Sonntagsblatt 1/2020 | Page 21

seinem Verdienst kamen wir nicht weit, deswegen musste ich ins Ausland pendeln. Zwei Tage vor der Fahrt nach Österreich war ich bereits hochgradig lustlos. Ich liebe meinen Mann und mei- ne Kinder über alles, ich vermisste sie wahnsinnig. Ich zeigte es aber nicht nach außen, ich blieb hart und weinte nie. Eines Tages aber, als ich mich frühmorgens von meinem Sohn verabschie- den wollte, sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte; das hat mich sehr mitgenommen. Ich erzählte es dann der Familie und sie erschraken so sehr, dass sie gleich für ein Messenger-Konto sorgten, so dass ich umsonst mit meiner Familie sprechen konn- te, wodurch das dortige Leben besser wurde. Bis dahin konnte man nur einmal in der Woche zehn Minuten reden. Ich bereue es nicht, dass ich gefahren bin, weil wir eine finanzielle Basis geschaffen haben, uns wäre das auf andere Art und Weise nie gelungen. Wenn ich zu Hause bleibe, versuche ich es mit dem Nähen von Hundeschlafplätzen. Es sieht so aus, als gäbe es eine Nachfrage dafür.” Hedwig bemerkt noch, dass für denjenigen, der nicht in geord- neten Familienverhältnissen oder alleine lebt, die Pendelei ins Ausland nicht so belastend sei. Maria Thurn als Geschiedener fiel es auch einfacher aufzubrechen: „Ich habe bei der Kommune als Leiterin des Verpflegungsdezernats gearbeitet und ich hätte eine niedrige Rente gehabt. Ich hatte ein schönes Haus und ein Presshaus, aber Geld hatte ich – obwohl ich nicht verschwende- risch war – nie genug. Eines Tages hatte ich nur elf Forint. (vier Cent, R. G.) Elf! Auf Rat meiner Freundin bin ich auch gegan- gen. Zuletzt war ich bei einem pensionierten leitenden Richter in Österreich als eine Art Haushälterin. Ich habe sein dreistöckiges Haus geputzt, kochte für ihn seine Lieblingsessen aus der Kind- heit, ging zweimal am Tag mit dem Hund spazieren, pflegte den Obstgarten und die 160 Rosenstöcke und mähte das Gras. Aber dann bin ich des Ganzen müde geworden und hatte das Ge- fühl, dass ich endlich meinen eigenen Garten pflegen möchte. Ich kam heim, aber bereut habe ich nichts. Ich habe viele schöne Dinge gesehen und viele interessante Leute getroffen. Ich be- komme von ihnen bis heute Neujahrsgrußkarten, sie schreiben, sie würden mich nie vergessen und sagen für alles Dank. Ich habe genug Geld verdient, um mein Haus zu renovieren. Aber jetzt will ich Rentnerin sein. Ich singe im Dorf im Chor, in dem ich seit 43 Jahren Mitglied bin und den ich seit 2008 auch lei- te. Ich habe zwei Bücher über Boschok geschrieben, eines über die letzten 300 Jahre der Geschichte des Dorfes, das andere über die Geschichte des Chores. Diese Arbeit will ich auch fort- setzen. Ich habe seit Jahren vor, das Zitherspiel zu lernen. Ich will mit meinen fünf Enkelkindern auch reisen. Ich war mit ihnen mehrfach in Siebenbürgen. Ich will auch nach Südtirol und Rom fahren.” Maria Czirják will auch reisen, aber nach Hawaii. Da man aber noch andere Ausgaben habe, müsste man ihrer Meinung nach noch 8-10 Jahre darauf warten. Bis dahin tröstet sie sich damit: „Es kann sein, dass ich erst gar nicht hinfliege. Im Flugzeug kann man nicht rauchen. Wie soll ich es auf einem so langen Flug aushalten?” ------------------------------------ Von beiden Enden Die 52-jährige Réka arbeitet seit 2014 als Pflegerin in Österreich. Die geschiedene Frau, die ihre beiden Töchter alleine erzieht, war dazu gezwungen, da sie ihren Fremdwährungs¬kredit, des- sen Tilgungsraten in die Höhe schossen, sonst nicht bedienen konnte. Oben drauf besucht die eine Tochter von Réka noch die Universität und macht ihr Diplom erst 2020 - auch das kostet Geld. Réka betreut zwei Wochen lang für 60 Euro am Tag eine 86-jährige, geistig abgebaute Frau, dann kommt sie heim und arbeitet zwei Wochen lang in dem Krankenhaus einer Kleinstadt, für 110.000 Forint netto (330 Euro). Sie ist mit halber Stelle, vier SoNNTAGSBLATT Stunden, gemeldet und in zwei Wochen arbeitet sie ihre gesam- te Arbeitszeit ab. Im Krankenhaus weiß man, warum Réka um einen solchen Einsatz bittet, aber man akzeptiert dies, weil der Mangel am Pflegepersonal dort gravierend ist. Réka wird mit den zwei Jobs in acht Jahren schuldenfrei sein. Danach plant sie noch einige Jahre dieses Doppelleben zu führen, um finanziell ein wenig Luft zu kriegen. Als ich sie frage, wie ihr Privatleben aussieht, sagt sie: „So.” ------------------------------------ Mit elf Bussen dreimal pro Woche Franz Steiner aus Boschok hat in den Neunzigern als Musiker in Bayern gearbeitet. Er wurde dort einmal gefragt, ob er nicht deutsch sprechende Leute aus seinem Umfeld empfehlen könn- te, für Pflegejobs. Steiner erkundigte sich in seinem Dorf und es gab auch Interessenten, die er dann nach Deutschland fuhr. Aus dieser spontanen Vermittlertätigkeit entstand dann ein Unter- nehmen, das seit 12 Jahren geschäftsmäßig Altenpfleger ins deutschsprachige Ausland pendeln lässt, vornehmlich nach Ös- terreich. Steiner ist Subunternehmer einer österreichischen Fir- ma für häusliche Pflege. Diese Firma bezahlt Steiner und die von ihm transportierten Pfleger, für die Kosten kommen wiederum die Familien der Pflegebedürftigen auf. Das Transportunterneh- men des 48-jährigen Boschoker Unternehmers fährt montags, mittwochs und freitags aus annähernd 50 südtransdanubischen Gemeinden 604 Altenpfleger zur Arbeit und holt sie mit 11 Klein- bussen ab. Nach Angaben von Franz Steiner haben zwei Drittel der Pfleger den obligatorischen 200-Stunden-Kurs absolviert, der Rest zu je gleichem Anteil einen OKJ-Kurs oder eine Fach- oberschule für Gesundheit oder sie sind Akademiker. 95 Prozent der Pfleger sind Frauen. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer sind mittleren Alters, zehn Prozent zwischen 20 und 30, ein Drittel jedoch über 55, oft Rentner. Die Pfleger erhalten 50-100 Euro netto am Tag. Mehr bekommt derjenige, der zwei Personen betreut oder dessen Arbeit schwerer oder komplizierter ist oder eine höhere Qualifikation erfordert. Franz Steiner sagte, dass sich im Jahr fünf Prozent der Arbeitnehmer einen neuen Pflege- platz wünschen würden, weil sie nicht mit dem Arbeitgeber aus- kämen. Es komme viel häufiger vor, dass zwischen Altenpfleger und Pflegepatient eine gute Beziehung entstehe und es komme vor, dass nach dem Ableben des Patienten der Pfleger von der Familie einen symbolischen Anteil am Erbe zugesprochen be- komme. Quelle: https://24.hu/belfold/2020/01/06/idosgondozas-ausztria-neme- torszag-svabok-baranya-asszonyok-ingazas-riport/ WIR Bedanken UNS bei Allen unseren LANDSLEUTEn IN UNGARN, Die DAS Sonntagsblatt unterstützen und weiterteilen. jakob bleyer GEMEINSCHAFT e . V . 21