bin zu akzeptieren, dass man eigentlich in keiner Situation mehr nur Privatperson sein kann, weil man fast immer als öffentliche Person gesehen wird, die in allen gesellschaftlichen Bereichen ihren Beitrag zu leisten hat. Mir war aber während meiner langjährigen kommunalpolitischen Tätigkeit – stets an vorderster Front – immer deutlicher geworden, wie wichtig die kommunale Ebene für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaft ist. Dazu kommen noch die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten eines Landrats. So habe ich mich im Einvernehmen mit meiner Frau entschlossen, mich dieser Herausforderung zu stellen.
Danach war die Kandidatendiskussion ziemlich rasch beendet und Unterbezirksvorstand und Kreistagsfraktion der SPD fassten den einstimmigen Beschluss, mich dem Sonderparteitag als Kandidaten für die Wahl zum Landrat vorzuschlagen. Bei der Begründung des Vorschlages stellte der Unterbezirksvorsitzende u. a. fest, dass im Vorfeld die Befürchtung geäußert wurde, ich sei für dieses höchste kommunalpolitische Amt im Kreis „ zu gerade aus und zu offen“, was ja dem landläufigen Bild von einem Politiker widerspreche. Und er ergänzte, genau das sei der Grund gewesen, weshalb der Unterbezirksvorstand mich für dieses Amt vorgeschlagen habe. Bei der Abstimmung erhielt ich 165 der abgegebenen 172 Stimmen. Bei der Wahl im Kreistag am 19. Februar 1992 erhielt ich 46 von 82 Stimmen.
Im Rückblick auf meine neunjährige hauptamtliche Tätigkeit als Landrat und Schuldezernent kann ich feststellen- ohne überheblich zu sein-, dass ich in vielen Bereichen sehr erfolgreich gearbeitet habe. Ich will aus der Vielzahl der Beispiele nur drei kurz anführen. Im Bereich der Schulpolitik kann ich feststellen, dass bei meinem Ausscheiden aus der Kommunalpolitik im Kreis Offenbach ein umfassendes Schulangebot vorhanden war. Dieses hat sich ganz wesentlich in Richtung auf mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit so weiterentwickelt, dass es jedem Vergleich mit den umliegenden großstädtischen Angeboten standhalten kann.
Im Bereich der medizinischen Versorgung der Kreisbevölkerung konnte ab April 1994 nach dem Versagen der Kassenärztlichen Vereinigung eine entscheidende Verbesserung erzielt werden: in Zusammenarbeit mit den beiden Kreiskrankenhäusern die Einrichtung eines Notfall-Rettungssystems rund um die Uhr in kreiseigener Regie.
Aus einem ganz anderen Bereich möchte ich aber noch ein Vorhaben erwähnen, das mit Blick auf die Siedlungsentwicklung im östlichen Teil des Kreises unter regionalplanerischen, städteplanerischen sowie wirtschaftlichen und auch ökologischen Aspekten schon seit Anfang der 1970er Jahre als eine der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen für die weitere Entwicklung diskutiert wurde. Es ging um den Ausbau der seit 1896 bestehenden Eisenbahnstrecke zwischen Offenbach und Reinheim im Odenwald zur zweigleisigen S-Bahnstrecke bis Ober-Roden. Der Diskussions-, Planungs- und Entscheidungsprozess für diese „ Jahrhundert-Maßnahme“ zog sich schon seit etwa drei
Jahrzenten dahin und schien im Jahr 1994 wieder einmal vom Scheitern bedroht. Das veranlasste mich, die zuständigen Politiker und Fachplaner auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene zu einer „ Krisensitzung“ einzuladen. Auf der Grundlage einer umfassenden Bestandsaufnahme fand man einen Lösungsansatz für die vermeintlich unlösbaren Probleme. Am Ende der Sitzung bestand Einvernehmen darüber, dass durchgängige Zweigleisigkeit unabdingbar ist. Diese S-Bahn sollte problemlos in das S-Bahn-Netz des Rhein-Main-Gebietes eingebunden werden, damit es den Anforderungen eines modernen Nahverkehrssystems bis weit in das nächste Jahrhundert hinein gerecht werden kann. Damit konnte durch meine persönliche Initiative der Verhandlungsmarathon mit einem für alle Beteiligten positiven Ergebnis abgeschlossen werden: Mit dem Netzschluss in unserem kreisweiten Schienensystem konnte die entscheidende Grundlage für einen leistungsfähigen ÖPNV geschaffen werden.
Dass ich auch dabei wie immer ohne sprachliche Verschleierungen und mit „ offenem Visier“ gehandelt und „ gekämpft“ habe, wurde mir sogar von meinen politischen Konkurrenten anerkennend bestätigt. So sagte z. B. ein Bürgermeister der CDU nach dem Ende einer Bürgermeister- Dienstversammlung: „ Herr Lach, bei Ihnen weiß man immer, woran man ist und dass man sich auf ihre Zusagen auch verlassen kann“.
Von Zuhören bei meinen Reden konnte ich in anschließenden Gesprächen ähnlich Bemerkungen hören, wie z. B.: „ Bei ihren Reden hat man immer den Eindruck, dass sie das, was sie sagen, auch wirklich meinen“.
Und ein Wirtschafts- und Organisationsberater für Krankenhäuser schrieb mir:“ Auch möchte ich nicht verhehlen, dass durch die Zusammenarbeit mit Ihnen mein eher negatives, durch Medien geprägtes Bild über Politik und Politiker ins Wanken geraten ist. In Ihnen habe ich einen verantwortungsvollen Sachwalter für Bürgerinteressen kennen gelernt, der mich veranlasst hat, grundsätzlich wieder positiver über diese Dinge zu denken.“
SB: Ihr Landratsamt fiel in eine Zeit, als nach der politischen Wende viele Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind, sei es aus Rumänien oder aus Polen oder den GUS-Staaten- wie haben Sie diese Entwicklung als Landrat erlebt / wahrgenommen?
JL: Bei der Unterbringung und Integration der Spätaussiedler aus den osteuropäischen Staaten gab es eine gute Zusammenarbeit des Kreises mit den Städten und Gemeinden. Sowohl der Kreis als auch einige Gemeinden stellten Gebäude als Übergangswohnheime zur Verfügung, für deren Belegung die Kreisverwaltung zuständig war. Im Bildungsbereich- vor allem zur Sprachförderung- gab es zahlreiche Angebote der Kreis-Volkshochschule. Die Betreuung im Sozialbereich und bei alltäglichen Problemen in der neuen Heimat wurde sowohl von angestellten Sozialarbeitern als auch von vielen ehrenamtlichen Betreuungskräften sozialer und kirchlicher Institutionen
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