S onntagsblatt
Nr. 2/2015
Gegründet von Dr. Jakob Bleyer im Jahre 1921
Informationen, Meinungen
MOTTO – „Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat.
Deswegen muss man das Wahre unermüdlich
in Worten wiederholen.”
Goethe
„Ungarn hat aus seinem
lebendigen Leib ein Stück
herausgerissen”
An den Rand eines Präsidentenbriefes und seiner Nachbeben
Von Richard Guth
„Mein Vater, meine Mutter, mein zehnjähriger Bruder Alfons und ich
setzten uns auf den Lastwagen, und wussten nicht, wohin wir fahren,
nicht einmal, wohin, nicht einmal, warum.”
Sehr geehrte Gedenkende,
Ein Bogdaner Bursche hat es nicht verstanden. Es gab nichts
daran, was man verstehen konnte.
Warum muss man den Ort verlassen, mit dem die Familie durch
die harte Arbeit von Generationen verbunden war? Warum wurde
plötzlich jemand zum Fremden, dessen Vorfahren seit Jahr hun -
derten in der gleichen Gemeinschaft lebten? Warum musste man
das Vaterland verlassen, was man sein Eigen nannte? Warum hat
man sie allem beraubt?
Am Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Waffen zwar stumm
geworden, aber der Frieden hat einen hohen Zoll verlangt. Den
Verlusten Ungarns folgten weitere. Es wurden wieder solche
Men schen stigmatisiert, die keine Sünde begangen haben. Man
nannte solche Menschen Verräter, die in unseren bürgerlichen
Freiheitskämpfen als Patrioten ihren Mann standen, und auf die
wir beim Aufbau des Landes immer zählen konnten. Wie ein alter
Schwabe aus Bogdan formulierte: Seine Ahnen „waren immer
Ungarn (magyarok) und wollten auch immer Ungarn bleiben”.
Als der Staat auf viele tausende Landsleute deutscher Zunge
verzichtet hat, dann hat Ungarn aus seinem lebendigen Fleisch ein
Stück herausgeschnitten. Die Vertreibung brachte man auf einen
solchen Weg, der über den systematischen Abbau der Freiheit zur
Beseitigung bürgerlicher Werte führte.
Diese Wunde konnte nie mehr richtig heilen. Das Land hat die-
sen Verlust, den die Auflösung eines Werte schaffenden und fried-
lichen Zusammenlebens verursachte, nicht verkraftet.
Aus vielen Landesteilen verschwand die deutschsprachige Ge -
meinschaft ganz. Wo es noch welche blieben, oder wo sie nach
einer gewissen Zeit zurückkehrten, auch dort konnte man nicht
alles so weitermachen wie bisher.
„Meine Eltern lebten jahrelang im Ex-Lex-Zustand”, erzählt
Jakob Bleyer Gemeinschaft e.V.
ZUM MUTTERTAG
O hast du noch ein Mütterlein
so hab es lieb und halt es wert
und wenn dir hat der liebe Gott
ein schönes Erdenglück beschert
sag’s ihr und du bist doppelt froh
Kein Herz teilt deine Freude so
O hast du noch ein Mütterlein
so hab es lieb und halt es wert
Und wenn auch alles dich betrog
wenn wilder Schmerz dein Leben zehrt
glaubst du, daß nirgends Treue sei
das Mutterherz bleibt ewig treu
O hast du noch ein Mütterlein
so hab es lieb und halt es wert
Und wenn des Schicksals rauhe Hand
dich weit durch alle Länder trieb
Und fandest du nicht Rast noch Ruh
ans Mutterherz nur flüchte du
O hast du noch ein Mütterlein
so hab es lieb und halt es wert
Und wenn es schon gestorben ist
und ruhet still in kühler Erd’
geh an ihr Grab und tröste dich
und denk. sie lebt und siehet dich
(Volksweise)
eine Bogdaner Frau, die damals zwar ein Kleinkind war, aber bei
der die Jahre des Verschweigens die Unsicherheit, die Angst und
die Kummer wegen der Ungerechtigkeit tief eingeprägt haben.
Deswegen haben wir, meine Damen und Herren, auch aus der
Perspektive von so vielen Jahrzehnten eine wichtige Aufgabe. Wir
müssen verlautbaren, wer aufgrund der Herkunft einen Unter -
schied zwischen Ungarn und Ungarn macht, der verneint die
ganze Nation.
„Das Herz des empathischen und Nächstenliebe übenden
Menschen schmerzt, blutet und zerbricht fast”, schrieb Fürstpri -
mas József Kardinal Mindszenty in seinem Hirtenbrief, in dem er
gegen die Vertreibung protestierte. Und wie wir uns mit ihm
zusammen vor den Leidenden verneigen, so bekennen wir uns mit
ihm zusammen dazu, dass man niemanden aufgrund von Rasse
und Religion mit „kollektiver Menschenjagd” bestrafen kann.
(Fortsetzung auf Seite 2)