Sonntagsblatt 1/2020 | Page 2

„Der Hass ist ein fruchtbares, der Neid ein steriles Laster.“ - Marie von Ebner-Eschenbach s Leitartikel Eine Sendung, die für Empörung sorgte: In „Gumiszoba”, einer Gesprächsrunde, im Schlussteil einer neuen Online-Sendung der Literaturagentur Petőfi namens „Hajónapló”, beschäftigten sich am 19. Januar 2020 vier Journalisten mit politischen, ge- sellschaftlichen und kulturellen Themen. Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran verleitete die Runde dazu, vor dem Hin- tergrund deutscher Kriegsschuld im 20. Jahrhundert die gegen- wärtige politisch-gesellschaftliche Einrichtung Deutschlands und die Deutschen en bloc - nach ihrem Empfinden - kritisch ein- zuordnen. In diesem Zusammenhang sind Aussagen getroffen worden, die viel Kritik ernteten: So protestierte die LdU in einem Facebook-Post, dem sich auch der deutsche Abgeordnete, Em- merich Ritter, anschloss. Darin schreibt die Landesselbstver- waltung, dass sie empört hätte, dass in der genannten Sendung „uns Ungarndeutsche schockierende und beleidigende Gedan- ken formuliert wurden.” Die Landesselbstverwaltung der Ungarn- deutschen hält nach eigenem Bekunden „Äußerungen wie diese für ungeheuer schädlich und weist diese grundsätzlich zurück.” Auch der Parlamentsabgeordnete der Jobbik,Dr. Koloman Bren- ner, formulierte scharfe Kritik und stellte in Aussicht, mit anderen Parlamentsabgeordneten Strafanzeige zu erstatten. Unter dem Eindruck der harschen Kritik widmete sich die nächste Sendung von „Gumiszoba” eine halbe Stunde lang der Angelegenheit, was mit einer mehr als zweifelhaften Entschuldigung endete. Die G‘schicht vom bösen Deutschen Wenn „a pissl Spaß” in Volksverhetzung endet Von Richard Guth Ich fühlte mich wie einst in der vierten Klasse einer Budapester Grundschule – Thema: „Deutsche”, die auch noch damals, über vier Jahrzehnte nach dem Kriegsende, gerne „Nazis” genannt wurden - nicht zuletzt dank der klanglichen Nähe der beiden Begriffe „német” (Deutscher) und „náci” (Nazi) im Ungarischen. Stereotypen, Irrglauben und eine äußerst primitive Betrachtung historischer Vorgänge – damals aus dem Munde unerfahrener Grundschulkinder, heute von Journalisten, von den man durch- aus erwarten würde, sich dessen bewusst zu sein, was sie in die Öffentlichkeit posaunen! Es bedarf immer eines gesellschaftlichen Klimas, das solche Dinge ermöglicht, die man normalerweise als No-Go betrach- ten würde. Wir erinnern uns an das Wortspielchen eines hohen Regierungsvertreters, wogegen nicht nur Vertreter der jüdischen Gemeinde zu Recht protestierten, sondern auch Intellektuelle, die die Zündkraft solcher Aussagen erkannten. Oft habe ich das Gefühl, dass man in diesem unseren kleinen Land allzu leicht in überholt geglaubte Rollenmuster und Denkweisen zurückfällt. Oft habe ich das Gefühl, dass Anstand gerne ´mal über den Hau- fen geworfen wird, wenn man sich in Sicherheit wähnt und seine Ansichten als politisch korrekt empfindet – dass die Grenze zwi- schen politisch-gesellschaftlich Akzeptablem und Nichttolerier- barem - je nach Großwetterlage - nicht klar definiert ist, muss- ten – an sich regierungstreue – Journalisten erfahren (übrigens 2 Teilnehmer der Gesprächsrunde, über die ich in dieser Merk- würdigkeit schreibe), die nach einem antisemitisch anmutenden „Späßchen” mit dem Namen eines jüdischstämmigen rechtskon- servativen ungarischen Politikers vom betroffenen regierungs- nahen Fernsehsender keine Auftrittsmöglichkeit mehr erhielten. Dass solche „Ausfälle” aber scheinbar nicht dem Zufall ge- schuldet waren, zeigt eine aktuelle, knapp eine Stunde lange Gesprächsrunde, womöglich treffend „Gumiszoba” genannt (Schlussteil der achtstündigen Pilotsendung „Hajónapló”), an der die besagten Journalisten teilgenahmen. Live aufgenom- men wurde die Gesprächsrunde am 19. Januar 2020, für uns der Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarn- deutschen - für die „Gumiszobateilnehmer” wahrscheinlich ein Tag wie jeder andere. Gesprächsstoff lieferte ein Konflikt, den die Teilnehmer in der Sendung als Beginn des Dritten Weltkriegs werten: die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Schnell kommt der Hinweis auf die deutsche Kriegsschuld in den letzten zwei Weltkriegen. Dabei bemühen sich die Journalisten, ihre Position zum aktuellen Konflikt allgemein verständlich zu vermitteln - dabei läuft man aber immer Gefahr, dass der Diskurs schnell Züge eines Stammtischgesprächs annimmt, fernab von jeglicher Seriosität. Schnell sind sich die Herren einig, dass sich dieser Konflikt nicht zu einem Weltkrieg entwickeln würde – gäbe es nicht die „fortschrittlichen” Deutschen, „Erfinder der Rassen- veredelung” (ung. fajnemesítés). Die Deutschen wären ein Volk, das sich ständig auf der Suche nach einem Feind befände. Sie hätten nun nicht mehr die Juden als Feinde bzw. Sündenböcke (hier „Zielgruppen” genannt), sondern im Zeichen der Klimadis- kussion „ihre eigenen Großmütter” (laut Runde der „dritte Ver- such”). Dabei würden es die Deutschen verstehen, den Hass zu entpersonalisieren und dabei kollektiv gegen die jeweilige „Ziel- gruppe” vorzugehen: Hier versucht einer der Teilnehmer eine Analogie zwischen dem antisemitischen Mob der 1930er Jahre und den jugendlichen Klimaprotestlern des Jahres 2019/20 (die die Generation der Großeltern kritisieren würden) herzustellen, zumal sich die deutsche Geschichte, so einer der Herren, sich ständig wiederholen würde: In beiden Fällen habe man auf Be- fehl gehandelt bzw. würde man auf Befehl handeln, das liege in der Natur des Deutschen. Wenn sich die Deutschen jemanden ausgeguckt hätten, gegen den würden sie konsequent vorgehen. Auch gegen die eigenen Großmütter, womit die „Germanen” ihr eigenes Grab schaufeln würden, denn wer würde sie dann mit Essen versorgen?!, fragt sich einer der Journalisten. Ein anderer beruhigt die Runde, sie würden den „Lebensraum” (sic!) in Rich- tung landwirtschaftliche Flächen ausdehnen. Nach einer etwas oberflächlichen Geschichtsstunde über die Machtergreifung und die Umstände der Ausschaltung der SA geht einer der Teilneh- mer erneut auf diesen „dritten Versuch” der Deutschen ein, den dieser Teilnehmer einen „liberalen Versuch” (ungarischer Neo- logismus „libsizmus”) nennt, womit die ganze Verschwörungs- theorie eine ideologische Grundlage bekommen soll. Dabei wä- ren die wohl in großer Zahl auch „progressiv-liberalen” Omas zu einer Last geworden, wobei die Gefahr bestünde, dass Angela Merkel zum neuen Ernst Röhm werden könnte und man versu- chen würde sie genauso beiseite zu schaffen. Eine Revolution würde dabei stattfinden, wozu man aber keine Österreicher mehr importieren müsste, denn für Hass und Irrsinn könnten die Deut- schen aus den „Tälern” herhalten. Danach erhalten die Zuschau- er einen „fachkundigen” Einblick in das deutsche Volkslied- und Märchengut – dieses bestünde aus 25 Liedern und einigen Mär- chen, wo es um Aufmärsche, Scheffeln, Mord und Kindesmiss- brauch gehe. Die Runde zeigt sich aber „zuversichtlich”, dass es diesmal nicht zum Verbrennen von Leichen käme, sondern man sich um karbonfreie Bestattungen (Kompostieren) bemühen wür- de - im Zeichen des Klimaschutzes. Also ein Bild des Deutschen, der erobert, mordet und all dies planmäßig! Dummes Gelaber mit mehr als grenzwertigen Aussagen, um die Zeit irgendwie rumzukriegen - könnte man meinen - gäbe es nicht eine Aussage, die vom Gelächter der anderen und Ans-Kopf-Fas- SoNNTAGSBLATT