Sonntagsblatt 2/2016 | Page 10

Eine merkwürdige Diskussion

Ein Bericht des Ungarndeutsches Kultur- und Informationszentrum( 5. Februar) Diskussion über unsere gemeinsame Sache
In der Reihe Auf dem Teppich waren am 3. Februar Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen und Emmerich Ritter, Sprecher der deutschen Nationalität im Parlament die Gäste des Zentrum im Haus der Ungarndeutschen. Sie sprachen darüber welche Ziele die LdU verfolgt, welche Stellung die Deutschen in Ungarn innehaben bzw. welche Erfolge durch die Vertretung der Nationalitäten im Parlament erzielt werden konnten. In ihrer Einleitung hob Monika Ambach, die das Gespräch moderierte, hervor, dass das Selbstverwaltungswesen der Natio- nalität bereits auf mehr als 20 Jahre zurückblicke …
Nach den ersten Minderheitenselbstverwaltungswahlen im Jahre 1994 wurden 127 Selbstverwaltungen – 17 davon kommunale MSV-s – und bei den Nachwahlen weitere 38 Körperschaften gegründet. Nach der Elektorenversammlung der deutschen Min- derheit am 11. März 1995 wurde dann die erste Landesselbstver- wal tung der Ungarndeutschen gegründet. Bei der Gründungs- sitzung wurde Dr. Jenô Kaltenbach zum Vorsitzenden gewählt. Da er aber zum Ombudsmann für Minderheitenrechte im Unga- rischen Parlament ernannt wurde, folgte ihm nach knapp einem halben Jahr Lorenz Kerner im Amt.
2014 wählten die Ungarndeutschen zum sechsten Mal ihre Vertreter, es wurden 406 Selbstverwaltungen gegründet. Am 28. Oktober 2014 übernahmen die 39 Abgeordneten der Vollver- sammlung der LdU ihre Mandaten. Otto Heinek wurde zum Vor- sitzenden gewählt, seit 1999 zum fünften Mal.
Heinek betonte bei seinem Amtsantritt, dass die allerwichtigste Aufgabe der neuen Vollversammlung das Entwerfen einer fünfjährigen Strategie sei. „ Die Schwerpunkte Politik, Kultur, Jugend- arbeit, Bildung und Kommunikation wurden in Arbeitsgruppen erörtert, Strategien und dazu gehörende Handlusngspläne ausgearbeitet”, sagte Heinek im Gespräch. Die ersten Messpunkte dieser Arbeit sind unter anderem das veröffentlichte Verzeichnis der ungarndeutschen Vornamen. Man möchte die Eltern deutscher Herkunft dazu bewegen, ihren Kindern deutsche Namen zu geben. Als ein wichtiges Ergebnis bewertete Heinek, dass die ungarische Übersetzung von Gerhard Seewanns Buch Geschichte der Deutschen in Ungarn I. und II. vor kurzem erschienen sei, die deutsche Fassung gehöre bereits zur Standardliteratur unter den Geschichtsbüchern.
Emmerich Ritter berichtete über die Tätigkeit des Nationali- tätenausschusses des ungarischen Parlaments. Die Unterstüt- zungs summe für die Selbstverwaltungen, Vereine wurde verdoppelt. Diese Ergebnisse konnten durch die konzentrierte Arbeit und die gute Vorbereitung der Vorlagen erzielt werden. Der Sprecher bewertete es als positiv, dass sich alle Fraktionen unterstützend gegenüber den Nationalitäten verhielten. Diese Unter- stützung zeigte sich auch am 19. Januar bei der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Vertreibung der Ungarndeutschen in Wudersch, an der zahlreiche Politiker teilnahmen. Von sehr großer Bedeu- tung war selbstverständlich, dass Ministerpräsident Viktor Orbán eine Rede hielt, weswegen dieses Ereignis auch in den Medien sehr präsent war. Ein wichtiger Teil des Gesprächs war das Thema Bildung. Ab diesem Schuljahr nahm die LdU auch das Deutsche Nationalitä-
tengymnasium in Budapest in ihre Trägerschaft. Heinek betonte, dass damit eine weitere wich- tige Einrich tung in das Netzwerk der ungarndeutschen Schulen eingebunden worden sei. Die Gäste teilten die Meinung, dass die Übernahme von Kindergärten und Schulen durch Nationalitätenselbstverwaltungen zu befürworten sei, aber nur wenn gut überlegte Zu kunfts- bzw. Entwicklungs pläne vorhanden sind.
Es wurde auch über die deutsch – ungarischen Kontakte gesprochen. Deutschland fördert jedes Jahr zahlreiche ungarndeutsche Projekte, für die Unterstützung können sich Institutionen, Vereine etc. durch die LdU bewerben.
Otto Heinek und Emmerich Ritter sprachen auch anerkennend über die Vertreter der jungen Ungarndeutschen, die sich immer aktiver an dem Leben ihrer Nationalität auch im Selbstverwal- tungswesen beteiligen. Sie seien motiviert, verfügten über hervorragende Deutschkenntnisse und bringen immer wider neue Ideen.
Während des Abends kristallisierte sich heraus, was für eine komplexe und vielschichtige Arbeit die LdU leistet, dass die Vertretung durch einen Sprecher im Parlament sehr nützlich für die Ungarndeutschen ist, und dass die Mitglieder der Nationalität sich sehr stark für ihre Ge- mein schaft im ganzen Land einsetzen.
Bemerkung Ergebnis laut Zentrum-Bericht: Es wurde an diesem Abend wirklich viel gesprochen. Ja, Herr Heinek und Herr Ritter haben gesprochen – viel und lang. ABER was ist mit der angesagten DISKUSSION? Gab es diese nicht? – oder hat Zentrum vergessen darüber zu schreiben? – MERKWÜRDIG!
Ein Beispiel zur „ Realität”( siehe in Sonntagsblatt 1 / 2016 bei Merkwürdigkeiten auf S. 6)

Selbstverwaltung und Sprache

Das Minderheitengesetz Ungarns sichert den nationalen Minder- heiten des Landes den freien Gebrauch ihrer Muttersprache zu. Dass diese Minderheiten von diesem Recht kaum Gebrauch ma- chen ist eine andere Sache. Dem lieben Vaterland kann das ja nur recht sein, schließlich bemüht man sich doch schon seit zwei Jahrhunderten ein Land mit einer Sprache zustandezubringen. Die ungarische Losung „ Nyelvében él a nemzet”( in ihrer Sprache lebt die Nation) müsste ergänzt werden mit „ és a nemzetiség”( und auch die Nationalität). Wenn aber die Nationalität / Nationa- li täten nicht darauf besteht / bestehen, dann … Ja, dann kann eben folgendes unbeanstandet überhandnehmen:
Ein auch heute noch von einigen Deutschen bewohntes Städt- chen in Ungarn kann sich der Tatsache rühmen, dass alle Mitglie- der der Deutschen Selbstverwaltung die deutsche Sprache beherrschen( wenn auch nicht als Muttersprache). Ihre Sitzungen werden dennoch – Recht laut Minderheitengesetz hin oder her – in ungarischer Sprache abgehalten. Warum? „ Weil wir – so die entschuldigende Antwort – dies aus Schuldigkeit und auch Höflich- keit so tun”. Das klingt aber komisch, – und macht neugierig. Es stellt sich also heraus, dass an den Sitzungen auch ein Vertreter( Aufpasser?) des Stadtrates teilnimmt, der kein Deutsch versteht. Dieser gute Mensch besteht auch darauf, dass man in seiner Gegenwart nur ungarisch spricht, sogar, dass zufällig gemachte deutsche Bemerkungen ihm ins Ungarische übersetzt werden. Die Deutsche Selbstverwaltung des Städtchens betrachtet dies als normal, weil doch das Minderheitengesetz … Also kein Wider- spruch, kein Aufbrausen! – natürlich nicht.
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