Sonntagsblatt 1/2024 | Page 18

Wiederaufbau der Franz-Josef-Brücke und der Bahnhöfe in Budapest mitgenommen . Aber das wissen weder sie noch die Dorfbewohner . Mit diesem Jahr kommen immer mehr Fremde und Neusiedler ins Dorf , die in die Häuser der Ungarndeutschen einquartiert werden . Oft müssen die Dorfbewohner den neuen Dorfbewohnern Haus und Hof überlassen und zu Verwandten ziehen . Die Armut ist groß , das Geld verliert Stunde für Stunde , Minute für Minute an Wert . Das findet aber am 01 . August 1946 ein Ende , als der Forint eingeführt wird .
An Fronleichnam ( 05 . Juni ) 1947 tauchen alarmierend Autos im Dorf auf , die auf ihre Fahnen den Befehl zur Aussiedlung der Schwaben geschrieben haben . Die Dorfbewohner haben wenig Zeit , um überlegt nachzudenken , was sie mitnehmen wollen . Sie sind aufgefordert , Haus und Hof zu verlassen - ohne Widerstand . Wer sich das wagt , muss mit den schweren Gummischlägen der Gendarmerie rechnen . Die Ungarndeutschen gehen , die Madjaren aus Oberungarn , aus St . Peter / Svätý Peter / Komáromszentpéter und aus anderen Dörfern kommen . “ Die Schwaben sind mit einem Bündel gekommen und mit einem Bündel sollen sie gehen “, lautet der Satz . Zu diesem Zeitpunkt finden die “ Vertriebenen ” bei Verwandten und Freunden Unterschlupf . Das führt dazu , dass in einem kleinen Haus 2-3 Familien zusammenkommen . Bewohner von Bauernhäusern mit einem Ziegeldach müssen das Haus Neuansiedlern überlassen . Neuankömmlinge können sogar das passende Haus für sich aussuchen . Meine Familie mit meiner eine Woche alten Oma flüchtet ins Nachbarhaus . Da wohnen sie ( 6 Leute ) und noch zwei andere Familien . Dieses Haus ist kein prächtiges Bauernhaus , sondern sehr klein und hat nur ein Strohdach - ein bescheidenes Lehmhaus . Darum erhalten dessen Bewohner den Aussiedlungsbefehl . Die Männer müssen in der Scheune übernachten , da es keinen Platz für sie im Wohnbereich gibt . Mein Ururopa ist Holzdrechsler , was als wichtiger Beruf in der Gegend gilt . Viele kennen den Holzdrechsler “ Patzelt ”. Er macht sich in den nächsten Tagen auf die Suche nach einer Unterkunft und findet bald ein Zimmer mit einer Küche bei einer Familie in Tamási . Meine Familie zieht dann nach Tamási . Die Großeltern meiner Oma ziehen nach Nagykónyi . Viele bleiben aber noch in Pari bei Verwandten . Mein Opa ( Janosch Rauh ) und seine Familie sind sehr arm , sodass sie im Dorf bleiben dürfen .
Ende 1947 kehren bekannte Gesichter ins Dorf zurück . Die Zwangsverschleppten sind von der Sowjetunion „ entlassen “ worden . Sie kehren verhungert , seelisch hin- und hergerissen zurück und müssen feststellen , dass ihr ehemaliges Geburts
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haus im Besitz von Fremden ist oder die eigene Familie nicht mehr im Dorf wohnt …
In das Dorfleben schleicht sich die Politik bzw . schleichen sich die Parteien ein . Die Neuankömmlinge sind Parteimitglieder und wollen das Leben des Dorfes steuern . Selbst der Pfarrer wird zur Zielscheibe und wird an einem Morgen , als er die heilige Messe halten möchte , von Parteileuten umstellt und verprügelt . Er rettet sich und kann schwer verletzt das Dorf verlassen . Er wird in Fünfkirchen behandelt und nach seiner langen Genesung kehrt er noch ins Dorf zurück . An diesem Tag wird er von den Gläubigen am Bahnhof empfangen .
Im April 1948 werden dann die hier gebliebenen Schwaben eingesammelt . Sie haben den Vertreibungsbefehl letztes Jahr erhalten . 455 Parier müssen gehen . Die umliegenden Dörfer sind auch betroffen , sodass die Großeltern meiner Oma in Nagykónyi gehen müssen . Meine Familie in Tamási kann bleiben . Tamási ist von der Vertreibung nicht betroffen . Mit schweren Truhen und Lebensmitteln begeben sich die “ Schwaben ” auf den Weg nach Nagykónyi . Sie wissen nicht , wie lange sie unterwegs sein werden und wohin die Güterzüge mit Menschen beladen fahren . Unter ihnen sind meine Tante , die Großeltern meiner Oma und viele , viele Parier - Ungarndeutsche . Sie fahren in die Ungewissheit . Sie kommen in ein paar Tagen in Pirna in Sachsen an , wo sie in ein Lager gebracht werden .
Die Folgejahre bringen keine nennenswerten Ereignisse mit . Doch eine technische Errungenschaft - der Strom - lässt sich im Dorf begrüßen : 1948 wird auch Pari mit Strom versorgt .
Im nächsten Beitrag erhält der Leser die Erinnerungen der Dorfbewohner an den Malenkij Robot und an die Vertreibung . Darunter entsinne ich mich an das “ glückliche ” Schicksal meiner Familie .
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