Ein Prozess, der sich gerade im Kleinkindesalter mehr als inte-
ressant entwickelt. Die Ofner Familie, in der die Kinder in einer
ungarischen Umgebung neben der ungarischen auch die deut-
sche Sprache spielerisch erlernt hätten, fand es verblüffend,
„wie schnell sie gemerkt haben, mit wem sie in welcher Sprache
kommunizieren können.“ Einen Einschnitt bedeutete in der Fünf-
kirchener Familie die Aufnahme der Kinder in die (ungarischspra-
chige) Kinderkrippe: „Als die Kinder zur Kinderkrippe mussten,
da wir beide die Arbeit aufzunehmen gezwungen waren, habe
ich beide Male einen enormen Rückgang in den Deutschkennt-
nissen erlebt, meine ältere Tochter fragte mich sogar: „Te miért
születtél Deutsch-nak?” Nachdem wir die Frage geklärt haben
(sie war vielleicht vier Jahre alt!) ging es wieder bergauf, obwohl
auf deutsche Fragen manchmal ungarische Antworten kamen.
Ich habe aber ausgeharrt und nicht locker gelassen, oft abgewar-
tet, bis nach der ungarischen Antwort auch die deutsche kam,
oder die ungarische einfach außer Acht gelassen, als ob sie gar
nichts gesagt hätte oder einfach ,Wie bitte?` gesagt, dann wusste
sie schon, dass sie – ohne es gemerkt zu haben – ungarisch zu
mir gesprochen hat.“ Der Familienvater spricht vom Glück, dass
es in Fünfkirchen sowohl einen deutschsprachigen Kindergarten
als auch eine solche Schule gibt. Hinsichtlich der Stärkung der
Deutschkenntnisse im Kindergarten spricht er von anfänglichen
Bedenken (was auch die Informationen des Sonntagsblattes aus
dem Kreise von Vertretern von Nationalitätenkindergärten stüt-
zen, wonach die Kinder am Ende der Kindergartenzeit die Spra-
che eher passiv beherrschen würden): „Im Kindergarten hatte ich
meine Bedenken, da in der Gruppe meiner älteren Tochter eine
Zeit lang nur sie wirklich Deutsch von zu Hause mitgebracht hat,
die anderen Kinder profitierten davon, auch die Erzieherinnen
freuten sich, nur mir war das Ganze zu wenig. Die Situation än-
derte sich zum Glück und in der Schule besuchen beide meiner
Töchter eine einsprachig deutsche Klasse. Seit der Einführung
der einsprachigen Klasse an der Valeria-Koch-Grundschule im
Jahre 2013 gibt es sichtbare/hörbare Unterschiede gegenüber
den Parallelklassen, wo „nur“ ein erhöhter Deutschunterricht zu-
gegen ist. Ich muss dem aber hinzufügen, dass in die einsprachi-
ge Klasse auch hauptsächlich diejenigen Kinder gehen, die die
Sprache von zu Hause mitbringen oder zumindest Vorkenntnisse
haben. Für uns war die Institution aber die beste Wahl!“ Auch
die Ofener Familie entschied sich für eine deutschsprachige
Einrichtung, die Deutsche Schule. In Budapest gibt es gegen-
wärtig keine einsprachige Einrichtungen in der Trägerschaft des
Staates oder von deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen,
dafür aber mehrere, deren Träger jeweils eine Stiftung ist, die
aber Schulgeld erheben (bei vorhandenen Stipendienmöglich-
keiten). Landesweit sieht es hinsichtlich einsprachiger Angebote
noch bescheidener aus (bis auf die genannte Koch-Grundschu-
le), selbst zweisprachige Angebote (die hinsichtlich der Intensität
des Fachunterrichts in deutscher Sprache große Unterschiede
aufweisen) sind rar. Die Kinder aus der Ofner Familie besuchen
die Deutsche Schule Budapest, denn es liege ihnen viel an der
Förderung der Deutschkenntnisse der Kinder über den Kontakt
zu anderen Muttersprachlern.
Darüber hinaus empfehlen die beiden Familienväter anderen
Ungarndeutschen, die ihre Kinder ein- oder zweisprachig erzie-
hen wollen, nicht aufzugeben: „Es wäre oft einfacher den Kin-
dern etwas auf Ungarisch zu erklären, aber man muss sehr, sehr
konsequent bleiben. Die Sprache ist ein großer Schatz, geben
wir sie weiter!“ Sie raten ferner, Kinder bewusst und spielerisch
zu fördern. Auch der Fünfkirchener Familienvater zeigt sich über-
zeugt: „Es gibt unterschiedliche Meinungen, wer sein Kind in der
eigenen (auch wenn schwächeren) (Mutter)Sprache erziehen
soll, ich bin aber fest davon überzeugt, wenn man den Mut und
die Ausdauer hat, sollte man unbedingt versuchen die Sprache
der Ahnen weiterzugeben, das soll auch heißen, dass man sich
Mühe gibt und bereit erklärt, seine eigenen sprachlichen Schwä-
chen aus dem Weg zu schaffen. Es gibt ja dafür heutzutage un-
zählige Möglichkeiten. Eine (zweite, dritte…) Sprache seinem
Kind schenken zu können, kann wohl kaum überboten werden!“
6
Städtebaulicher Kampf um
Deutungshoheit
Imre-Nagy-Denkmal demontiert
Von Katrin Holtz
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Chef-
redakteurs der Budapester Zeitung, Jan Mainka. Erschienen in
1/2019 der Budapester Zeitung.
Auf halbem Weg über eine Brücke, die zugleich den Weg in die
Freiheit symbolisiert, blickte die Statue Imre Nagys seit 1996
vom Vértanúk tér aus in Richtung Parlament. Der Premier von
1956 war wegen seiner Rolle im Ungarischen Volksaufstand von
den Kommunisten gehängt und anonym verscharrt worden. Am
28. Dezember wurde das ihm gewidmete Denkmal auseinander-
genommen und abtransportiert.
In den frühen Morgenstunden des letzten Freitags im alten Jahr
holte ein Sattelschlepper die Statue des Revolutionshelden Imre
Nagy vom Budapester Vértanúk tér ab. Grund dafür ist die ge-
plante Rekonstruktion des Platzes in seinem Zustand von vor
1945. Dazu gehört auch die Wiedererrichtung des 1934 an die-
ser Stelle eingeweihten Denkmals für die Opfer der kommunis-
tischen Diktatur von 1918-1919, so der Hauptkoordinator des
Projektes, Tamás Wachsler, gegenüber der Nachrichtenagentur
MTI. Dem musste Imre Nagy nun also weichen.
Vom Parteisoldaten zum Revolutionshelden
Die aus einer Brücke und einer überlebensgroßen bronzenen Fi-
gur bestehende Installation wurde von Tamás Varga entworfen
und 1996 zum 100. Geburtstag von Nagy am Vértanúk tér aufge-
stellt. Mit ihr sollte der Übergang Ungarns zur Demokratie geehrt
werden, für den Nagy lange Zeit als Symbolfigur galt. Dabei ist
der ehemalige kommunistische Parteisoldat und spätere Revolu-
tionsheld nicht ganz unumstritten.
Geboren 1896 kam Nagy, der im Ersten Weltkrieg kämpfte, erst-
mals während seiner Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft in
Kontakt mit der sozialistischen Idee, für die er sich bald bren-
nend engagierte. So schloss er sich etwa den Roten Garden an,
wurde 1920 Mitglied der Kommunistischen Partei Russlands und
landete im Ungarn der Horthy-Zeit mehrmals aufgrund „illegaler
kommunistischer Aktivitäten“ in Polizeigewahrsam, weshalb er
es vorzog, 1930 ins Exil in die Sowjetunion zu gehen.
1944 kehrte Nagy mit der Roten Armee nach Ungarn zurück. Un-
ter der ersten kommunistischen Regierung übernahm der Bau-
ernsohn aus Kaposvár den Posten des Landwirtschaftsministers
und galt hier als Vater der ungarischen Bodenreform. Innerhalb
der Partei eckte er jedoch mit seinen vergleichsweise liberalen
Vorstellungen immer wieder an.
Nach dem Tode Stalins wurde Nagy 1953 überraschend Minister-
präsident und begann eine durchgreifende Reformpolitik in Gang
zu setzen. Einige Punkte konnte er verwirklichen, bevor sich das
politische Klima erneut änderte. Nagy, der mit seiner Idee eines
„nationalen und menschlichen Sozialismus“ zum Hoffnungsträ-
ger vieler wurde, wurde 1955 von seinen Ämtern enthoben und
aus der Partei ausgeschlossen. Erst als sich im Oktober 1956
der Volksaufstand zuspitzte, wurde der beim Volk beliebte Nagy
als Ministerpräsident reaktiviert, um die Situation zu beruhigen.
Doch entgegen der Hoffnung der kommunistischen Hardliner
stellte sich dieser auf die Seite der Aufständischen. Er forderte
den Abzug der Roten Armee, kündigte ein Mehrparteiensystem
an und sprach sich für die parlamentarische Demokratie aus.
Doch schon drei Tage nachdem Nagy Anfang November die
SoNNTAGSBLATT