Sonntagsblatt 1/2021 | Page 15

Latein und trat bereits als Ordenspriester sein Lehramt im Ofner Zisterziensergymnasium für Jungen an . Er trat gerade dem Zisterzienserorden bei , weil dieser Orden in seiner engeren Heimat , dem Bakonyer Wald , nach der verheerenden Türkenherrschaft auf den ordenseigenen und noch von den Arpaden geschenkten Grundbesitzen für die Neubesiedlung deutsche Siedler , so auch die Schweighofer-Vorfahren , ins Land rief . Pater Gottfried war damals auch ein begeisterter Naturfreund und Pfadfinderleiter . Er führte seine Gruppen auf lange Wandertouren , bei denen er nicht versäumte , den Jungen moralischen Unterricht zu geben .
All diesem Engagement machte die Verstaatlichung der kirchlichen Bildungseinrichtungen , die Zerstreuung der Ordensleute und die Enteignung ihrer Gebäude im Jahre 1950 ein abruptes und schonungsloses Ende . Es folgten für die Ordensleute die undankbaren Zeiten der Zerstreuung . Die meisten Betroffenen wollten damals gar nicht glauben , dass die neue vermeintlich provisorische Herrschaft Jahrzehnte lang andauern wird . ( Typisch für diese Haltung : Ein Pfadfinderleiter schleppte um die Mitte der siebziger Jahre einmal eine sehr lange Stange in seinen Schrebergarten und auf die aufgeregte Frage seiner Frau , was er damit wolle , antwortete er : Die wird der Fahnenmast beim Gelübde der neuen jungen Pfadfinder auf diesem Grundstück sein .) Genauso pflegten die Zisterzienser wie viele andere Vertreter der verschwindenden christlich-bürgerlichen Welt den Gedanken , die kommunistische Ära sei wie eine Kinderkrankheit nur etwas Vorübergehendes .
Julius Gottfried Schweighofer stand vor der Öffentlichkeit nur noch als Julius Schweighofer ohne Brot und Unterkunft da - nicht nur seines Ordensnamens , sondern auch fast aller seiner Habseligkeiten beraubt , nicht aber seiner Ordensweihe und seines Priestertums , dem er zeitlebens treu geblieben ist . Vom finsteren Jahr 1950 an wohnte er zu billigen Untermieten und verdiente durch Fensterputzen im Priesterseminar das Nötigste . Ihm war ja , wie seinen Weggefährten nach der Verstaatlichung , verboten , sowohl als Priester als auch als Lehrer tätig zu sein . Was er aber nie aufgegeben hat : das Zelebrieren der Heiligen Messen , jeden Tag auf seinem Zimmer in der Ménesi-Straße , das im Winter nur ganz spärlich beheizt war ! Mit Hilfe eines seiner alten Schüler gelang es , ihm eine Lehrerstelle in Aszód zu finden . Von da an fuhr er jeden Schultag – jahrelang - bis Mitte der 1960er nach Aszód hin und zurück , um zu unterrichten . Man könnte wohl fragen , warum er darauf beharrte , unter unfreundlichen Umständen in Ofen zu wohnen und die weiten Fahrten auf sich zu nehmen : Er tat es in Treue zu seinem Orden und zu dessen Gymnasium . Er tat dies auch dem Wort seines , in den Kerkern von Rákosi brutal gefolterten Abtes , Vendel Endrédy ( SOCist * 1895 - † 1981 ) folgend . Der Zisterzienserabt unternahm im Jahr der Zerstreuung bekanntlich Folgendes : Er teilte seine Söhne in zwei Gruppen - die eine bekam den Auftrag über Rom nach Amerika zu fliehen und in Dallas bei der Errichtung eines neuen Klosters ( 3 ) mitzuwirken . Die zweite Hälfte der Ordensbrüder verblieb auf das Wort des Abtes hin zu Hause , und zwar womöglich in der Nähe des verstaatlichten Gebäudeensembles von Ordenshaus und Gymnasium , um bei dem Wiederaufbau mitzuhelfen , wenn die kommunistische Macht ein Ende nimmt und ihre Gebäude zurückgegeben werden . Mein Onkel kam 1950 in die zweite Gruppe , deren jüngere Mitglieder noch die praktische Aufgabe hatten , die durch die Stacheldrahtgrenze Richtung Österreich Fliehenden durch den Wald über die Grenze zu begleiten . Durch seine Erfahrungen bei den Pfadfindern war mein Onkel für diese spezielle Aufgabe besonders talentiert , und zwar in dem Maße , dass kein Einziger von den ihm Anvertrauten - nach Aussagen der Zeitgenossen - vom Grenzmilitär erwischt wurde . Und in Dallas steht seit Jahrzehnten das neue Zisterzienserkloster .
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Zurück aber in unser Zimmer in der Béla-Bartók-Straße , wo 1960 meine Mutter gerade bestrebt war , die Situation zu retten : Nachdem die Stasi-Leute die bei uns heimlich untergebrachten , ihn und meine Eltern kompromittierenden Reliquien von Onkel Julius doch gefunden hatten , nahmen sie meinen Vater ins Gefängnis in der Gyorskocsi-Straße mit . Er versuchte zwar für seinen Bruder durch eine Ausrede einzutreten , indem er beim Verhör behauptete , der verdächtige Fund gehöre ihm , doch nahm man seine Worte für keine Sekunde ernst und er wurde am nächsten Morgen wieder freigelassen . ( Er war wohl an seinem Arbeitsplatz in einer damals noch kriegswirtschaftlichen Fabrik als begabter junger Ingenieur , wenn auch kein Parteimitglied , für das Regime eine unentbehrliche Fachkraft .)
J . G . Schweighofer wurde nicht verhaftet . Nein , keineswegs , denn er war auf freien Füßen kostbarer . Eine Zielscheibe mit sogar zwei Treffern , wenn nicht sogar drei : Erstens ein vermeintliches Bindeglied zu seinen katholischen Mitbrüdern , zweitens bei der Beobachtung der nach wie vor „ verdächtigen “ Minderheit der Ungarndeutschen und drittens war seine Person schon seit den Vorkriegsjahren mit dem christlich-bürgerlichen Milieu von Sankt-Emmerich-Stadt ( 4 ), Szentimreváros , in Ofen durch sein Lehramt am Zisterziensergymnasium und seinen Wohnsitz im - nach 1950 in ein koedukatives Kinderheim umfunktionierten und nach der Wende dem Orden wiedergegebenen - Ordenshaus in der Aga-Straße ansässig geworden . Als Lehrer und Priester gab er nach seinen Ordens- und Lehramtspflichten auch Jugendlichen fakultativen Religionsunterricht , auch begleitete er Pfadfinder aktiv . Ja , der dritte Treffer der Stasi war gelandet , indem eine prominente Person in Sankt-Emmerich-Stadt nunmehr fast gewaltlos denunziert und somit ausgeschaltet werden konnte .
Als es meinem Onkel klargeworden ist , dass jemand ihm stets folgt , sein Zimmer in seiner Abwesenheit durchsucht , seine Telefonate abgehört werden , sah er keinen anderen Weg , um dem Orden , seinen Vorstehern , Mitbrüdern und Schülern wie auch seinen ungarndeutschen Landsleuten nicht zu schaden , als dass er zu sämtlichen Personen , welche nach seiner Erwägung die neuen Machthaber interessieren würden , jeglichen Kontakt abbrach . Von da an mied er persönliche Treffen , besonders auch innige Gespräche mit Menschen , die seines Erachtens in den Augen der Behörden als „ verdächtig “ vorkämen . Er ging auf die andere Straßenseite hinüber , wenn er einen Lehrerkollegen entgegenkommen sah . Er besuchte seinen ältesten Bruder Johann kaum mehr , nur noch in Anwesenheit anderer Familienmitglieder . Der älteste Schweighofer-Sohn war ebenfalls dem Zisterzienserorden beigetreten und diente für Julius als Vorbild . Er nahm es Julius sehr übel , bekam aber keine Erklärung für dieses Verhalten .
Nicht einmal die engsten Familienkreise wussten von den psychischen , mitunter physischen Attacken , denen er zwischen 1950 und 1967 stets ausgesetzt war . Unsere Stasi gab nicht auf , irgendwelche Informationen durch seine Person zu erwerben . Wie es ihr gelungen ist , konnten wir erst nach dem Tod meines Onkels erfahren . Anfang Februar 1981 , schon schwerkrank im Krankenhaus , diktierte er einer vertrauten Ordensperson einige Details bezüglich seiner langjährigen Belästigung durch die Stasi . Aus dieser Erinnerung wurde uns klar , dass unter den ganz wenigen Menschen , zu denen er nach wie vor Kontakt hielt , es etliche gab , die zu einer Mitarbeit mit den BM-Leuten bereit waren .
Um die Mitte der neunziger Jahre ging ich zum ersten Mal ins Historische Archiv , ins Stasiarchiv Ungarns . Den Anlass gaben die - für uns als Vermächtnis geltenden - letzten Worte meines Onkels , die er in seinem Sterbebett diktiert hatte . Da wurde es mir erst klar , warum er kaum über seinen Orden , seinen Abt und seine Ordensbrüder , aber auch kaum über das Deutschtum in Ungarn gesprochen hat . Er hielt es einfach für gefährlich und seine Nächsten wollte er ja auf keinen Fall Gefahren aussetzen .
Erst 1967 bekam er endlich eine Lehrerstelle in Budapest im Lajos-Kossuth- Gymnasium , wo er sich dann mit Unterstützung von Direktor Martin Thomann beim Starten eines Nationalitätenklassenzuges mit deutscher Unterrichtssprache wieder engagieren
( Fortsetzung auf Seite 16 )
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