Sonntagsblatt 1/2019 | Page 6

Ein Prozess, der sich gerade im Kleinkindesalter mehr als inte- ressant entwickelt. Die Ofner Familie, in der die Kinder in einer ungarischen Umgebung neben der ungarischen auch die deut- sche Sprache spielerisch erlernt hätten, fand es verblüffend, „wie schnell sie gemerkt haben, mit wem sie in welcher Sprache kommunizieren können.“ Einen Einschnitt bedeutete in der Fünf- kirchener Familie die Aufnahme der Kinder in die (ungarischspra- chige) Kinderkrippe: „Als die Kinder zur Kinderkrippe mussten, da wir beide die Arbeit aufzunehmen gezwungen waren, habe ich beide Male einen enormen Rückgang in den Deutschkennt- nissen erlebt, meine ältere Tochter fragte mich sogar: „Te miért születtél Deutsch-nak?” Nachdem wir die Frage geklärt haben (sie war vielleicht vier Jahre alt!) ging es wieder bergauf, obwohl auf deutsche Fragen manchmal ungarische Antworten kamen. Ich habe aber ausgeharrt und nicht locker gelassen, oft abgewar- tet, bis nach der ungarischen Antwort auch die deutsche kam, oder die ungarische einfach außer Acht gelassen, als ob sie gar nichts gesagt hätte oder einfach ,Wie bitte?` gesagt, dann wusste sie schon, dass sie – ohne es gemerkt zu haben – ungarisch zu mir gesprochen hat.“ Der Familienvater spricht vom Glück, dass es in Fünfkirchen sowohl einen deutschsprachigen Kindergarten als auch eine solche Schule gibt. Hinsichtlich der Stärkung der Deutschkenntnisse im Kindergarten spricht er von anfänglichen Bedenken (was auch die Informationen des Sonntagsblattes aus dem Kreise von Vertretern von Nationalitätenkindergärten stüt- zen, wonach die Kinder am Ende der Kindergartenzeit die Spra- che eher passiv beherrschen würden): „Im Kindergarten hatte ich meine Bedenken, da in der Gruppe meiner älteren Tochter eine Zeit lang nur sie wirklich Deutsch von zu Hause mitgebracht hat, die anderen Kinder profitierten davon, auch die Erzieherinnen freuten sich, nur mir war das Ganze zu wenig. Die Situation än- derte sich zum Glück und in der Schule besuchen beide meiner Töchter eine einsprachig deutsche Klasse. Seit der Einführung der einsprachigen Klasse an der Valeria-Koch-Grundschule im Jahre 2013 gibt es sichtbare/hörbare Unterschiede gegenüber den Parallelklassen, wo „nur“ ein erhöhter Deutschunterricht zu- gegen ist. Ich muss dem aber hinzufügen, dass in die einsprachi- ge Klasse auch hauptsächlich diejenigen Kinder gehen, die die Sprache von zu Hause mitbringen oder zumindest Vorkenntnisse haben. Für uns war die Institution aber die beste Wahl!“ Auch die Ofener Familie entschied sich für eine deutschsprachige Einrichtung, die Deutsche Schule. In Budapest gibt es gegen- wärtig keine einsprachige Einrichtungen in der Trägerschaft des Staates oder von deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen, dafür aber mehrere, deren Träger jeweils eine Stiftung ist, die aber Schulgeld erheben (bei vorhandenen Stipendienmöglich- keiten). Landesweit sieht es hinsichtlich einsprachiger Angebote noch bescheidener aus (bis auf die genannte Koch-Grundschu- le), selbst zweisprachige Angebote (die hinsichtlich der Intensität des Fachunterrichts in deutscher Sprache große Unterschiede aufweisen) sind rar. Die Kinder aus der Ofner Familie besuchen die Deutsche Schule Budapest, denn es liege ihnen viel an der Förderung der Deutschkenntnisse der Kinder über den Kontakt zu anderen Muttersprachlern. Darüber hinaus empfehlen die beiden Familienväter anderen Ungarndeutschen, die ihre Kinder ein- oder zweisprachig erzie- hen wollen, nicht aufzugeben: „Es wäre oft einfacher den Kin- dern etwas auf Ungarisch zu erklären, aber man muss sehr, sehr konsequent bleiben. Die Sprache ist ein großer Schatz, geben wir sie weiter!“ Sie raten ferner, Kinder bewusst und spielerisch zu fördern. Auch der Fünfkirchener Familienvater zeigt sich über- zeugt: „Es gibt unterschiedliche Meinungen, wer sein Kind in der eigenen (auch wenn schwächeren) (Mutter)Sprache erziehen soll, ich bin aber fest davon überzeugt, wenn man den Mut und die Ausdauer hat, sollte man unbedingt versuchen die Sprache der Ahnen weiterzugeben, das soll auch heißen, dass man sich Mühe gibt und bereit erklärt, seine eigenen sprachlichen Schwä- chen aus dem Weg zu schaffen. Es gibt ja dafür heutzutage un- zählige Möglichkeiten. Eine (zweite, dritte…) Sprache seinem Kind schenken zu können, kann wohl kaum überboten werden!“ 6 Städtebaulicher Kampf um Deutungshoheit Imre-Nagy-Denkmal demontiert Von Katrin Holtz Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Chef- redakteurs der Budapester Zeitung, Jan Mainka. Erschienen in 1/2019 der Budapester Zeitung. Auf halbem Weg über eine Brücke, die zugleich den Weg in die Freiheit symbolisiert, blickte die Statue Imre Nagys seit 1996 vom Vértanúk tér aus in Richtung Parlament. Der Premier von 1956 war wegen seiner Rolle im Ungarischen Volksaufstand von den Kommunisten gehängt und anonym verscharrt worden. Am 28. Dezember wurde das ihm gewidmete Denkmal auseinander- genommen und abtransportiert. In den frühen Morgenstunden des letzten Freitags im alten Jahr holte ein Sattelschlepper die Statue des Revolutionshelden Imre Nagy vom Budapester Vértanúk tér ab. Grund dafür ist die ge- plante Rekonstruktion des Platzes in seinem Zustand von vor 1945. Dazu gehört auch die Wiedererrichtung des 1934 an die- ser Stelle eingeweihten Denkmals für die Opfer der kommunis- tischen Diktatur von 1918-1919, so der Hauptkoordinator des Projektes, Tamás Wachsler, gegenüber der Nachrichtenagentur MTI. Dem musste Imre Nagy nun also weichen. Vom Parteisoldaten zum Revolutionshelden Die aus einer Brücke und einer überlebensgroßen bronzenen Fi- gur bestehende Installation wurde von Tamás Varga entworfen und 1996 zum 100. Geburtstag von Nagy am Vértanúk tér aufge- stellt. Mit ihr sollte der Übergang Ungarns zur Demokratie geehrt werden, für den Nagy lange Zeit als Symbolfigur galt. Dabei ist der ehemalige kommunistische Parteisoldat und spätere Revolu- tionsheld nicht ganz unumstritten. Geboren 1896 kam Nagy, der im Ersten Weltkrieg kämpfte, erst- mals während seiner Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft in Kontakt mit der sozialistischen Idee, für die er sich bald bren- nend engagierte. So schloss er sich etwa den Roten Garden an, wurde 1920 Mitglied der Kommunistischen Partei Russlands und landete im Ungarn der Horthy-Zeit mehrmals aufgrund „illegaler kommunistischer Aktivitäten“ in Polizeigewahrsam, weshalb er es vorzog, 1930 ins Exil in die Sowjetunion zu gehen. 1944 kehrte Nagy mit der Roten Armee nach Ungarn zurück. Un- ter der ersten kommunistischen Regierung übernahm der Bau- ernsohn aus Kaposvár den Posten des Landwirtschaftsministers und galt hier als Vater der ungarischen Bodenreform. Innerhalb der Partei eckte er jedoch mit seinen vergleichsweise liberalen Vorstellungen immer wieder an. Nach dem Tode Stalins wurde Nagy 1953 überraschend Minister- präsident und begann eine durchgreifende Reformpolitik in Gang zu setzen. Einige Punkte konnte er verwirklichen, bevor sich das politische Klima erneut änderte. Nagy, der mit seiner Idee eines „nationalen und menschlichen Sozialismus“ zum Hoffnungsträ- ger vieler wurde, wurde 1955 von seinen Ämtern enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Erst als sich im Oktober 1956 der Volksaufstand zuspitzte, wurde der beim Volk beliebte Nagy als Ministerpräsident reaktiviert, um die Situation zu beruhigen. Doch entgegen der Hoffnung der kommunistischen Hardliner stellte sich dieser auf die Seite der Aufständischen. Er forderte den Abzug der Roten Armee, kündigte ein Mehrparteiensystem an und sprach sich für die parlamentarische Demokratie aus. Doch schon drei Tage nachdem Nagy Anfang November die SoNNTAGSBLATT