Sonntagsblatt 1/2018 | Page 2

Wir dürfen uns nicht ausruhen
Randnotizen anlässlich eines alljährlichen Preisverleihungsrituals
Von Richard Guth
„ Ungarn ist stolz darauf , dass sich Identität , Selbstbewusstsein und Selbstkenntnis seiner Nationalitäten im ständigen Stärkungsprozess befinden ”, sagte der Minister für Humane Ressourcen anlässlich der Übergabe der Auszeichnungen „ Für Nationalitäten ” am Montag im Pester Redoute ” - so beginnt eine Pressemeldung der ungarischen Nachrichtenagentur MTI vom 18 . Dezember 2017 .
„ Es steht im Interesse Ungarns , dass die Nationalitäten ein Netz von Institutionen haben , die ihre Gemeinschaften stärken – dies bedeute Kindergärten , Schulen , kulturelle Einrichtungen und Medien , die im Wachstum begriffen sind . Er erinnerte daran , dass seit 2010 die Höhe der Zuwendungen an die Nationalitäten um das Dreifache gestiegen seien ,” so die Meldung weiter . Als Beispiel nannte sein Staatssekretär für Minderheitenfragen , Miklós Soltész , dass sich die Zahl der Institutionen in der Trägerschaft der Nationalitätenkörperschaften von 12 auf 82 gestiegen sei .
In der Feierstunde durfte der Hinweis auf die Mustergültigkeit der ungarischen Minderheitenpolitik nicht fehlen : „ Ungarn möchte für all die Länder ein Beispiel sein , in den die Lage der Nationalitäten nicht so stabil und im Wachstum begriffen ist wie bei uns . Als Beispiel nannte er ( Minister Zoltán Balog , R . G .) die Ukraine , wo der Schulunterricht in der ungarischen Sprache in Gefahr sei .” Auch Staatssekretär Miklós Soltész griff diesen Gedanken auf und sagte : „ Wir wollen nie verbieten , dass die Slowaken , Rumänen , Serben und Kroaten ihre eigene Hymne singen und ihre nationalen Symbole benutzen . Ich will , dass sie immer mehr eigene Institutionen haben . (…) Er hielt es für wichtig zu betonen , dass die bunte Welt , Sprache , Kultur und Glaubenswelt der Nationalitäten erhalten bleibt .” Bemerkenswert war in der Pressemeldung die Bemerkung von Minister Balog , dass man „ sich nicht zurücklehnen kann , es gäbe noch viel zu tun .”
Und in der Tat , es gibt noch viel zu tun . Dabei erscheint gerade die gebetsmühlenartig vorgetragene Mustergültigkeit der ungarischen Minderheitenpolitik , als Abgrenzung zu der ohne Zweifel diffusen Minderheitenpolitik in den Nachbarländern , als äußerst problematisch . Wenn Staatssekretär Soltész von „ der bunten Welt der Nationalitäten ” spricht , dann bedarf diese einer äußerst kritischen Analyse .
„ Glaubenswelt ” - wenn man die zwei größten Minderheitengemeinschaften , die der Deutschen und Slowaken , nimmt , so ist das Fehlen muttersprachlicher Seelsorge fast flächendeckend ( hier scheint die Situation bei den Serben und Rumänen , die über eine eigene nationale Kirche verfügen , besser zu sein ), bis auf wenige Ausnahmen fehlt es an deutsch- und slowakischsprachigem geistlichen Personal , seit der Wende ist auch kein Durchbruch erzielt werden können , ganz im Gegenteil : Das Beispiel der abgeschafften deutschen Messe in Fünfkirchen ( darüber haben wir im SB mehrfach berichtet ) zeigt exemplarisch , dass die demografische Zeitbombe auch Bestehendes zu gefährden vermag . Seelsorge sollte sich aber keinesfalls nur auf ( oft im schlechten Deutsch oder Slowakisch ) vorgelesene liturgische Texte beschränken , sondern sich auf Religionsunterricht , Beichtgelegenheiten und kirchliche Feier wie Hochzeit , Taufe und Begräbnis in der Muttersprache erstrecken . Eine paradoxe Situation : Auch wenn per jure die Nationalitätenangehörigen das Recht auf Letztgenanntere besäßen , sieht die Realität anders
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Leitartikel s aus . Hier mit Mustergültigkeit zu prahlen , geht völlig an der Realität vorbei : Muttersprachliche Seelsorge ist im Kreise der madjarischen Minderheiten in den Nachbarländern eine Selbstverständlichkeit ( auch wenn es auch dort durchaus negative Beispiele in der Versetzungspraxis von Priestern gibt ). Und das gilt nicht nur für die mehrheitlich madjarische Reformierte Kirche , sondern auch für die Katholische Kirche in der Slowakei und Rumänien beispielsweise . Da erinnert man sich gerne an die ungarische Werktagsmesse von „ Zoli atya ” für eine Handvoll Kaschauer Madjaren ( Reisenotizen ( 4 ): Kaschau , SB 4 / 2017 ). Die zahlenmäßige Stärke einer Gemeinschaft , die eine starke Identität hat , die auf der Kenntnis der Muttersprache und der Verbundenheit des angestammten Volkes fußt , scheint hier entscheidend zu sein .

„ Sprache ” - Ohne Zweifel ist der Zuwachs in der Zahl von Institutionen in der Trägerschaft von Nationalitätenselbstverwaltungen positiv zu bewerten . Das Sonntagsblatt hat diese Entwicklung stets begrüßt . Jedoch ist die „ äußere Form ” der kulturellen Autonomie nur eine Seite der Medaille . Viel wichtiger ist der Inhalt , der dahinter steckt . Wenn man Schulen übernimmt , in der die deutsche ( Nationalitäten- ) Sprache ( was ja schon an sich ein typisch ungarisches Paradoxon ist , denn man unterrichtet die Kinder nicht in der Mundart , sondern in der Hochsprache ) in fünf Wochenstunden unterrichtet wird , dann darf dies kein Dauerzustand bleiben . Das scheint auch der LdU bewusst zu sein , die die Zwei- ( bzw . Ein- ) Sprachigkeit an immer mehr Schulen ( in der Trägerschaft örtlicher DNSVW ) als strategisches Ziel definiert . Aber auch hier darf das Schulwesen der madjarischen Gemeinschaft ( en ) in den Nachbarländern als Beispiel dienen ( wenngleich immer mehr Kinder in madjarischen oder Mischehen beispielsweise slowakisch- und rumänischsprachige Schulen besuchen ). Wie es der siebenbürgisch-madjarische Schriftsteller und Journalist Attila Vári so schön auf den Punkt gebracht hatte : „ Lassen Sie uns in die Schule einer solchen ungarländischen Gemeinde einkehren , wo der Name des Ortes auf dem Ortsschild neben Ungarisch auch in der Sprache der dort Lebenden angegeben ist , am Magistrats- und Schulgebäude sind die Inschriften auch zweisprachig . Lassen Sie uns die Lehrbücher anschauen , die Zahl der Fächer und Unterrichtsstunden in der Muttersprache und tun wir das Gleiche in den Dörfern des Câmpia Transilvaniei ( Mezőség ), Partiums , Banats und des Seklerlandes . Der Unterschied ist gewaltig . Natürlich zugunsten der siebenbürgischen Schulen . Wie würde denn ein Grundschüler in Dolné Peťany / Alsópetény oder Šámšonház / Sámsonháza reagieren , wenn ich ihn bitten würde , mir seine slowakischen Mathematik- , Umweltkunde- oder gar Geschichtsschulbücher vorzuzeigen ? Denn solche hat bzw . hatte er nie . Demhingegen würde in jedem Ort in Rumänien , wo es Grund- oder weiterführender Schulunterricht in der Muttersprache erteilt wird , derjenige , den ich darum bitten würde , mit einer Natürlichkeit seine ungarischsprachigen Bücher vorlegen .“ ( Mit zweierlei Maß , SB 04-2017 ) Wohlgemerkt gibt es teilweise bereits eigene Schulbücher , bei den Ungarndeutschen besipielsweise , es mangelt aber angesichts der Dominanz der sprachunterrichtenden Form an Einsatzorten . Ohne Schule keine Tradierung der Muttersprache – diese Faustregel gilt seit spätestens 1945 : Die alten Dorfgemeinschaften haben sich aufgelöst , die Welt ist offener geworden – so auch der Einfluss der Sprache der Mehrheitsbevölkerung , eine Erfahrung , die unter anderem auch die Slowakeimadjaren des Öfteren machen müssen . Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand , welche Auswirkungen der Prestigeverlust einer Sprache auf den ( beispielsweise deutschen ) Nationalitätenunterricht hat : Englisch gewinnt von Jahr zu Jahr an Bedeutung , so sinkt auch die Zahl der Schüler , die Deutsch als erste ( Fremd- ) Sprache wählen . Wohlgemerkt , Fremdsprache , und da liegt der Hund begraben : Die verlorene und daher fehlende emotionale Bindung vieler Ungarndeutscher zur deutschen Sprache ( die so zu einer Fremdsprache mit Nutzwert - oder eben auch nicht - verkommen ist ) verheißt leider wenig Gutes . Noch gravierender erscheint das im Falle der bereits zitierten Slowaken , denn die slowakische Sprache besitzt in den Augen der meisten Menschen in Ungarn
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