Sonntagsblatt 1/2025 | Page 30

DIE DEUTSCHE SPRACHE ALS AUS- DRUCKSFORM DER BÜRGERLICHKEIT

Die Zettl-Langer-Sammlung in Ödenburg und eine vergessene Gesellschaftsschicht
Von Ágoston Frank
Die Geschichte der sprachlichen und nationalen Minderheiten in Ungarn kann nicht ohne die Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Stellung betrachtet werden. In einer multiethnischen Gesellschaft, die für das historische Ungarn bis zum Ende des Ersten Weltkrieges den Normalzustand darstellte, waren die Machtverhältnisse der einzelnen nationalen Gruppen nicht nur auf Landesebene, sondern auch auf lokaler Ebene von entscheidender Bedeutung. Die historischen Minderheiten Ungarns ergeben in dieser Hinsicht ein vielschichtiges Gesamtbild. Eine Ausnahme von den überwiegend ländlichen und landwirtschaftlich geprägten Nationalitäten bildeten die Deutschen und die Juden – wobei die Stellung der Letzteren als Nationalität intensiv diskutiert wurde. Diese Debatte war nicht nur während der Zeit der Österreich-Ungarischen-Monarchie präsent, sondern blieb auch in der Zwischenkriegszeit ungelöst.
Die deutsche Nationalität wurde hingegen von Anfang an als ethnische Gruppe wahrgenommen, obgleich von Einheitlichkeit keine Rede sein konnte. Die Deutschen, die in ländlichen Dörfern Ungarns lebten und weniger von der Assimilation betroffen waren, standen einer schnell madjarisierenden Minderheit der Mittel- und Oberschicht in den ungarischen Städten gegenüber. Dort war es für Deutsche nahezu unmöglich, ohne enge berufliche und persönliche Beziehungen zu den Ungarn( Madjaren, Red.) gesellschaftlich aufzusteigen. Infolgedessen passte sich diese städtische Gruppe sowohl sprachlich als auch identitär besonders schnell an.
Es wäre jedoch ein Fehlschluss, diesen Zweig des Ungarndeutschtums bei der Bewahrung und Weitergabe der deutschen Traditionen gänzlich außer Acht zu lassen. Obwohl diese Gruppe aufgrund ihrer konzentrierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht weniger vom Ungarntum( Madjarentum, Red.) isoliert war als die Bewohner deutscher Dörfer – sei es in der Schwäbischen Türkei oder anderswo im Land –, spielten und spielen diese Familien bis heute eine bedeutende Rolle im ungarländischem Deutschtum.
Die Nachzeichnung ihres Lebens und ihrer Geschichte ist in mancher Hinsicht schwieriger als jene des ländlichen Deutschtums. Dies liegt vor allem an der fehlenden oder verringerten Isolation sowie an der stärkeren Assimilation
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