REISENOTIZEN ( 16 )
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UNGARISCHES PINKATAL
Von Richard Guth
( August 2023 ) Wie Perlen an einer Kette reihen sich fünf Ortschaften nahe des Komitatssitzes Steinamanger aneinander . Eigentlich gehört zum Ensemble im ungarischen Pinkatal auch noch ein sechster Ort : Petrovo Selo - zu Deutsch Prostrum , zu Ungarisch Szentpéterfa - , wird aber durch eine hineinragende österreichische Landzunge geografisch von den restlichen Dörfern getrennt . Dies hat wiederum historische Gründe : Diese Ortschaften waren für den Anschluss an Österreich vorgesehen , ehe sie 1923 wieder an Ungarn angegliedert wurden .
Wandel und Tradition – dieses Begriffspaar charakterisiert am besten den Alltag im ungarischen Pinkatal , das eine Besonderheit aufweist : Es handelt sich ausnahmslos um Gemeinden mit kroatischer und deutscher Bevölkerung , auch wenn der Anteil der Kroaten und Deutschen durch Mischehen und Zuzug aus Nah und Fern in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat .
Das ungarische Pinkatal gehört zweifelsohne zu den landschaftlich schönsten Gegenden des Landes . Auch jetzt - normalerweise in einem der trockensten Monate des Jahres - reihen sich die penibel geschnittenen Rasenflächen wie ein grüner Teppich aneinander - dank des vielen Regens , der in den letzten Wochen gefallen ist . Aber auch die Gemeinden machen einen aufgeräumten Eindruck , als wären sie österreichische Musterdörfer . Dies ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet , dass Österreich nur wenige hundert Meter entfernt liegt . Wie ich in den Gesprächen oft höre , arbeitet ein Großteil der Bevölkerung im Nachbarland .
Das war aber lange nicht so : Das ungarische Pinkatal war bis 1989 Sperrgebiet , die Dörfer Pernau / Pornóapáti und Hrvatske Šice / Kroatisch Schützen / Horvátlövő lagen sogar mittendrin . Über das beschwerliche Leben im Sperrgebiet mit ständigen Kontrollen und Beschränkungen erzählt mir eine Kroatisch Schützerin Mitte 60 vor der katholischen Pfarrkirche der 217 Seelen-Gemeinde . Aber die Zeiten hätten sich geändert , viele Menschen von Nah und Fern seien hinzugezogen , was die Bevölkerungsstruktur der Gemeinde verändert habe , so die alteingesessene Kroatin mit einer tiefen Verbundenheit mit dem katholischen Glauben . Sie lädt mich ein , die kleine Dorfkirche voller kroatischer Inschriften zu betreten . Sie erzählt , dass immer noch zweimal im Monat kroatische Messen gefeiert würden . Der neue madjarische Pfarrer , der für sechs Gemeinden im Pinkatal zuständig ist , studiere gerade die kroatischen Texte ein , predige aber wie seine Vorgänger auf Ungarisch . Zuletzt habe das Dorf 1970 einen Seelsorger kroatischer Muttersprache gehabt . Auch im kroatischen Dorf Gornji Četar / Oberschilding / Felsőcsatár , zwei Ortschaften weiter , erzählen mir Alteingesessene über die Veränderungen in letzter Zeit : Gerade am Berg hätten sich viele angesiedelt , „ 50 an der Zahl , Sie sollten es
SoNNTAGSBLATT selber sehen ”. Ich mache mich auf den Weg , und tatsächlich : Die alten Press- und Wochenendhäuser erstrahlen im neuen Glanz , die Landschaft ist atemberaubend . Die Zahl 50 mag nicht viel sein - aber wenn man dies in Bezug zur Einwohnerzahl setzt ( knapp 500 ) - dann sprechen wir von 10 % der Gesamtbevölkerung .
„ Die Mehrheit der Zugezogenen ist erst in den letzten drei Jahren hierhergekommen ”, das erzählt mir bereits eine Frau in Großdorf / Vaskeresztes , die lange im benachbarten Oberschilding gearbeitet hat . Auch sie nahm die Veränderungen intensiv wahr : „ Als ich um 2000 nach Oberschilding kam , wollten alle kroatisch mit mir sprechen . Das hat sich aber verändert ”. Eine Veränderung , die die bereits zitierten Oberschildinger folgendermaßen auf den Punkt bringen : „ Früher kam wegen der Sperrzone keiner zu uns , jetzt auf einmal viele .” Eine Erklärung für die Migrationsbewegungen liefert eine junge Zugezogene mit Tochter in Kroatisch Schützen : Auf dem Lande könne man dank dem Dorf-Baukindergeld bzw . der Dorf-Eigenheimzulage ( ung . falusi csok ) unter günstigen Konditionen Eigentum erwerben .
Die beiden kroatischen Dörfer Kroatisch Schützen und Oberschilding machen an diesem Werktag
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