seinem Verdienst kamen wir nicht weit, deswegen musste ich ins
Ausland pendeln. Zwei Tage vor der Fahrt nach Österreich war
ich bereits hochgradig lustlos. Ich liebe meinen Mann und mei-
ne Kinder über alles, ich vermisste sie wahnsinnig. Ich zeigte es
aber nicht nach außen, ich blieb hart und weinte nie. Eines Tages
aber, als ich mich frühmorgens von meinem Sohn verabschie-
den wollte, sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte; das hat
mich sehr mitgenommen. Ich erzählte es dann der Familie und
sie erschraken so sehr, dass sie gleich für ein Messenger-Konto
sorgten, so dass ich umsonst mit meiner Familie sprechen konn-
te, wodurch das dortige Leben besser wurde. Bis dahin konnte
man nur einmal in der Woche zehn Minuten reden. Ich bereue
es nicht, dass ich gefahren bin, weil wir eine finanzielle Basis
geschaffen haben, uns wäre das auf andere Art und Weise nie
gelungen. Wenn ich zu Hause bleibe, versuche ich es mit dem
Nähen von Hundeschlafplätzen. Es sieht so aus, als gäbe es
eine Nachfrage dafür.”
Hedwig bemerkt noch, dass für denjenigen, der nicht in geord-
neten Familienverhältnissen oder alleine lebt, die Pendelei ins
Ausland nicht so belastend sei. Maria Thurn als Geschiedener
fiel es auch einfacher aufzubrechen: „Ich habe bei der Kommune
als Leiterin des Verpflegungsdezernats gearbeitet und ich hätte
eine niedrige Rente gehabt. Ich hatte ein schönes Haus und ein
Presshaus, aber Geld hatte ich – obwohl ich nicht verschwende-
risch war – nie genug. Eines Tages hatte ich nur elf Forint. (vier
Cent, R. G.) Elf! Auf Rat meiner Freundin bin ich auch gegan-
gen. Zuletzt war ich bei einem pensionierten leitenden Richter in
Österreich als eine Art Haushälterin. Ich habe sein dreistöckiges
Haus geputzt, kochte für ihn seine Lieblingsessen aus der Kind-
heit, ging zweimal am Tag mit dem Hund spazieren, pflegte den
Obstgarten und die 160 Rosenstöcke und mähte das Gras. Aber
dann bin ich des Ganzen müde geworden und hatte das Ge-
fühl, dass ich endlich meinen eigenen Garten pflegen möchte.
Ich kam heim, aber bereut habe ich nichts. Ich habe viele schöne
Dinge gesehen und viele interessante Leute getroffen. Ich be-
komme von ihnen bis heute Neujahrsgrußkarten, sie schreiben,
sie würden mich nie vergessen und sagen für alles Dank. Ich
habe genug Geld verdient, um mein Haus zu renovieren. Aber
jetzt will ich Rentnerin sein. Ich singe im Dorf im Chor, in dem
ich seit 43 Jahren Mitglied bin und den ich seit 2008 auch lei-
te. Ich habe zwei Bücher über Boschok geschrieben, eines über
die letzten 300 Jahre der Geschichte des Dorfes, das andere
über die Geschichte des Chores. Diese Arbeit will ich auch fort-
setzen. Ich habe seit Jahren vor, das Zitherspiel zu lernen. Ich
will mit meinen fünf Enkelkindern auch reisen. Ich war mit ihnen
mehrfach in Siebenbürgen. Ich will auch nach Südtirol und Rom
fahren.”
Maria Czirják will auch reisen, aber nach Hawaii. Da man aber
noch andere Ausgaben habe, müsste man ihrer Meinung nach
noch 8-10 Jahre darauf warten. Bis dahin tröstet sie sich damit:
„Es kann sein, dass ich erst gar nicht hinfliege. Im Flugzeug kann
man nicht rauchen. Wie soll ich es auf einem so langen Flug
aushalten?”
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Von beiden Enden
Die 52-jährige Réka arbeitet seit 2014 als Pflegerin in Österreich.
Die geschiedene Frau, die ihre beiden Töchter alleine erzieht,
war dazu gezwungen, da sie ihren Fremdwährungs¬kredit, des-
sen Tilgungsraten in die Höhe schossen, sonst nicht bedienen
konnte. Oben drauf besucht die eine Tochter von Réka noch die
Universität und macht ihr Diplom erst 2020 - auch das kostet
Geld. Réka betreut zwei Wochen lang für 60 Euro am Tag eine
86-jährige, geistig abgebaute Frau, dann kommt sie heim und
arbeitet zwei Wochen lang in dem Krankenhaus einer Kleinstadt,
für 110.000 Forint netto (330 Euro). Sie ist mit halber Stelle, vier
SoNNTAGSBLATT
Stunden, gemeldet und in zwei Wochen arbeitet sie ihre gesam-
te Arbeitszeit ab. Im Krankenhaus weiß man, warum Réka um
einen solchen Einsatz bittet, aber man akzeptiert dies, weil der
Mangel am Pflegepersonal dort gravierend ist. Réka wird mit den
zwei Jobs in acht Jahren schuldenfrei sein. Danach plant sie
noch einige Jahre dieses Doppelleben zu führen, um finanziell
ein wenig Luft zu kriegen. Als ich sie frage, wie ihr Privatleben
aussieht, sagt sie: „So.”
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Mit elf Bussen dreimal pro Woche
Franz Steiner aus Boschok hat in den Neunzigern als Musiker
in Bayern gearbeitet. Er wurde dort einmal gefragt, ob er nicht
deutsch sprechende Leute aus seinem Umfeld empfehlen könn-
te, für Pflegejobs. Steiner erkundigte sich in seinem Dorf und es
gab auch Interessenten, die er dann nach Deutschland fuhr. Aus
dieser spontanen Vermittlertätigkeit entstand dann ein Unter-
nehmen, das seit 12 Jahren geschäftsmäßig Altenpfleger ins
deutschsprachige Ausland pendeln lässt, vornehmlich nach Ös-
terreich. Steiner ist Subunternehmer einer österreichischen Fir-
ma für häusliche Pflege. Diese Firma bezahlt Steiner und die von
ihm transportierten Pfleger, für die Kosten kommen wiederum
die Familien der Pflegebedürftigen auf. Das Transportunterneh-
men des 48-jährigen Boschoker Unternehmers fährt montags,
mittwochs und freitags aus annähernd 50 südtransdanubischen
Gemeinden 604 Altenpfleger zur Arbeit und holt sie mit 11 Klein-
bussen ab. Nach Angaben von Franz Steiner haben zwei Drittel
der Pfleger den obligatorischen 200-Stunden-Kurs absolviert,
der Rest zu je gleichem Anteil einen OKJ-Kurs oder eine Fach-
oberschule für Gesundheit oder sie sind Akademiker. 95 Prozent
der Pfleger sind Frauen. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer
sind mittleren Alters, zehn Prozent zwischen 20 und 30, ein
Drittel jedoch über 55, oft Rentner. Die Pfleger erhalten 50-100
Euro netto am Tag. Mehr bekommt derjenige, der zwei Personen
betreut oder dessen Arbeit schwerer oder komplizierter ist oder
eine höhere Qualifikation erfordert. Franz Steiner sagte, dass
sich im Jahr fünf Prozent der Arbeitnehmer einen neuen Pflege-
platz wünschen würden, weil sie nicht mit dem Arbeitgeber aus-
kämen. Es komme viel häufiger vor, dass zwischen Altenpfleger
und Pflegepatient eine gute Beziehung entstehe und es komme
vor, dass nach dem Ableben des Patienten der Pfleger von der
Familie einen symbolischen Anteil am Erbe zugesprochen be-
komme.
Quelle:
https://24.hu/belfold/2020/01/06/idosgondozas-ausztria-neme-
torszag-svabok-baranya-asszonyok-ingazas-riport/
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jakob bleyer
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