Sonntagsblatt 2/2015 | Page 32

Sprachliche Höhen und Tiefen im vorösterlichen Ofala / Ófalu
Bin ich Deutsche oder Ungarin, oder vielleicht eine ungarndeutsche Donauschwäbin? Meine Heimat liegt in verschiedenen, für mich oft ineinander verschwimmenden Kulturen. Die Hälfte meines Lebens, insbesondere meine Kindheit, habe ich in einer anderen Welt verbracht. Was auch immer unter „ anders” verstanden werden kann... Dasselbe Phänomen zeigt sich ebenfalls in meinem Sprach ge- brauch. Mir war die ungarische Sprache immer etwas fremd mit ihren etwa 1000 Ausdrücken für eine einzige Semantik. In der deutschen Denkweise fühlte ich mich jedoch etwas wohler, obwohl je- nes Wohlgefühl mit den Jahren und dem stets steigenden „ Rou- tineverlust” oft nicht mehr zu spüren ist. Demnach würde mich ge genwärtig niemand mehr als deutschen Muttersprachler be- zeich nen, wenn ein „ richtig echter” Deutscher vor mir stünde. Mein ganzes Leben ist geprägt von diesem Hin und Her der Iden- tität. Schon beim Ausfüllen eines herkömmlichen Formulars kom- me ich ins Schwitzen. Von Fragen wie: „ Staatsangehörig keit?”, „ Muttersprache?” und ‚ Wohnort?” gar nicht zu sprechen... Naiv wie ich bin, glaubte ich wenigstens mit Sicherheit meinen Herkunftsort bestimmen zu können. Dies wäre dann nämlich das Dorf meiner Eltern, Großeltern, der Aufenthaltsort meines ersten Lebensjahres, also jenes unbedeutende Dörflein, in das ich nach meiner Rückkehr aus der „ anderen” Welt auch wieder gezogen bin, das winzige Borjád im südlichen Ungarn, welches in einem Tal, umrandet von Hügeln für den Weinanbau, an einem gemächlich plätschernden Bächlein ruhig vor sich hindöst. Jetzt wiederum denke ich, dass ich da wahrscheinlich nie so richtig reingepasst habe. Als wäre ich ein PuzzleTeilchen, welches sich dem System querstellt. Nachdem ich schon seit mehreren Jahren woanders hause, spüre ich diese undefinierbare Kälte, die meine ganzheitliche Aura oft erfrieren lässt. Denn in jenem Dorf, wo ich alles zu kennen glaubte, wirkt jetzt bei jeglicher Vertrautheit alles fremd. Nichts ist mehr so wie es in meiner Kindheit war... Ob es einfach nur daran liegt, dass ich kein Kind mehr bin? Den langjährigen Aufenthalt in Deutschland empfinde ich eher als eine Zwischenstation und dennoch sehe ich mich eben auch als Deutsche, auch wenn meine doppelte Staatsbürgerschaft( anhand der „ SchubladenPhilosophie” jedenfalls) meinen Charakter in zwei spalten würde. Spielt dies überhaupt in Zeiten der Globalisierung und der Multi- kultur irgendeine Rolle? Wenn nicht, wieso wird Frau ständig gefragt: „ Woher kommst du?” oder „ Was bist du?” Egal, ob jetzt auf Land, Nationalität oder einfach nur Stadt / Dorf( wie es die Ungarn immer gerne wissen möchten) bezogen, wobei es in diesem Zusammenhang interessant wäre, der Frage nachzugehen: Ist Land gleich Nationalität? Was ist dann mit den Minderheiten? Wenn ich darauf mit einem „ Ich bin Chinese” antworte, wird dann überdies mein Gegenüber wissen, WER ich bin? Auf jeden Fall kann nunmehr der Befragte eingeordnet, einer Kategorie zugewiesen werden, die der Mensch ja so unweigerlich benötigt, wie die Luft zum Atmen oder das Wasser zum Überleben, um sich eben in einer Welt, wo reines Chaos herrscht zurechtzufinden. Jene Kategorien könnten auch als Wegweiser bezeichnet werden, bei denen alles Wahrgenommene benannt und in eine Kaste gestopft werden kann. So wird die Angst vor dem Unbekannten und Unbenannten genommen.
Juli 2010

Sprachliche Höhen und Tiefen im vorösterlichen Ofala / Ófalu

Die Deutsche Selbstverwaltung der überwiegend deutschsprachigen Gemeinde Ofala / Ófalu bietet eine einmalige kulturelle Ver- an staltung in der vorösterlichen Zeit an. Die deutschsprachige Jo- hannespassion von Bach, aufgeführt von den Schülern des Valeria Koch Schulzentrums Fünfkirchen unter Mitwirkung der Deut- schen Bühne Ungarn. Ein historisches Ereignis für die kleine schwäbische Gemeinde ganz gewiss. Angesichts des Sprach ver- lusts der Ungarndeutschen landesweit, auch für die ganze Volks- gruppe ein höchst erfreuliches – prach- und identitätsförderndes – religiös / kulturelles Engagement von Schule und Theater. Und das nicht auf einer feierlichen Bühne, in einem städtischen Theater, sondern unterm Volk, in der Dorfkirche auf dem sogenannten flachen Land. Eine kulturpolitische Revolution!, möchte man ausrufen.
Und wie zeigt sich das kulturpolitische Verständnis der Deut- schen Selbstverwaltung der Gemeinde Ófalu hierzu? Wel ches „ revolutionäre” Zeichen setzt sie, angesichts des erfreulichen Ereignisses? Woran lässt sie ihr sprachliches Selbstverständnis, ihr sprachliches Engagement zur Stärkung und Selbstfindung der Nachgeborenen jungen Ungarndeutschen erkennen? Sie verteilt eine Einladung an alle Haushalte, darunter an der Zahl nicht uner heblich solche, die zwar deutsch aber kein ungarisch verstehen( zugezogene Ausländer) in folgender sprachlicher Eindeu tig- keit:
Keine Revolution, keine Glanzleistung seitens der Deutschen Selbstverwaltung Ofala / Ófalu. Das Übliche. Die Chance, selbst auch ein demonstratives Signal durch eine deutschsprachige Ein- ladung an die Bewohner zu setzen, wurde vertan, vermutlich gar nicht erkannt. Alles war gewiss gut gemeint. Gut wäre etwas anderes, wäre mehr gewesen. Trotz dieses Schattens, war die Freude auf das Ereignis nicht getrübt.
Post festum kann der Chronist berichten, dass die etwa dreißig Schüler und sieben Lehrer aus Fünfkirchen mit dem weltbekannten Mysteriumspiel vom Leiden, Tod und Auferstehung Jesu, musikalisch bearbeitet von Zoltán Samu Csernák, eine ergreifende und erfreuende Darbietung geboten haben. Die aus Querflöte, Gitarre( wie so oft, zu betont) und Harmonika bestehende instrumentelle Untermalung der dem Thema in Gestik, Kostüme und Requisiten adäquat verhalten angepassten Szenenbildern hat in der schlichten, streng weiß bemalten, Dorfkirche eine bewegende Atmosphäre gezaubert.
Das kulturpolitische I-Tüpfelchen setzte mit ihrer frei gehaltenen deutschen Dankesrede die Vorsitzende der Deutschen Selbst- verwaltung, Frau Elisabeth Bechli. Sie erinnerte daran, dass das Passionssingen in Ofala eine alte Tradition hat. Ihr Vater hat lange Jahre die Rolle des Judas gespielt. Als Kind hat sie sich immer geschämt, weil ihr Vater „ der Judas” im Dorf war. Die Scharte des einladungslosen Meghívó-Fehlers, den sie auch ansprach und be- dauerte, war damit ausgewetzt. Sehnsucht nach fröhlichen Ostern in Frieden wurde spürbar.
Johann Till
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