Sonntagsblatt 2/2015 | Page 20

erforderlichen Maßnahmen durchführen! Vater ahnte damals noch nicht, dass erst nach fast eineinhalb Jahren die notwendigen Ope rationen und Behandlungen in einer schwäbischen Spezialklinik in Stetten im Remstal durchgeführt werden konnten!! Hier hatte seine „ Augenklappe” auch ausgedient, und er bekam auch hier seine erstes Glasauge. Dieses kaschierte das Fehlen seines natürlichen Auges ganz gut und Vater fühlte sich daraufhin wieder ganz gut, und kam auch mit der Handhabung der „ Prothese” bald ganz gut zurecht.
Ende März sollte die Rückführung der Bevölkerung nach Schorokschar anlaufen. Die evakuierten Bewohner der deutschen Vorstadt gerieten in große Unruhe und es kursierten die wildesten Gerüchte in der Hauptstadt.
Einige ganz mutige Bewohner unserer Großgemeinde hatten sich bereits Wochen vorher heimlich „ nach Hause” durchgeschlagen und sich dort umgesehen. Sie brachten keine gute Kunde: Die Häuser seien alle geplündert worden, die Hoftoren stünden offen, sowjetisches Militär, zumeist Tross-Einheiten, hätte sich in die Häuser einquartiert. In den Kellern und vor allem auch in den Gaststätten unserer Gemeinde sehe es sehr „ schlimm” aus! Alle Vorräte seien aufgebraucht bzw. vernichtet, und auch die eingelagerten Weine und Spirituosen seien konsumiert oder abtransportiert worden. Wenn man bedenkt, dass es in unserer Gemeinde 36 Schankwirtschaften gegeben hat, kann man sich in etwa vorstellen, wie die an Entbehrungen gewohnte Rote Armee hier „ gelebt und gefeiert” hat!! Auch wir sollten bald feststellen können, was aus unserem schönen Schorokschar geworden war.
In der zweiten Aprilwoche war es dann so weit. Ich kann mich noch genau erinnern, wie unsere wenigen Habe aus dem vierten Stock unserer Notwohnung in der Budapester Franzstadt nach unten gebracht wurden- es waren ja nicht allzu viele Dinge, denn fast der ganze Hausrat war ja zu Hause im Haus meiner Schuster- Großeltern geblieben. Die beiden Opas hatten irgendwoher ein Zugpferd aufgetrieben, ein großer kugelgelagerter „ Eiswagen” war ja in der Hauptstadt noch vorhanden, und auf ihn luden die beiden Männer unseren bescheidenen Hausrat. Vater konnte noch nicht allzu viel dabei helfen, denn der Arzt hatte ihn vor schweren Arbeiten gewarnt, denn seine Verletzung war noch immer nicht vollständig abgeheilt.
Mit Mutter und mir, hatte Vater auf dem Wagen Platz genommen, ging es nun zunächst zur Wohnung meiner Großeltern. Auch hier wurde alles aufgeladen und verstaut. Mittlerweile war es Mittag geworden und die „ Heimkehrer” machten sich auf den Weg nach Hause, nach Schorokschar. Als wir von einer Sei ten- straße in die „ Soroksári út” einbogen, stießen wir auf viele Scho- rokscharer Familien, die sich auf Bauernwagen oder auch zu Fuß auf dem Weg in unser Dorf befanden.
Unterwegs gab es immer wieder Pausen, in denen sich die Män- ner und Frauen mit Nachbarn, Freunden, Bekannten und Ver- wandten unterhielten. Man hatte sich vieles zu erzählen – war die Dorfgemeinschaft doch fast fünf Monate auseinandergerissen und auf die ganze Hauptstadt verteilt gewesen.
Zu den unerfreulichsten Neuigkeiten – man hatte teilweise da- von bereits gehört – zählte die jetzt immer deutlich werdende Tatsache, dass über 800, meist jüngere Dorfbewohner von den Russen zusammengefangen und zur „ malenky robot” in den uk- rainischen „ Donbass” transportiert worden waren. Auch aus unserer Verwandtschaft waren einige junge Männer und Frauen dabeiteilweise auch junge Väter und Mütter.
Auf dem „ Heimweg” erfuhren wir auch, dass mein Pate, Johann B., in die Sowjetunion verschleppt worden war. Sein Sohn Tho- mas, so alt wie ich, sollte seinen Vater erst wieder 1952 in Möt- zingen, Kr. Böblingen, wiedersehen! Im Donbass-Kohlenrevier hatte er fast acht Jahre seines Lebens – wie zigtausende anderer ungarndeutscher Schicksalsgenossen – unter schlimmsten Verhält- nissen verbringen müssen. Dabei hatte er noch das große Glück, gesund nach Deutschland zu seiner Familie zu kommen. Auch das harte Los von Tiszalök und Kazincbarcika blieb ihm erspart.
Während ich diese Zeilen schreibe, kommen mir Gedanken über die hier noch ausstehenden Entschädigungen für diese „ Zwangsarbeiter”, denn Zwangs- und Fremdarbeiter mit ähnlichem Los aus Osteuropa, die während des Krieges in Deutschland arbeiten mussten, wurden ja größtenteils von Deutschland entschädigt. Ob die Opfer unseres Volksstammes jemals mit einer ähnlichen Wiedergutmachung rechnen können? Dazu fällt mir ein russisches Sprichwort ein: „ Sieger verurteilt man nicht!” Bald hatten wir die ersten Häuser unseres Dorfes erreicht. Soldaten der Roten Armee waren überall zu sehen. Schwer be- waffnet patrouillierten sie durch die Straßen. Erst jetzt wurde uns klar, dass unser Dort besetzt war. In manchen Hofstellen standen Militärfahrzeuge aber auch einfache russische Pferdewagen. Fast in jedem Haus waren einige Soldaten einquartiert. Mutter und Oma fragten sich bange, was uns wohl in unserem Hause erwarten würde? Bald sollten sie Gewissheit bekommen, denn wir bogen bereits in die Ócsai utca ein, und jetzt waren es nur noch einige Meter bis zu unserem Anwesen.
Fortsetzung folgt

❖ ANTON KLEIN( 1885 – nach 1949)

– vor 130 Jahren geboren
Es war von je üblich in Ungarn, dass man die Bestrebungen der natio- nalen Minderheiten von Überläufern, Assimilanten oder Re negaten be kämpfen ließ, das heißt sie als Sturmböcke gegen ihr eigenes Volk gebrauchte. Einer der eifrigsten Handlanger dieser Art war Dr. Anton Klein.
Er wurde in Gakowa, in der Batschka( heute Serbien), im Jahre 1885 geboren und erwarb seinen juristischen Doktortitel an der Universität in Budapest; nachher studierte er an der Universität zu Innsbruck Theologie und Philosophie. In der Gemarkung von Paks( Tolnau) kaufte er sich die Biritó-Puszta, einen Groß grund- besitz von 661 Katastraljoch, und widmete sich vorerst diesem Gut. Nach dem Sturz der Räterepublik im Jahre 1919 nahm er an der Gründung der Kleinlandwirtepartei teil und wurde im Mai 1920 von der Regierung zum Obergespan des Tolnauer Komitats ernannt. Seit 1925 wurde er wiederholt als Abgeordneter der Ein- heitspartei Bethlens ins Budapester Parlament geschickt. Nach 1931 schloss er sich jedoch der Unabhängigen Kleinlandwirte- partei Gaston Gaals an. Die Kleinlandwirtepartei war bis etwa 1936 die einzige Partei des Landes mit minderheitenfreundlichem Programm. Auch die Vorkämpfer der Volksgruppe, namentlich Franz Basch und Franz Kußbach( Kun), nahmen als Kandidaten der Kleinlandwirtepartei an den Wahlkämpfen von 1935 teil. Da die deutschen Wähler we- gen ihrer Einstellung für diese Volksdeutschen von seitens der Behörden schlimmen Verfolgungen ausgesetzt waren, nahm sie der damalige Führer der Kleinlandwirtepartei, Tibor Eckhardt, im Mai 1935 in einer öffentlichen Parlamentssitzung in Schutz. Am 30. November 1936 trat jedoch der nationalradikale Endre Bajcsy- Zsilinszky in die Reihen der Kleinlandwirte ein, und damit begann auch der nationalradikale Umschwung dieser Partei. Wohl verließen nun sechs gemäßigte Abgeordnete die durch Bajcsy-Zsi- linszky radikalisierte Partei, Anton Klein aber hielt auch weiterhin bei ihr aus. Er war mittlerweile Ehrenvorsitzender des Gratzschen Volksbildungsvereins geworden, welcher bereits ganz in die Hände der Regierung geraten war. Im Dezember 1937 kam es im
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