erwuchsen, erkannte die zeitgenössische madjarische / ungarische adlige-hochadlige Führungsschicht nicht. Dies führte direkt zu Trianon.
Die allmächtige Idee der madjarischen Supremität erreichte auch die unteren Bevölkerungsschichten, mit ihren Herren zusammen, Hand in Hand marschierten sie gen sichere Katast- rophe. Das ist das Wesentliche, alles andere Drumherumreden. Von sich selbst bemerkten sie die Gefahr nicht, aber sie könnten nicht behaupten, dass sie niemand warnte. Aus ganz unterschiedlichen Quellen hat man regelmäßig Warnungen erhalten. Einige, die „ Ernte” von beinahe 80 Jahren: Széchenyi im Jahre 1835 und 1842, Eötvös 1865, Albert Schaffle und Kaiser Franz Joseph I 1871, Luis Eisenmann 1904, Jászi 1911, der kaiserliche Stabschef Conrad von Hötzendorf und der Gesandte in Bukarest, Graf von Czernin 1913 – nur die wichtigsten genannt – wiesen auf die steigenden Gefahren, die aus dem madjarischen Nationalismus, der Unterdrückung der Nationalitäten erwuchsen, hin, und forderten entsprechende Maßnahmen. Nach all dem fragen mich 100, 150 Jahre später gebildete Menschen in Ungarn, warum man über „ den Großen Madjarischen Nationalismus” so viel sprechen muss. Um die Warnungen hat sich keiner gekümmert, es hat sich nichts verändert. Genauer gesagt stimmt es so nicht, denn inzwischen ließ Albert Apponyi die Schulen der Nationalitäten schließen und Ministerpräsident István Tisza ließ verlautbaren: In Ungarn gibt es keine Nationalitätenfrage.
József Eötvös wies auf die Bedeutung der Nationalitätenfrage, die Stephan’ schen Ideen hin: „ Es scheint, als wäre die Sicht, die sich in den Ratschlägen vom Heiligen Stephan an seinen Sohn niederschlug, wonach „ ein Land mit einer Sprache und einer Sitte schwach ist!’(…) von seinen Nachfolgern als Herrschaftsmaxime akzeptiert worden: Die königliche Macht arbeitete nicht an der Assimilierung der verschiedenen Völker des Landes, sondern sah ihre Aufgabe darin, die Eigenheiten der einzelnen Reichsteile bewahrend das Verhältnis der Völker zur Krone stabil zu halten.”( Eötvös, 1978, 359)
Da unsere Vorfahren, den Warnungen von dem Hl. Stephan, István Széchenyi und József Eötvös zum Trotz, nicht bereit waren, ein Bündnis mit den Nationalitäten einzugehen, waren sie unfähig, in einer gemeinsamen Heimat eines pro forma Stephan’ schen Staatswesens die Madjaren, Kroaten, Deutschen, Rumänen, Ruthenen, Serben und Slowaken zu einer einzigen politischen Nation zusammenzuschweißen. Die Nationalitäten – verständlich und gesetzmäßig – stellten sich gegen sie und orientierten sich anderweitig. Die Rumänen und Serben in Richtung Mutterland, Rumänien und Serbien, die Slowaken in Richtung Tschechen. Das Ziel der Kroaten war die Unabhängigkeit. Ironie des Schicksals ist, dass ihr alter Traum nach dem Friedensvertrag von Trianon nicht in Erfüllung ging. Sogar waren sie nach 1920 in einer viel schlechteren Position als früher. Innerhalb des Königreichs Un- garn genossen sie eine relative Eigenständigkeit, in Jugoslawien waren sie eine Provinz unter anderen. Für sie war es kaum ein Trost, dass auch „ die Kuh des Nachbarn verendete.”
Es stellte sich heraus, dass es nicht ausreicht, einmal im Jahr die Heilige Rechte herumzutragen, fromm den Heiligen König und die Heilige Krone in Erinnerung zu rufen, auch aus seinen Prinzipien hätte man einige in die Praxis umsetzen sollen. Die Herren des ständischen Ungarn gingen nach ihrem eigenen Kopf und manövrierten das Land gen Trianon. Ihr erinnert euch, was der venezianische Gesandte Francesco Massaro vor vierhundert Jahren über uns sagte: „ Es herrscht kaum Gehorsamkeit unter ihnen, sie sind stolz und arrogant, sie können weder herrschen noch regieren, und nehmen keinen Rat von dem an, der davon etwas versteht.” „ Die stolze Tradition” hat auch nach Jahrhun der- ten das Gebot der Nüchternheit unterdrückt. Wir wissen, die
Ungarn / Madjaren sind eine Nation, die die Traditionen ehrt. Aber seien wir mal konsequent: Für die Konsequenzen unserer Traditionen, eigener Ungeschicklichkeiten und Irrtümer machen wir doch nicht andere verantwortlich.
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200 Jahre Wiener Kongress
Am Wiener Kongress wurde die Weltordnung neu geschrieben
Von Ernst Brandl
Vor 200 Jahren war Wien mehrere Monate lang das politische, kulturelle und gesellschaftliche Zentrum Europas. Die bedeutendsten Herrscher Europas und ihre Abgesandten bestimmten auf dem sogenannten „ Wiener Kongress” die Neuordnung des Kontinents, der durch die Napoleonischen Kriege seine politische Stabilität verloren hatte. Ab Februar 2015 wird sich ein spezieller Ausstellungsreigen in Wien mit dem Thema „ 200 Jahre Wiener Kongress” befassen.
Europa besaß damals fünf Supermächte, Österreich, Preußen, England und Russland als Koalition der Sieger über Napoleon, am Wiener Kongress wurde auch das Besiegte Frankreich als Part ner in den Kreis der Entscheidungsträger aufgenommen. Eine kluge Vorgehensweise, denn ein Tribunal mit Ausschluss Frank reichs hätte keine stabile Ordnung gebracht. Eine Handvoll pragmatischer Männer, keine Monarchen, sondern die führenden Minister, hatten die Verantwortung für die Neugestaltung Euro pas. Die Entscheidungen wurden von den Ministern in Sepa ratkonferenzen verhandelt und dann dem allgemeinen Kongress vorgelegt und beschlossen. Manche Beschlüsse haben bis heute Gültigkeit.
Der Wiener Kongress begründete etwa die Schweizer Neutra- lität. Bis zur Niederlage Napoleons in den Befreiungskriegen 1813 war die Schweiz ein französischer Vasallenstaat. In Wien im „ Komitee für die Eidgenossenschaft” gab es ein zähes Ringen der Delegierten. Das Ergebnis: Die souveränen Kantone rückten unter Druck enger zusammen, somit wurden am 20. März 1815 die Grenzen proklamiert, die bis heute in etwa die Grenzen der Schweiz geblieben sind. Zugleich wurde die dauernde Neutralität der Schweiz festgelegt, sie erscheint heute als Selbstverständlich- keit, wurde aber 1814 / 15 durch Diplomatenarbeit hart erarbeitet.
Der Wiener Kongress leitete auch das Ende des europäischen Sklavenhandels ein. Englands Außenpolitik am Wiener Kongress war eher pragmatisch, aber in einem Punkt war sie stur: England verlangte von den anderen europäischen Mächten die Abschaf- fung des Sklavenhandels. Frankreich, Spanien und Portugal kämpften mit allen Mitteln dagegen. So kam am 8. Februar 1815 eine Erklärung zustande. Ein nennenswerter Rückgang des Sklavenhandels gelang allerdings erst ab den 1850er Jahren – die betroffenen Staaten hatten auf eine Übergangsfrist bestanden.
Erst im August 2014 feierte das niederländische Königshaus das 200 Jahr-Jubiläum. Zu verdanken ist das( auch) dem Wiener Kongress. Denn die Neuordnung Europas sollte Frankreich mit starken Mächten einkreisen. Daher gründete man im Norden das Vereinigte Königreich der Niederlande, eine Zusammenfassung der belgischen und niederländischen Provinzen zu einem Staat mit einem Fürsten aus dem Haus Oranien an der Spitze, der auch das Großherzogtum Luxemburg mitregierte. So entstand ein Staat von 65 000 Quadratkilometern und annähernd sechs Millionen Einwohnern, mit mächtigen Bankhäusern, holländischen Häfen und der belgischen Industrie.
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