Sonntagsblatt 1/2024 | Page 14

KAROLINGISCHE KOLONISATION IN WESTPANNO- NIEN : STUNDE NULL IN DER GESCHICHTE DER
UNGARNDEUTSCHEN ?
diesem strategischen Bereich nicht zufrieden sein und sich die Frage stellen - so der Eindruck einiger - , ob man alles daran gesetzt hat , den Status quo zu verändern .
Der Zusammenhang fehlender ( ur )( groß ) muttersprachlicher Schulen zu den Volkszählungsergebnissen ist naheliegend : Viele Alten seien in den letzten Jahren gestorben , war vielfach zu hören . Ja , eine Generation ist weggestorben , deren Muttersprache noch deutsch war . Aber das Verschwinden der deutschen Sprache in den Familien hat auch mit Sprachenpolitik zu tun . Das fehlende deutsche Schulnetz ( was ja so auch keine Akademikerschaft heranziehen kann ) „ trägt ” nun „ Früchte ” und trifft die Gemeinschaft mit voller Wucht : Die Veränderung begann schon Jahrzehnte zuvor bei der Auflösung der geschlossenen Dorfgemeinschaften , der hohen Zahl an Mischehen und dem steigenden Assimilierungsdruck aufgrund moderner Lebensweisen .
Das Ergebnis ist eine sprachlich weitgehend assimilierte deutsche Gemeinschaft , die vielfach nicht mal mehr das Bedürfnis verspürt , sich um das sprachliche Erbe aktiv zu bemühen . Bequem sind wir geworden : Die Pflege des Herkunftserbes darf nicht mit Mühen verbunden sein und das bedeutet , dass auch die Identität für manche unter Umständen zum austauschbaren Gut geworden ist . Einzig die Kenntnis der Sprache auf hohem Niveau ( Eltern haben hier auch ihre Aufgabe ) und die Bewusstwerdung der Verpflichtungen gegenüber dem sprachlichen Erbe können den Abwärtstrend stoppen . Die Knochenarbeit bleibt keinem der Akteure erspart , Wohlfühlschwabentum ist fehl am Platze , wollen wir in 30-40 Jahren noch – in welcher Größenordnung auch immer - von einer deutschen Gemeinschaft in Ungarn sprechen .

GESCHICHTE

KAROLINGISCHE KOLONISATION IN WESTPANNO- NIEN : STUNDE NULL IN DER GESCHICHTE DER

UNGARNDEUTSCHEN ?

Von Stefan Pleyer Teil 2 ( Teil 1 ist im Heft 4 / 2023 erschienen . Nachzulesen auf www . sonntagsblatt . hu / e-paper )
Drang nach Südosten - die karolingische Kolonisation
Über ein Land zu herrschen reichte den Machthabern des Frühmittelalters nicht . Die Landschaftsund Wirtschaftsgestaltung war ebenfalls von elementarer Bedeutung . Im 9 . Jh . galt das Frankenreich quasi als Exporteur des Feudalismus : Wo der eiserne Adler Karls das Sagen hatte , bemühten sich die Franken , die eroberten Gebiete mit der Einführung des eigenen politischen und wirtschaftlichen System an den Kern des Reiches zu binden . Auch Pannonien zählte zu den Reichsländern und die weltlichen und kirchlichen Systeme wurden schnell aufgestellt . Auch über Untertanen verfügten die Franken in Pannonien wie . z . B . das unterstellte Tributärfürstentum von Priwina bei Mosaburg ( südwestlich vom Plattensee ). Aber diese unterworfenen Völker waren nicht immer Christen und vor allen Dingen waren sie keine fränkischen oder bairischen Bauern , die das Ostland nach westlich-fränkischem Muster feudal-wirtschaftlich umgestalten konnten . Die Führungsschicht kam zwar aus dem Reich , jedoch benötigten die karolingischen Herrscher große Bevölkerungsmassen . Diesen Anspruch hegten die Franken überall , wo sie Herren waren , und dementsprechend führten sie eine weitverbreitete Besiedlungstätigkeit in den frisch erworbenen Territorien durch wie z . B . in Thüringen . Dort fassten nach der Auflösung des Thüringerreiches fränkische Siedler Fuß und schufen eine brandneue Kulturlandschaft . In Pannonien taten sich die Bistümer als hauptsächliche Organisatoren der Kolonisation hervor , vor allem das Erzbistum Salzburg . Karl der Große schenkte Salzburg und noch anderen wichtigeren kirchlichen Machtzentren wie Passau , Regensburg und Freising riesige Ländereien östlich der Enns , also auch in der Awarenmark . Die Bistümer übernahmen auch die Durchführung der Kolonisation des Ostlandes und
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