Sonntagsblatt 1/2019 | Page 13

Dies würde natürlich unsere ungarndeutsche Gemeinschaft be- deutend schwächen. Darum bat die Vollversammlung unseren Abgeordneten Emmerich Ritter darum, im Parlament auch dies- bezüglich unsere Interessen zu vertreten.“ Das Parlament ver- abschiedete zwei Tage später die vom stellvertretenden Minister- präsidenten Zsolt Semjén gezeichnete Gesetzesvorlage mit der umstrittenen Passage der Erfassung von Namen und Vornamen. Auf Anfrage des Nachrichtenportals index.hu wies das Statisti- sche Landesamt (KSH) darauf hin, dass diese eine in den übri- gen EU-Staaten gängige Praxis sei, und sagte, dass man in der Vergangenheit bis auf die Volkszählungen von 2001 und 2011 auch dieser Praxis gefolgt wäre. Das Gesetz schreibt daten- schutzrechtliche Mechanismen vor, die in der Praxis bedeuten sollen, dass die Daten sofort nach der Online-Erfassung automa- tisch pseudonymisiert würden und eine Verbindung mit anderen Daten nur bis zum Abschluss des Auswertungsprozesses mög- lich sein dürften. Bezüglich der übrigens freiwilligen Angaben zu Nationalität und Religion schreibt das Gesetz vor, dass es eine Verbindung zum Namen und Vornamen des Erfassten aufgrund der Pseudonymisierung nicht zustande kommen darf. Das Landesamt für Statistik, die Vorbehalte ahnend, führte nach eigenen Angaben im Sommer 2018 eine Meinungsumfrage durch: Laut KSH hätten 83 % der Befragten Zustimmung zur An- gabe des Namens geäußert – unter den restlichen 17 % könnten sich auch Minderheitenangehörige, womöglich in großer Zahl, befinden, aber das Ergebnis scheint dennoch überzeugend zu sein, obwohl Datenschutz heutzutage ein heiß diskutiertes The- ma ist: So führten neulich Pläne der Regierung, sämtliche Video- überwachungsdaten zentral zu sammeln, für Diskussionen in der Öffentlichkeit – es finden übrigens nicht nur in Ungarn solche und ähnliche Big Brother-Diskurse statt. In Deutschland wurde sie unter dem Begriff „gläserner Bürger” bekannt, was auch die Pläne der Regierenden betrifft, nämlich auf Internet- und andere Kommunikationsdaten der Bürger stärker zuzugreifen. Die LdU-Argumentation geht erstmal in eine andere Richtung: Die historischen Erfahrungen mit der Vorvertreibungsvolkszäh- lung von 1941 würden einige, wenn nicht viele davon abhalten, sich unter Namensnennung zum Deutschtum (und/oder zur deutschen (Mutter)Sprache) zu bekennen. Durchaus berech- tigte Befürchtungen, wenn ich daran denke, dass ich Mitte der 1990er Jahre, also 50 Jahre nach der Vertreibung, auf verstei- nerte Minen stieß, als ich in Schaumar ältere Damen, die ich in Volkstracht fotografierte, um ihren Namen und ihre Adresse bat, damit ich ihnen einen Abzug der Aufnahmen zukommen lassen konnte. Ob diese Angst die Nachkriegsgenerationen, die ja aus Altersgründen mittlerweile die größte Gruppe unter den Beken- ner-Deutschen stellen, prägt, bleibt dahingestellt. Ich persönlich sehe die fehlende Vollanonymität im Kreise anderer Nationali- täten wie der Roma oder der Rumänen (am Vorabend des Tria- non-Jubiläums) viel problematischer, denken wir an die ohnehin großen Vorbehalte in der ungarischen bzw. ungarländischen Be- völkerung gegenüber den Roma – übrigens auch im Kreise ihrer „Minderheitenschicksalsgenossen”, der Deutschen in Ungarn. Das Statistische Landesamt beteuert, diese sensiblen Daten unter Einhaltung sämtlicher Datenschutzregelungen zu nutzen, wie es in einem Rechtsstaat üblich ist; angesichts fragwürdiger Rechtspraktiken in den letzten Jahren zweifeln aber in Ungarn viele an der Existenz rechtsstaatlicher Strukturen. Diese Dis- kussion (übrigens werden Volkszählungen auch in Deutschland seit Jahrzehnten zivilgesellschaftlich hinterfragt) zeigt – so mein Eindruck - eher unsere - auch wenn unbewusste - gestiegene Sensibilität in puncto Datenschutz, gerade in einer vernetzten Welt, die unüberschaubar geworden ist oder zu sein scheint. Das digitale Zeitalter mit all seinen Datenschutzskandalen in der jüngsten Vergangenheit hat unser Gefühl der Unsicherheit nur verstärkt. Aber womöglich ist es auch ein Gefühl des Unbeha- gens einem Staat gegenüber, der in Zeiten einer weitgehenden Atomisierung der Gesellschaft unter Verwendung der Errungen- schaften des technischen Zeitalters um Deutungshoheit ringt. Je nach Stärke und Schwäche der Zivilgesellschaft sind Mittel und SoNNTAGSBLATT Erfolgsaussichten unterschiedlich. Gerade im persönlichen Be- reich des Bürgers bedürfte es aber mehr Sensibilität und Dialogs auf beiden Seiten. Damit die Schatten der Vergangenheit nicht Herr über uns werden. Unsere Aufgabe: Unterstützen statt Korrigieren Von Patrik Schwarcz-Kiefer In dem ersten Teil dieser Artikelreihe habe ich mich um die Ein- führung in die Problematik der gemeinschaftlichen Erwartung des Sprachperfektionismus gekümmert. Jetzt möchte ich die- ses Thema vertiefen und diejenigen überzeugen, sich anders zu verhalten, die über bessere Sprachkenntnisse verfügen. Wenn jemand in dem ungarndeutschen Bereich sich die Kraft und den Mut nimmt auf Deutsch zu kommunizieren, kommt im- mer jemand, der die Sprache besser beherrscht. Oft wird diese Person jeden Satz, jedes falsch konjugierte Wort ausbessern, korrigieren. Sie denkt, dass das eine Hilfe für die Zukunft sei und es fällt ihr dabei überhaupt nicht ein, dass er das Selbstbewusst- sein der korrigierten Person zugrunderichtet. Es gibt einige, die nach solchen Fällen weiterhin die deutsche Sprache benutzen. Aber es gibt solche, die nach solchen Erfahrungen Angst vor der Sprache, besser gesagt vor der kommenden Demütigung haben. Deswegen bleiben sie still oder kommunizieren auf Ungarisch. Wie in einem Artikel des Sonntagsblattes treffend geschrieben wurde: In unserer Gesellschaft habe man Angst vor der Zuhö- rerschaft, vor der offenen Kommunikation. Das geschieht in der eigenen Muttersprache auch und wenn es um eine Fremdspra- che geht, wozu leider Deutsch für die Mehrheit der Ungarndeut- schen geworden ist, ist die Situation noch schlimmer. Deswegen braucht man Unterstützung. Die Menschen sind egoistisch. Deshalb hat man das Gefühl, dass man durch die Korrektur beweisen kann, dass man doch besser als die anderen sei. Der kleine Teufel arbeitet in uns allen. Aber wenn uns die Situation der deutschen Sprache und dadurch die Zukunft der Ungarndeutschen am Herzen liegen, müssen alle diesen inneren Schweinehund besiegen. Wir müssen alle, die nur ein bisschen Deutsch können, zur Verwendung der Sprache motivieren und sie nicht immer korrigieren. Es bringt nämlich nix, man vergisst es in einigen Minuten. Was aber nicht vergessen wird, ist die peinliche Situation, als allen bewiesen wurde, dass der Betroffene Deutsch nicht gut genug beherrsche. An dieser Stelle bitte ich alle darum, die sich in diesem Text wiedererkannt haben, als Unterstützer zu wirken. Und nicht als Korrektoren. Verkehrte Welt Banater Madjare trifft auf ungarländische Schwaben Von Richard Guth „Ich verstehe nur eine Sache nicht, lieber Bewohner deutscher Volkszugehörigkeit, nein, nicht so, eher Bewohner von (…), der sich der deutschen Gemeinschaft zugehörig fühlt (im Internet schrieb man es so), warum sprechen Sie nicht ihre Mutterspra- che? Ich wohne seit zwei Jahren hier und habe noch kein einziges Wort Deutsch gehört. Ich hielt mich in den Pausen sogar unter den Schülern des hiesigen deutschen Gymnasiums auf und alle sprachen ungarisch. Ich habe in Temeswar das ungarische Gym- (Fortsetzung auf Seite 14) 13