Merkwürdige Erinnerungspolitik
Denkmal für den Politiker György Donáth in Budapest soll in
Kürze enthüllt werden
Von Richard Guth
„Ich wiederhole: Wir haben nicht danach gestrebt, die demokrati-
sche Grundordnung, die demokratische Lebensweise zu verän-
dern. Ganz im Gegenteil: Wir wollten unsere völkische politische
Auffassung, die wir gerade in der Gemeinschaft aufgesogen haben
und die Teil von uns wurde („vérünké vált”), nicht nur auf dem
Papier vorherrschend machen, sondern auch in der Realität. (…)
Wir wollten das politische Leben in Ungarn beeinflussen, natür-
lich im Zeichen unserer Ideologie. Diese Ideologie verträgt je -
doch jede Staatsform und jede Lebensform, die madjarisch ist.”
So ein Auszug aus der sechsstündigen Verteidigungsrede des
Politikers György Donáth am 23. Oktober 1947, die ihm aber die
Todesstrafe nicht ersparte. Donáth wurde als Hauptbeschuldigter
in einem Prozess verurteilt, der sich gegen die Kleinlandwirte -
partei richtete und den der einst kommunistische Journalist und
Politologe Péter Kende als „konzeptionell-verschwörungstheore-
tisch” bezeichnet haben sollte, so die damals Fidesz-nahe und
oppositionelle Zeitschrift „Heti Válasz” in einem Beitrag aus dem
Jahre 2007.
Auf einer Versammlung werde ich auf den iPhone-Bildschirm
einer Person vor mir aufmerksam. Dieser zeigt den Bericht eines
Internetanbieters über die bevorstehende Enthüllung des
Denkmals des Politikers am Gedenktag der Opfer kommunisti-
scher Diktaturen (die Enthüllung wurde infolge von Protesten ver-
schoben, die Büste abtransportiert, die Marmortafel abgedeckt).
So hat dieses Ereignis die Reizschwelle der Öffentlichkeit erreicht,
wie in den vergangenen Jahren mehrfach ähnliche Pläne der
Regierungsparteien, – denken wir an die Affäre rund um den ehe-
maligen Minister mit antisemitischen Vorlieben, Bálint Hóman.
Aber auch sonst erscheint die gegenwärtige Erinnerungspolitik
merkwürdig, denke man an die Präferierung von offen antisemiti-
schen Schriftstellern wie Albert Wass und Cécile Tormay, die die
Literaturwissenschaft ohnehin nicht zu den bedeutendsten ungari-
schen Literaten zählt. Merkwürdig erscheint dies, zumal die
Regierung antisemitische Vorfälle stets verurteilt und sich um ein
gutes Verhältnis mit Juden im In- und Ausland bemüht. Merk -
würdig ist in diesem Zusammenhang dennoch das distanzierte
Verhältnis der Regierung zur Verantwortung ungarischer Stellen
beim Holocaust.
Die Reaktion jüdischer Organisationen ließ nicht auf sich war-
ten: Der Zentralrat der Juden in Ungarn MAZSIHISZ protestier-
te (die Statue soll am ehemaligen Wohnort des Politikers an der
Ecke Üllôer Chausee – Pfauengasse, in Sichtweite des Holo caust-
Dokumentationszentrums, stehen) entschieden gegen das
Denkmal für einen Politiker, der als hauptstädtischer Vorsitzender
der Partei Ungarisches Leben (Magyar Élet Pártja) die „Verfol -
gung fremder Rassen” auch im Rahmen eines eigens dafür ge -
gründeten Vereins vorantreiben wollte, so die historische For -
schung über das Opfer der kommun istischen Diktatur, der nicht
für seine rassistischen Thesen verurteilt wurde. Auch die Mo -
nografie „Magyar fajvédôk” (Ungarische/Madjarische Rassen -
schüt zer, János Gyurgyák, Budapest 2012) bestätigt, dass es sich
im Falle von Donáth um einen Rassisten handelte: Donáth hat
seine Vorstellungen in den Dreißigerjahren in einem Büchlein (A
mi világnézetünk/Unsere Weltauffassung, Budapest 1938) zusam-
mengefasst. „Donáth argumentiert darin für den italienischen
Faschismus, überwiegend mit madjarischen Rassenschutzargu -
menten (Antiliberalismus, alte ungarische Verfassungstradition,
Antibolschewismus, die Schädlichkeit fremden Kapitals, die Be -
deutung der ungarischen/madjarischen(?) Supremität, Bodenre -
form, Siedlungsmaßnahmen usw.), und schließlich forderte er
eine reine Staatsführung, die von starker Hand geprägt ist und die
den nationalen Selbstzweck in den Mittelpunkt stellt, sowie die
Wiederherstellung der ungarischen/madjarischen Nation auf ras-
sischer Grundlage”, so der Auszug aus der Monografie des re -
nom mierten konservativen Historikers. Dass Donáths Ideologie
bis 1947 sich nicht wesentlich wandelte, bestätigt seine Vertei -
digungsrede.
Aber inwiefern betrifft die Causa Donáth uns, Ungarndeut -
sche? Dafür liefert einer der bekanntesten Historiker dieser Zeit,
Dr. Krisztián Ungváry, gegenüber dem linksliberalen Internet -
portal 444.hu, das von einem „Schwabenfresser” spricht, eine
Antwort: „György Donáth war unschuldig dessen, wessen er 1947
bezichtigt wurde, wobei seine tatsächliche Verantwortung vom
Gericht nicht hinterfragt wurde. Obwohl es eine gab. Donáth war
einer der Fürsprecher der antisemitischen Gesetze. Aber er war
mehr als ein einfacher Antisemit: Er forderte auch der deutschen
Nationalität gegenüber rassistische Maßnahmen.” Ungváry
spricht gegenüber dem Portal von einem „Skandal”.
Merkwürdig. Aber dass diese Erinnerungskultur und vor allem
der Umgang mit „Märtyrern” eine sehr lange Tradition haben,
zeigt das Beispiel des ebenfalls antisemitischen Politikers Endre
Bajcsy-Zsilinszky (über seine Vorstellungen und Tätigkeit berich-
tete das Sonntagsblatt in der Vergangenheit mehrfach): Seinen
Namen trägt seit Jahrzehnten eine große Durchfahrtsstraße im
Herzen der ungarischen Hauptstadt.
György Donáth (1904–1947)
Er ist in Budapest geboren. Sein Abitur legte er 1922 am Katho -
lischen Obergymnasium Franz Joseph ab, danach erwarb er den
Titel eines Dr. jur. an der Königlichen Péter-Pázmány-Univer si -
tät. Er beteiligte sich aktiv am Studentenleben. Zwischen 1932
und 1938 war er Beamter am Statistischen Landeszentralamt.
1938 verließ er den Staatsdienst und schloss sich der von Béla
Imrédy initiierten Bewegung „Magyar Élet” (Madjari sches/Un -
garisches Leben) an. Im Oktober 1938 wurde er Vorsitzender der
Organisation „Intervereinszusammenarbeit” (Egyesületközi
Együtt mûködés), deren Ziel die Verbreitung der Volkskultur war
und die durch das Zusammentun völkisch orientierter Orga -
nisationen entstand. Zwischen 1939 und 1944 war er Parlaments -
abgeordneter der Magyar Élet Párt (Partei des Ungari -
schen/Madjarischen Lebens) mit eigenem Wahlkreis in Budapest.
Ab 1940 war er Vizevorsitzender der Partei in Budapest, ab 1944
stellvertretender Landesvorsitzender. 1939 wurde er Mitglied der
patriotischen, deutschfeindlichen Magyar Testvéri Közösség
(Madjarische/Ungarische Bruderschaft), als Politiker der Regie -
rungs partei stand er gegenüber dem Nationalsozialismus. 1945
stand er kurzzeitig unter der Beobachtung der Polizei. Kurz
darauf gerieten die Mitglieder der Madjarischen/Ungarischen
Bruderschaft wegen ihrer kontinuierlichen Treffen ins Visier der
Militärpolitischen Abteilung des Verteidigungsministeriums, die
zu dieser Zeit unter kommunistischer Führung stand. Dezember
1946 wurde er – neben vielen anderen – unter dem Verdacht eines
Umsturzes festgenommen. Die Ermittlungen übernahm kurz
darauf die Abteilung für Staatssicherheit des Innenministeriums,
die daraus zwecks der Schwächung der Kleinlandwirtepartei eine
konzeptionelle Anklage machte. Während der Verhandlung, um
seine Weggefährten zu retten, nahm er alles auf sich. Am 16. April
verurteilte ihn das Volksgericht in erster Instanz zum Tode, was
der Landesrat der Volksgerichte am 2. Juli in zweiter Instanz be -
stätigte; im Prozess erhielt er die höchste Strafe. Am 23. Oktober
1947 wurde er hingerichtet. Am 15. April 1991 wurde das Urteil
für nichtig erklärt. (Quelle: 1956-os Intézet/1956-Institut Budapest)
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