Attila Csernok
Madjaren – Nationalitäten – Trianon
Der Beitrag ist auf der Internetseite www. kommunista. net erschienen. Wir veröffentlichen den Beitrag in mehreren Teilen. Sie lesen den letzten Teil. Übersetzung: Richard Guth
Wenn wir mit unseren ethnischen Wahrheiten 1920 keinen Erfolg erzielten, warum denkt dann jemand, dass man 90 Jahre später, wenn wir unter anderen mit Rumänien und der Slowakei in einer Gesellschaft Mitglied der EU sind, mit diesen antiquierten „ Wahr- heiten”, mit dem „ Tausendjährigen Ungarn”, „ mit den Ländern der Heiligen Krone” etwas erreichen kann? Einen Vorteil oder irgendwelche Vergünstigungen mit Sicherheit nicht. Ganz im Gegenteil. Nach einer gewissen Zeit wird über einen das Gefühl des Verdrusses Herr, und wir werden zusammen mit Bosnien und dem Kosovo zu den Unfriedenstiftenden gezählt. Es ist gut möglich, dass es die Truppen mit den Arpadenstreifen und den 64 Komitaten und die nationalistisch-rechte Think-Tanks( Denkfab- riken), die sie aus dem Hintergrund hetzen, wohl wissen. Haben sie kein anderes Ziel als die Gegnerschaft zwischen Ungarn und der Slowakei wie Ungarn und Rumänien neu zu entfachen? Ich verstehe eins nicht: Warum soll das gut für uns sein? Man darf sich nicht wundern, dass die slowakischen Polizei die mit Groß-Ungarn geschmückten Fahnen nicht mit Begeisterung empfing und dagegen vorging. Viel härter, als unsere „ nationalkonservativen” Mad- ja ren von unserer Polizei, die von der rechtsextremen Lum pen- akademikerschaft eingeschüchtert wird, gewohnt ist. Man kann auch darüber Tränen vergießen, auf die gute liberale Art protestieren, seinen Unmut bekunden. Und sich darüber aufregen, auf die Menschenrechte und die Freiheit der Meinungsäußerung berufen. Ich sage es nur leise, wenn bei wenn die ungarischen / madja ri- schen Provokationen bei Rumänien auf alle mal den Fass zum Überlaufen bringen würden, und dessen Armee als Antwort Un- garn bis zum Theiß( ein alter Traum von ihnen) besetzen würde, was würde dann der „ Held” mit den 64 Komitaten, von Groß- ungarn und dem Arpadenstreifen tun? Ich sag’ s rechtzeitig: Die EU hat keine Armee, mit der sie uns – wenn sie überhaupt die Absicht hätte – helfen könnte. Niemand soll es glauben, dass dann die NATO kommt und die Rumänen rausschafft. Es ist gut zu wissen: Der NATO ist Rumänien heute viel wichtiger als Ungarn. Warum? Weil es viel näher an dem Nahen Osten und Russland dran ist wie wir. Erinnert ihr euch an Zypern, wo man den griechischen-türkischen Konflikt damals so „ gelöst” hat, dass man die Insel unter den zwei streitenden NATO-Mitgliedern aufgeteilt hat. Die Causa Bosnien und Kosovo erwähne ich am besten erst gar nicht. Es ist nicht verkehrt, daran zu denken, dass sich die Großmächte nicht um die Klagelieder der kleinen Nationen kümmern, sondern um ihre eigenen strategischen Gesichtspunkte. Es gab vor unserer EU-Mitgliedschaft keinen, nach der EU- Erweiterung gibt es schon gar keinen bedeutenden Politiker auf dieser Erde, der den Slogan „ Justice for Hungary” auf seine Fah- nen schreiben würde. Welche Gerechtigkeit? Sie verstehen es nicht einmal, worüber wir reden. Sie verstehen es nicht, warum wir uns nicht um die Sorgen und Nöte der Problemregionen des Landes, um die Not leidende Dörfer in Borsod und Nyírség kümmern. Sie verstehen nicht, warum dieser „ wilde, turanische Stamm” nicht in seiner eigenen Haut bleiben kann. Warum er sich nicht über die immer effizientere Verausgabung von mehreren Milliarden Euro Fördergelder den Kopf zerbricht. Es wäre besser, wenn sie anstelle des Fahnenschwenkens und der Randale lernen würden, wie man Bewerbungen schreibt und anständig am Ende abrechnet.
Von einem Leser aus Budapest wurde mir vorgeworfen, dass in „ Pontonhíd” „ wir Ungarn / Madjaren fast immer im negativen Lichte erscheinen lassen und die Nationalitäten fast immer im positiven”. Ich freue mich nicht, wenn jemand aus meiner Schrift das herausliest, weil ich keine derartige Absicht hatte. Nach meinem besten Wissen habe ich sowas gar nicht geschrieben. Im Zusammenhang mit der Nationalitätenfrage spreche ich hauptsächlich über die Funktionsweise der madjarischen / ungarischen Führungsschicht, weniger über die „ Madjaren”. Ich habe weder die Madjaren noch die Nationalitäten qualifiziert. Ich weiß nicht, wer unter den Beteiligten bei der Tragödie von Trianon positiv, wer negativ aufgefallen ist. Ich weiß nur, wer vorausschauend war, wer geschickt war, Leute, die die Interessen ihrer jeweiligen Na- tion vertreten haben.
Und wer diejenigen waren, die im Besitz der Macht eine Stra- tegie verfolgten, die vom Wegschauen, von Engstirnigkeit und von Nations- und Selbstzerstörung geprägt war. Wir können darin sicher sein, dass Letztere wir, Madjdaren / Ungarn waren. Noch genauer: die madjarische / ungarische Führungsschicht. Meine Meinung habe ich mit zeitgenössischen demographischen Angaben, Schriften und Reden untermauert. Ich habe gezeigt, was man bereits damals, sogar ein Jahrhundert davor wissen und sehen konnte. Hinsichtlich meiner Aussage ist all das gewissermaßen unerheblich. Vereinfacht formuliert: Die Nationalitäten, die die Mehrheit im Land stellten, hatten Recht, als sie Autonomie und Sprachrechte wollten( oder sich gewünscht hätten). Ich füge hinzu, dass es eine selbstzerstörerische Kurzsichtigkeit seitens der Besitzer der Macht, der oberen Stände des ständischen Ungarns war, ihnen sogar den Sprachgebrauch zu verwehren. Ich vermute, das Konzept war, dass diese 11 Millionen Nationalitätenange- hörigen wohl gezwungen sein werden, ungarisch zu lernen und so schnell wie möglich zu Madjaren zu werden. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum unsere Herren davon ausgingen, wenn sie ungarisch lernen, dass sie dann auch emotional zu Madjaren werden. Das war ja eine für die späten Nachfahren der Arpaden würdige, ambitionierte Strategie. Ich würde es aber nicht mehr be- haupten, dass das ein umsichtiges Konzept war. Wenn sie nicht mal bereit waren, andere Perspektiven zu berücksichtigen, wenn sie nicht einmal Milde walten ließen, dann hätten sie wenigstens die Gefahr erkennend etwas für die Entschärfung der Natio- nalitätenkonflikte tun sollen. Das übermäßige Selbstvertrauen hat leider die Alarmglocken des Gefühls für Gefahrenmomente verstummen lassen. Lasst uns die Frage vereinfachen und annehmen – das ist wahrscheinlich nicht wahr, aber der Argumentation zuliebe nehmen wir es an, damit es verständlicher wird, was ich sagen will –, dass die Nationalitätenbevölkerung aus lauter Bösewichten, negativen Figuren bestand. Das Problem war, dass diese Natio- nalitäten in 36 Komitaten – vor allen in den Grenzregionen – die Mehrheit stellten. Wir Madjaren in nur 34 Komitaten – hauptsächlich in Zentralungarn –. Das sind insgesamt 70 Komitate. Erinnert ihr euch noch, es gab noch einen Komitat, Kronstadt, wo der Anteil der madjarischen und der rumänischen Bevölkerung die Waage hielt. Es ist leicht einzusehen, dass in einer solchen Situation völlig unerheblich war, welche Streitigkeiten es in Mara- mieresch beispielsweise zwischen zwei Nationalitäten, zwischen den Rumänen und Ruthenen, gab. Unsere madjarische Volks- gruppe, die einen Anteil von 15 % hatten, war ein unbedeutender Faktor neben den Ruthenen( 45 %), den Rumänen( 23 %) und den Deutschen( 17 %). Es ist völlig egal, wer „ negativ” und wer „ positiv” war. Sie waren mehr als wir, aber die Gefahren, die daraus
( Fortsetzung auf Seite 12)
11