Sonntagsblatt 2/2016 | Page 13

1054 Menschen erreicht am 1. Februar Göppingen. So geht es Schlag auf Schlag: Binnen fünf Wochen sehen sich 6753 Wu - derscher wie Vieh nach Württemberg und Baden verfrachtet. General Lucius D. Clay will sich persönlich von der Einhaltung der von der Alliierten Kontrollkommission erlassenen Bestim - mun gen überzeugen. „Die Ausgewiesenen”, notiert der amerika- nische Oberbefehlshaber nach Ankunft der ersten Züge in seiner Besatzungszone, „wurden ohne Proviant und nur mit dem not- dürftigsten Gepäck versehen, zusammengestellt; hungrig und arm selig kamen sie an.” Nicht zuletzt auf Clays Protest hin wird das Transport und Aufteilungsregime etwas gemildert. Angebliche Verpflichtungen aus dem Potsdamer Abkommen mussten für die damalige ungarische Regierung als Notlüge für die Rechtfertigung der Vertreibung der Ungarndeutschen herhalten Die Amerikaner schicken bisweilen Züge zurück, weigern sich schließlich sogar, weitere Vertriebene in ihrem Besatzungsgebiet aufzu- nehmen, sodass die Austreibung der Deutschen aus Ungarn ins Stocken gerät. Erst am 22. Juni und am 23. August 1947 gehen daher aus Wudersch die beiden letzten Transporte ab, – nach Hoyerswerda, in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Hernach ist Budaörs, von dessen 9814 Einwohnern sich 8448 in der Volks - zählung vom 21. Dezember 1941 zu ihren deutschen Wurzeln bekannt hatten, „frei von Schwaben”. So auch im benachbarten Budakeszi: In vier Transporten müssen 3800 „Schwaben” im März 1946 ihr Wudigeß in Richtung Süddeutschland verlassen. Dorf für Dorf, Komitat (Bezirk) für Komitat, in denen die Schwaben (ung. „svábok” – klassische Sammelbezeichnung für in Ungarn lebende Deutsche) seit Generationen leben, leeren sich. In besagter Volks - zählung hatten 477 057 Personen „deutsch” als ihre Volks- oder Sprachzugehörigkeit angegeben; 136 847 Staatsbürger deutscher Nationalität verließen ungarischen Quellen zufolge bis zum 1. September, weitere 24 789 bis Dezember 1946 Ungarn. General Clay hielt 168 000 als Zahl der Ankömmlinge in seinem Besat - zungsgebiet fest. Auf seine Anordnung hin endete am 1. Dezem - ber 1946 die „Aussiedlung” (ung. kitelepítés) – so der beschöni- gende amtliche Sprachgebrauch – in den amerikanisch besetzten Teil Deutschlands. Zwischen Frühjahr 1947 und Sommer 1948 verbrachte man daher gut fünfzigtausend Deutsche aus Ungarn in die SBZ, von denen viele bald den Weg in die Westzonen wählten. Vertriebene, Kriegsflüchtlinge und Heimkehrer aus der Sowjet - union, wohin 64 000 zur Zwangsarbeit deportiert worden und von denen 16 000 zu Tode gekommen waren, machten insgesamt 225 000 Ungarndeutsche aus, soweit sie in der Bundesrepublik als Ausgesiedelte amtlich registriert worden waren. Fragwürdige Rolle der Alliierten Die Vertreibung selbst war in der Verordnung Nr. 12 330 amtlich bekannt gemacht und im Ungarischen Staatsanzeiger (Magyar Közlöny) Nr. 211 vom 29. Dezember 1945 veröffentlicht worden: „Aufgrund des Beschlusses der Regierung und der Alliierten Kont roll kommission vom 20. November 1945 über die Umsied - lung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland wird verfügt: Zur Umsiedlung sind jene ungarischen Staatsbürger ver- pflichtet, die sich anlässlich der letzten Volkszählung zur deut- schen Nationalität oder Muttersprache bekannt haben oder die ihren magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden umändern ließen, ferner diejenigen, die Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) waren.” Die Anordnung berief sich auf die Legitimierung durch die Konferenz von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945). In Punkt XIII des dort geschlossenen Abkommens heißt es: „Die drei Regierungen ha - ben die Frage von allen Seiten beleuchtet und sind zu der Ansicht gelangt, dass eine Überführung der deutschen Bevölkerung oder von deutschen Bevölkerungselementen, die in Polen, der Tsche - choslowakei oder in Ungarn geblieben sind, nach Deutschland vorgenommen werden muss. Sie sind sich darüber einig, dass dies auf eine geordnete und humane Weise geschehen soll.” Aus Sitzungsprotokollen der Alliierten geht gleichwohl hervor, dass die Vertreibung der Ungarndeutschen ursprünglich gar nicht vor- gesehen war. Völlig unerwartet für Generalmajor William S. Key, den Vertreter der Vereinigten Staaten (nach dem 5. Juli 1946 Brigadegeneral George Hatton Weems), sowie für Generalmajor Oliver P. Edgcumbe, der Großbritannien vertritt, wird das Thema am 16. Juni 1945 auf die Tagesordnung gesetzt. Sowjet-Marschall Kliment Jefremowitsch Woroschilow, Leiter der Alliierten Kom - mission, unterbreitet das Ersuchen der ungarischen Regierung um „Repatriierung der Schwaben in ein von der Grenze des Landes weit entferntes Gebiet”. Edgcumbe will das gesamte Vorhaben genauer definiert wissen, es ähnele eher einer Deportation (Zwangsverschickung) als einer Repatriierung (Rücksiedlung). Woroschilow ist einverstanden, in späteren Sitzungen ist stets von Deportation, bisweilen auch von Vertreibung (expulsion) die Rede. Anordnung oder Genehmigung? Dass die „Aussiedlung der Schwaben” somit nicht, wie in Ungarn jahrzehntelang offiziell dargestellt, eine Folge der (sie hernach gutheißenden) Beschlüsse von Potsdam gewesen, sondern von sei- ner damaligen Regierung in die Wege geleitet worden ist, beweist auch das alliierte Sitzungsprotokoll vom 25. Januar 1946. Demnach führte die Formulierung „auf Weisung der Siegermäch - te” zum Einschreiten. Key trug vor, er habe Klagen gehört über die Auswahl der zu Deportierenden und über das Verfahren als solches. Der amerikanische General schlug vor: Da die vom spä- teren Staatspräsidenten Zoltán Tildy, einem reformierten Pfarrer, unterzeichnete Verordnung vom 29. Dezember 1945 behaupte, die Aussiedlung geschehe „auf Anordnung der Alliierten Kont - rollkommission”, müsse der Text in „mit Genehmigung” derselben umgeändert werden, denn die ungarische Regierung habe sie von sich aus beantragt. Woroschilow fand sich sofort zur entsprechen- den Anweisung bereit und fügte an, er werde „auch in der für die ungarischen Zeitungen bestimmten Veröffentlichung klarmachen, dass die Deportation das Ergebnis eines von der ungarischen Re - gierung gestellten Antrags” sei. Es sind auch nicht, wie häufig behauptet, die Kommunisten allein gewesen, die die Ungarndeut - schen kollektiv büßen ließen. Alle den „Schwaben” geltenden Maßnahmen – Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Umsied - lung Verbleibender innerhalb Ungarns – wurden zwischen 1945 und 1947 ergriffen, als in der Regierung überwiegend ungarisch- nationale Parteien das Sagen hatten. Am 4. November 1945 fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Von den 4 730 409 abge- gebenen gültigen Stimmen entfielen 2 697 508 auf die Partei der Unabhängigen Kleinlandwirte (57,03 Prozent), auf Sozialdemok - ra ten 823 314 (17,41), Kommunisten 802 122 (16,95), Nationale Bauernpartei 325 284 (6,87), Demokratische Partei 76 424 (1,62) sowie auf die Radikale Partei 5757 Stimmen (0,12 Prozent). Von den sechzehn Ministern der ersten Nachkriegsregierung stellten die Kommunisten vier. Verschwiegen werden darf auch nicht, dass just mit Beginn der kommunistischen Alleinherrschaft im Lande (1948) nichtungarischen ethnischen Gemeinschaften erste Er - leich terungen zuteil wurden. Und ausgerechnet der Stalinist Mátyás Rákosi sollte 1950 alle von Vorgängerregierungen gegen die verbliebenen Deutschen erlassenen Gesetze aufheben. (Fortsetzung auf Seite 14) 13