Sonntagsblatt 1/2019 | Page 28

wo die Eltern meiner Mutter lebten und immer Zeit für uns Kinder hatten. Die väterlichen, also die Eleker Großeltern sind leider früh verstorben. Sprachkenntnisse? Meine Eltern waren Lehrer, wir haben zu Hause ungarisch gesprochen, die Sprache der Mutter. Deutsch ist aber auch in den Familien verschwunden, wo es bei- de Elternteile beherrschten. Zwischen 1944-46, in den 1950er, 60er Jahren mussten die Eleker Deutsche so viel Leid und De- mütigung erleiden, dass sie die Angst verstummen ließ. An einen Spruch kann ich mich doch erinnern. Mit ca. drei Jahren wurde er mir „schwowisch“ beigebracht um dem Großvater Florian Mester/ Mahler zum Namenstag zu gratulieren: „Wintschi, wintschi, waz nid was, kreift nei säkala, ked mi was“ – Ich habe wohl nicht gewusst, was es bedeutet. Die zwei-drei Wochenstunden Deutsch im Gymnasium haben zum Erlernen der Sprache natürlich nicht gereicht; Brieffreund- schaften, gegenseitige Besuche halfen viel und bedeuteten die Möglichkeit „die Welt kennen zu lernen“. Im Sommer 1966 hatte ich zwei „große Reisen“: Mit der Mutter haben wir einen Monat in West-Deutschland bei den Cousins und Kusinen meines Va- ters verbracht. Wegen seiner Teilnahme an den revolutionären Geschehnissen in Elek hat er selbst die Genehmigung nicht bekommen in den „Westen“ zu fahren. In die DDR / nach Ost- deutschland durfte er doch eine Gruppe von Gymnasialschülern begleiten. An diesem Schüleraustausch nahm ich auch teil. Die Unterschiede im geteilten Deutschland sind mir bis heute in Erin- nerung. Deutschkenntnisse brauchte ich um einen Studienplatz an der Universität in Segedin bekommen zu können. Auf die Frage „Was die Welt im Innersten zusammenhält…” (mit 16-18 habe ich es mir natürlich anders formuliert) dachte ich in der Literatur eine Antwort zu bekommen, so wählte ich die Fä- cher Ungarisch-Deutsch. Das Germanistikstudium war am An- fang eine Qual für mich. Mein Deutsch aufzubessern half ein Stipendium; 1971 konnte ich zwei Monate in Berlin verbringen. Natürlich im Osten, der andere Teil kam zu dieser Zeit gar nicht in Frage. Die Stadt (besonders seitdem es wieder vereint ist) mag ich bis heute. Humboldt-Universität – Staatsbibliotek, wo man im Lesesaal sogar Böll lesen konnte, Theater – Kinos – Faschings- zeit - „Spar mit der Energie”-Verdunkelung, demzufolge ragte das voll beleuchtete Axel-Springer-Haus aus der Dunkelheit noch mehr heraus, grundsätzliche Jugenderlebnisse mit Freundscha- fen, die bis heute lebendig sind. Anschließend konnte ich einen Kurs als Reiseleiterin machen und weil ich parallel zum Studium viel gearbeitet habe, nicht nur als Begleiterin von Reisegruppen, sondern auch als Dolmetscherin, ist mein Deutsch fast akzentfrei geworden, und ab dann hat auch das Studium Spaß gemacht. Wegen der Nachfrage als Deutschlehrerin habe ich kaum Un- garisch unterrichtet; dafür aber Deutsch auf allen Niveaustufen: vom Kindergarten- bis zum Rentneralter, in Sprachschulen, pri- vat, aber hauptberuflich in einem renommierten Gymnasium in Budapest. Und so konnte ich leider auch miterleben, wie Deutsch als Fremdsprache immer mehr an die zweite Stelle nach dem Englischen gelangte. Parallel dazu kamen immer mehr Stipen- diaten aus Deutschland mit der Erfahrung zurück, dass sie wäh- rend ihres Aufenthalts mehr Englisch als Deutsch üben konnten. Und an den Arbeitsplätzen ging/geht es ähnlich. „Wie begeistert lehren sie unsere Sprache„ - hat jemand einmal aus einer deutschen Delegation nach meiner Stunde gesagt. Ihre Sprache? Das ist ja auch meine! - dachte ich mir und denke auch heute noch, ich habe es mir ziemlich mühevoll erworben. Das Germanistikstudium, Deutsch als Schulfach oder die Tätig- keit als Deutschlehrerin hatten aber in den 1970-80er Jahren auch ihre Schattenseiten: Die Vorurteile, Stigmas („Sünder und Faschisten”) wurden oft ohne jeden Grund an alle übertragen. Zum Beispiel ein „westdeutsches” Sprachbuch im Lehrerzimmer zu loben machte schon einen „verdächtig”. Trotz allem habe ich mit meinen Kindern bis zum Kindergartenalter Deutsch gespro- chen, um ihnen den Spracherwerb zu erleichtern. – Bis heute sind sie dafür dankbar, es hat ihre Mentalität, ihre Berufswahl stark beeinflusst. 28 Und ob es eine Doppelidentität gibt? Im Falle meiner Enkelkinder sicher schon: Sie leben im größten Teil des Jahres in Österreich, und wenn sie in Ungarn sind, möchten sie nicht deutsch spre- chen – jedenfalls nicht mit mir. Und ich bemühe mich jetzt ihnen das Ungarische auch in Schrift beizubringen. Erinnerungs- und Forschungsarbeit in meinem Heimatort Als ich angefangen habe den Nachlass von meinem Vater Ge- org Mester/Mahler zu verarbeiten, habe zuerst nur an die Er- gänzung/Fortsetzung seiner Arbeit in der Ethnographie gedacht bzw. Corpus zur Aufarbeitung des Eleker Dialekts gesammelt. Aber in den Unterlagen fand ich Dokumente, die helfen, die lan- ge verschwiegenen Geschehnisse in den 1940er Jahren in Elek an Tageslicht bringen zu können - im Zusammenhang der Ver- antwortung der Großmächte, der Landesregierung und der ört- lichen Amtsinhaber. Nun habe ich angefangen auch in Archiven zu recherchieren. 70 Jahre wurde nicht nur öffentlich, sondern auch in den meis- ten Familien über die tragischen Geschehnisse dieser Zeit nicht gesprochen, die deutsche Herkunft wurde von vielen abgelehnt. Kein Wunder, dass im Ort nur wenig Leute noch Deutsch kön- nen, noch schlimmer, wenn sich viele mit ihrer Familiengeschich- te überhaupt nicht auseinandersetzen wollen. Zum Anlass der Gedenkjahre der Verschleppung und Vertreibung wurden Inter- views gemacht – nicht nur von mir; SchülerÍnnnen des Deut- schen Nationalitätengymnasiums sind sogar aus Budapest mit dem Ziel nach Elek gefahren, um Mitleidende der Verschleppung und Vertreibung kennen zu lernen. Sie haben zum Beispiel einen alten Herrn getroffen, der mit sieben Jahren mit den Großeltern nach Deutschland vertrieben wurde, während seine Eltern in der Ukraine als Zwangsarbeiter schufteten. Es ist auch erfreulich, dass immer mehr alte deutsche Bräuche in Elek wiederbelebt werden, dass viele an Studienreisen teil- nehmen können um andere Orte mit deutscher Vorgeschichte kennen zu lernen. Nur durch positive Erlebnisse können die im- mer noch vorhandenen Vorurteile abgebaut werden, und für die Sprache / den Sprachunterricht ist es auch ein Gewinn. Durch interessante Programme, Vorträge, Bücher die Vergangenheit und die Gegenwart der Ungarndeutschen populär machen, zum Deutschlernen motivieren – das ist meine Welt. Auch wenn Deutsch nicht meine Muttersprache ist. s JBG-Nachrichten Kranzniederlegung am Grabe Jakob Bleyers Von Patrik Schwarz-Kiefer Die Jakob-Bleyer-Gemeinschaft gedachte am 5. Dezember 2018 am Grabe Jakob Bleyers dem größten Ungarndeutschen. Die SoNNTAGSBLATT