Sonntagsblatt 1/2021 | Page 16

konnte . In diesem Jahr haben die Behörden auch mit den Belästigungen aufgehört und ihn endlich in Ruhe gelassen .
Unmittelbar nach seinem Tod mit 63 Jahren , also im Februar 1981 , erfuhren wir erst , welchen Behelligungen er Jahrzehnte lang als Ordenspriester und Volkstumsforscher ausgesetzt war . Wie selbstverständlich wollte ich auf meine dringende Frage Antworten bekommen , wie das geschehen konnte , wer daran Schuld hatte . Für eine Weile waren uns noch weitere Informationen verschlossen .
Ende der neunziger Jahre sind die Stasi-Akten allmählich und bruchweise zugänglich geworden . Da stellte ich meinen Antrag und ich durfte in manche Akten , die Meldungen über meinen Onkel beinhalteten , Einsicht gewinnen . Es gab beinahe einhundert Seiten von Meldungen , die diverse Informelle Mitarbeiter – Spione – verfassten , allerdings immer unter Kontrolle und auf thematische Anleitung eines Geheimdienstoffiziers hin . Jeder Spion wurde in den Akten nur unter einem Decknahmen geführt : Die wahre Person ließ sich manchmal nur aus dem Kontext heraus folgern . Nun wollte ich wissen , wer die Personen mit den echten Namen sind , die diese langen Meldungen geschrieben und damit zur langjährigen Belästigung meines Onkels ihren Beitrag leisteten . Bekanntlich hat das Historische Archiv hierfür ein Standardformular , das auszufüllen ist , um die Bekanntgabe der Familien- und Vornamen der Spione und ihrer Vorsteher , der Geheimdienstoffiziere , zu beantragen . Nach etwa zwei Wochen wurde mir schriftlich mitgeteilt , keine der Personen mit den von mir angegebenen Decknamen könnten identifiziert werden .
Anfang der 2000er Jahre , als die Medien berichteten , ein ansehnlicher Teil der Geheimakten sei bereits aufgearbeitet worden , stellte ich wiederholt den Antrag mit einer ähnlich langen Namensliste . Diesmal wurden einige Namen genannt , die einerseits aus dem Kontext heraus feststellbar waren , andererseits die echten Namen von involvierten Zivilisten , nicht aber die Personalien ihrer Auftraggeber und Aufseher , also der gemeinen Mitarbeiter , Abteilungsleiter und Geheimdienstoffiziere , nicht gesprochen von den höher positionierten Stasi-Offizieren . Das heißt , keiner der Berufsspione wurde beim Namen genannt .
Um diese Zeit hieß es auch in den Nachrichten , viele Akten seien in einem entstandenen Feuer zerstört worden .
Das war für mich der Punkt Null . Hier angelangt fand ich fortan sinnlos weiter zu forschen . An diesem Punkt ging es für mich nicht mehr weiter : Es hat ja keinen Sinn , weitere Meldungen zu lesen , bei denen der Auftraggeber oder aber der Adressat im Geheimen bleibt . auch das ganze Korps der Stasi für immer unsichtbar bleiben werde . Wäre es möglich , dass die berüchtigte Behörde auch noch nach ihrer Auflösung die Macht hätte , Opfer und psychisch missbrauchte Zivilisten gegeneinander aufzuhetzen und so die Zivilgesellschaft zu untergraben ? Die Involvierten waren Ärzte , Pädagogen , Redakteure , Schauspieler - Intelligenzler also , die durch ihre Bildung und gesellschaftlichen Kontakte imstande waren , die gewünschten Meldungen zu präsentieren . Dabei weisen allerdings diese Meldungen oft sehr laienhafte Kenntnisse auf , wenn ein Ingenieur etwa über Volkskunde oder eine vor dem Ceaușescu-Regime Geflüchtete über ungarndeutsche Dörfer berichten musste . Was noch zwischen den Zeilen eindeutig hervorgeht , ist , dass die Verfasser der Meldungen unter einem enorm großen mentalen Druck standen . Einmal wurde von ihnen erwartet zu schreiben , was in den konzipierten Plan der Besteller passt , andererseits wurde ihnen vorgeworfen , keine selbstständige und engagierte Arbeit zu leisten . Ich las auch ein Geständnis von einem zusammengebrochenen jungen Mann , der unter Tränen schwur , in der Zukunft voll und ganz den Erwartungen seines Geheimdienstoffiziers gerecht zu werden . Der hielt sein Wort , die Belohnung blieb auch nicht aus : Der junge Mann bekam um 1964 eine Stelle an einer ungarischen Botschaft .
Erpresste Opfer des Regimes sollten daher auch nicht unbedingt freigesprochen werden .
„ Sie waren zu tief in ihre eigene Vergangenheit verstrickt , gefangen in dem Netz , das sie selbst gesponnen mit den Fäden ihrer umwegigen Logik und umwegigen Ethik ;”
Arthur Koestler : Sonnenfinsternis
Fußnoten : ( 1 ) Elmar Schwartz war der Sohn des Rotenturmer Oberlehrers Josef Schwartz . Er besuchte das Gymnasium in St . Gotthard . 1907 trat er in den Zisterzienserorden ein und studierte an der Budapester Universität Deutsch und Latein . 1914 promovierte er zum Doktor der Philosophie mit einer Arbeit über die Lautlehre der deutschen Mundart zwischen Raab und Lafnitz . Er unterrichtete einige Jahre am Ordensgymnasium in Budapest und ging dann an die Universität München . 1934 wurde er Professor für deutsche Sprache und Volkskunde an der Pázmány-Universität in Budapest , wo er das Institut für deutsche Sprachwissenschaft und Volkskunde gründete . 1945 wurde Elmar Schwartz aus Ungarn vertrieben . 1950 erhielt er eine Berufung an die internationale katholische Universität in Löwen , wo er bis 1961 als Professor für deutsche Sprache wirkte . Werke : Die deutschen Ortsnamen Westungarns ( 1932 ); Die deutschen Ortsnamen des Burgenlandes ( 1934 ) ( Quelle : http :// www . atlas-burgenland . at )
An diesem Punkt Null angelangt , dabei in Kenntnis einiger Akten , musste ich zwangsweise eine Bilanz ziehen : Ich habe fast ausschließlich die kleinsten Kettenglieder der höllischen Maschinerie ausfindig machen können ; ich kann darauf überhaupt nicht stolz sein , denn es geht in ihrem Fall faktisch um Zivilisten . Es gibt unter ihnen auch prominente Leute , die durch ihre menschlichen , oft auch mentalen oder körperlichen Schwächen oder aber wegen ihrer Umstände einfach mehr fehlbar als ihre Mitbürger und daher erpressbar waren . Wie selbstverständlich gab es unter ihnen welche , die einer ersehnten Karriere zuliebe zur „ Mitarbeit “ bereit waren . Sie waren zugleich aber auch Verräter , da sie mit meinem Onkel befreundet oder sogar verwandt ( wenn auch nicht blutsverwandt ) waren . Ein Verrat war es schon , auch wenn dabei auch eine Drohung oder ein Versprechen , je nach dem , ausreichend war , den involvierten Agenten oder die Agentin zu motivieren . War jemand wegen seiner menschlichen Schwäche oder aber der allzu großen Rosinen im Kopf erpressbar , fiel er der Stasi leicht zum Opfer . Wessen Opfer konkret mein Onkel war , das konnte ich im Historischen Amt niemals erfahren , der Terror ist gesichtslos geblieben . Nirgends waren die Berufsspione zu finden . Man hat den Eindruck , als ob nicht nur Geheimdienstoffiziere hierzulande wunderbare Tarnkappen hätten , sondern
( 2 ) Julius Gottfried Schweighofer : Siedlungsgeschichte und Mundart von Deutschtewel / Nagytevel – Textbetreuung und – Ergänzung des Manuskripts durch den Freund Professor C . J . Hutterer und posthum hrsg . von Prof . K . Manherz in der Serie Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen 1991
( 3 ) 1947 übernahm die Abtei Sirtz / Zirc ( die sich besonders der Erziehung der Jugend widmet ) die Paternität über das Priorat Spring Bank , wohin Mönche der Sirtzer Kongregation Zuflucht genommen hatten , die unter kommunistischem Druck Ungarn hatten verlassen müssen . Später zogen sie nach Dallas , Texas , wo sie sich an der Gründung der Katholischen Universität und einer neuen Abtei beteiligten ( Our Lady of Dallas , 1963 ). Die Kongregation in Ungarn , die ursprünglich aus der Abtei Sirtz mit ihren ( damals ) sieben Prioraten bestand , wurde am 8 . September 1950 vom kommunistischen Staat unterdrückt und konnte erst 1989 offiziell wieder in Erscheinung treten . ( Quelle : Biographia Cistserciensis / Cistercian Biography online )
( 4 ) Sankt-Emmerich-Stadt wird auch heute der zentrale Teil von Újbuda ( Neuofen ) - der 11 . Stadtbezirk von Budapest - genannt . Die Bezeichnung datiert ab 1930 , dem von der ungarischen ka-
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