48. Was ist das für ein Gesetz?
Das Nationalitätengesetz, der 44. Gesetz-Artikel vom Jahre
1868! Das ist aber ein Gesetz, das nicht gehalten und mit Füßen
getreten wird.
49. Was ist das Nationalitätengesetz und was für Rechte räumt
es uns ein?
Das Nationalitätengesetz ist ein Sprachengesetz, das heißt: Es
steht fest, wie weit ein jeder in Ungarn seine Muttersprache im
öffentlichen Leben gebrauchen darf. Es gibt uns das Recht nach
§ 20 in der Gemeinde selbst die Sprache zu wählen, in der die
Gemeindebeamten (Notäre) ihr Amt führen und in der Protokolle
über die Sitzungen des Gemeinderates abgefasst sein müssen.
Wo die Mehrzahl der Gemeindevertreter deutsch ist, haben sie
also ein gesetzliches Recht darauf, dass alles deutsch geführt
werde. Aber auch wo sie nicht die Mehrzahl sind, haben sie nach
diesem Paragraphen das Recht, wenn sie nur den fünften Teil
der Gemeindevertreter bilden, dass dann - wenigstens neben
der Amtssprache - das Protokoll auch deutsch geführt werde.
Aber auch, wenn sie nicht den fünften Teil bilden, hat jeder Ge-
meindevertreter das Recht, bei den Sitzungen Deutsch zu spre-
chen. Nach § 23 kann jeder Bürger in seiner eigenen Gemeinde
sein Anliegen in der Muttersprache vorbringen.
50. Was für Rechte hat die Muttersprache im Komitat?
Nach §2 des Nationalitätengesetzes müssen die Protokolle der
Komitats-versammlungen neben der magyarischen Sprache
auch in einer anderen, also z.B. in der deutschen Sprache ge-
führt werden, wenn es ein Fünftel der Mitglieder verlangt; das
geschieht auch in den Siebenbürger Komitaten, wo unsere deut-
schen Vettern, die Siebenbürger Sachsen, wohnen, die sich die
Butter nicht vom Brot wegnehmen lassen. Nach § 3 des Geset-
zes hat jeder, der Mitglied der Komitatsversammlung ist, das
Recht, dort in seiner Muttersprache zu sprechen. Serben, Ru-
mänen und Slowaken tun es auch, aber wir Schwaben haben
bis jetzt nur solche Herren hingeschickt, die kein Herz für ihr Volk
und keinen Mut für ihr Blut haben.
51. Was haben die Deutschungarn für Rechte?
Sie können vor allem verlangen, dass sie deutsche Schulen in
Ungarn haben, denn der Staat, dem wir unsere Steuern pünktlich
bezahlen und zu dessen Verteidigung wir unser Blut verspritzen,
hat kein Recht, unseren Kindern die ihnen für das Leben und
den Kampf ums Dasein notwendigen Kenntnisse vorzuenthalten.
Teil 2 folgt in Nummer 2/2020
Ottokár Prohászka und
die ungarische Politik
Von Prof. Dr. Zoltán Tefner
Teil 1
Ottokár Prohászkas Wurzeln gehen bis zu den Zeiten der politi-
schen Unterworfenheit, der ungarischen Staatslosigkeit zurück.
Am 10. Oktober 1858 ist er in Nyitra/Neutra in der heutigen Slo-
wakei in einer Beamtenfamilie geboren. Der Vater, Dominik Pro-
hászka, stammte aus Mähren, die Mutter, Anna Filberger war
Tochter eines Neutraer deutschen Bäckermeisters. Der Vater
diente in der k. u. k.-Armee als Offizier. Umgangssprache in der
Familie war Deutsch. Wegen der häufigen Versetzung des Va-
ters bewohnte die Familie praktisch das ganze „Felvidék”, das
damalige Oberungarn, dann viele Orte des Königreiches, wo er
SoNNTAGSBLATT
das Ungarische und das Slowakische erlernte. (Als Seminarist in
Rom wurde ihm eine Reihe von Sprachen beigebracht: Franzö-
sisch, Italienisch, Griechisch, Englisch usw.) 1881 wurde er zum
Priester geweiht. Zwanzig mühevolle aber fruchtbare Jahre als
Professor vergingen im Seminar von Esztergom und König Franz
Joseph I. ernannte ihn 1905 zum Bischof von Székesfehérvár/
Stuhlweißenburg.
Wie ist er aber zum „Politiker” – und noch vorsichtiger, in zwei-
fachem Anführungszeichen geschrieben formuliert „Außenpoli-
tiker” – geworden? Am Rande bemerkt: Zu beiden Beschäfti-
gungen hatte er weder Lust noch Berufung. Aufrichtig gesagt,
er hatte sich während seiner langen Lebensbahn als Seminarist
und Priester in den außenpolitischen Disziplinen den Kopf nicht
so sehr zerarbeitet. In der Innenpolitik – National- und Sozial-
politik – engagierte er sich viel mehr, obwohl er auch in diesen
Bereichen beträchtliche Vorbehalte hatte. Seine grundlegenden
Neigungen und Triebe lenkten ihn in die Richtung der Dogmatik
und der christlichen Moralphilosophie, der Verfeinerung seiner
geistigen Wesensart und ließen ihn auf den Spuren des von ihm
tief verehrten Papstes Leo XIII. in die Richtung der Sozialpolitik
weitergehen.
Ottokár Prohászka
Und zunächst die von der Familie bevorzugte politische Stel-
lungnahme: Der Großvater mütterlicherseits, der Bäckermeister
Andreas Filberger bekannte sich zum Ungarn deutscher Zunge,
wie es in der Zeit des Dualismus viele nicht in Ungarn gebür-
tige Deutsche taten. Der mährische Vater, Dominik Prochaska,
stramm und schneidig , verließ die Armee, da er vor der Ehe-
schließung die notwendige Kaution nicht aufzubringen fähig war
und wechselte in den Finanzsektor über - mit viel zweitrauben-
der Arbeit und wenig Zeit für die Familie. Ein Ungar zu sein, galt
im Elternhaus als Selbstverständlichkeit. Nicht Ottokár Prohá-
szka war der Einzige in diesem Zeitalter, den der Mythos der
ungarischen Nationalstaatlichkeit mit sich gerissen hatte. Später
sollte diese Ambivalenz zwischen Abstammung, Muttersprache
und Staatsangehörigkeit zu nicht leicht zu lösenden Konflikten
führen. Aber Prohászka bewältigte diese Herausforderung des
Schicksals.
Kossuth, Petőfi, Deák, Széchenyi und die anderen großen Idole
der ungarischen nationalen Auferstehung wirkten verlockend auf
Personenkreise mit fremder Herkunft und nicht in ungarischen
Kreisen gebürtig. Ein Ungar zu werden erschien insbesondere
für diese junge in Ungarn erzogene erste Generation ein locken-
des Ziel, das sie ständig in sich trugen. Die Familie Prohászka
verbrachte drei Jahre in Losonc, in einer rein ungarisch spre-
chenden Stadt, in der der Schulknabe Ottokár Prohászka auch
den Habitus „ungarisch zu denken und zu fühlen” übernahm.
Wie konnte er diese Gesinnung mit seinem Status als katholi-
scher Geistlicher in Einklang bringen? Die Unabhängigkeitsidee
musste er mit dem Dualismus der Donaumonarchie und mit den
grundlegenden Interessen des erzkatholischen Habsburger-
hauses vereinigen. Inwiefern durfte ein katholischer kirchlicher
(Fortsetzung auf Seite 16)
15