , weil das nur die erste Überraschung war . Die zweite , die größere , war die Liste der Redner bzw . diejenigen , die einen Kranz niedergelegt haben . Merkwürdigerweise war der Präsident des „ unabhängigen ” Ver - fassungsgerichts dabei , gleichzeitig waren weder der Präsident der Republik (?) noch des Parlaments anwesend .
Der höchste Gast , nämlich der Regierungschef , war aber nicht nur dabei , er hat sogar eine Rede gehalten ( jetzt kommen sie nicht damit , dass dies nicht dem Protokoll entspräche ).
Es verursachte mir Kopfzerbrechen , was das alles bedeuten soll !? Aber dann las ich in der Zeitung , dass Orbáns Öffnung nach Osten , also das Hofieren bei den Mächtigen in Kasachstan , Aser - baidschan , China oder bei den Saudis , Putin bzw . Erdogan als Teil des „ Befreiungskampfes ” gegen die EU , wie zu erwarten , zum Scheitern verurteilt ist , weil es ( außer für einige Privattaschen ) nichts bringt , und weil der wichtigste Partner , nämlich Moskau , gerade einsehen musste , dass es besser wäre mit dem Westen Frieden zu schließen .
Nun , ich wäre durchaus nicht überrascht , wenn dieser Geste von Orbán weitere folgen würden , gegenüber Deutschland , oder dem Beispiel von Meister Putin folgend , gegenüber dem Westen .
Nun , bei diesem Stand der Dinge – dachte der große Stratege – sollte man den Anlass nutzen die innenpolitischen Stellungen zu festigen . Seine Rede lässt diese Vermutung zu .
Diejenigen Ungarndeutschen , die zu einer weniger differenzierten Denkweise neigen , waren bestimmt schon von der bloßen Teilnahme des hochwürdigen Herren gerührt , aber noch mehr von Teilen der Rede .
Der Redner würdigte nämlich alle Verdienste des Ungarn -
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