Sonntagsblatt 1/2018 | Page 17

Das Haus des Schriftsteller Rudo Fraňo steht oben auf dem Hügel, gegenüber der Kirche und dem Friedhofsgarten, wo die drei Senváclaver Kinder, Jozef Szlovák, Ján Horňák und Dezider Kočkovski seit 70 Jahren ruhen. ihren Lauf, aber die Deportation wurde Anfang 1947 eingestellt, so dass sie nun, zwei Tage nach dem Mord, wiederaufgenom- men wird, auch wenn nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Tragödie im Pilisch. Fraňo ist ein Vertreter der ungarländischen slowakischen Litera- tur, und gut dreißig Bücher von ihm stehen in der Glasvitrine der unteren Kneipe, der Jánošikova Krčma. In einem der neuesten hat er die Morde von 1947 verarbeitet: Die Dialoge sind ausge- dacht, aber die Geschichte folgt den realen Ereignissen, jeden- falls in der Version der Dorfbevölkerung. „Auf Initiative von Mátyás Rákosi hin ermöglichte nun die rus- sische Kommandantur in Deutschland die Fortsetzung der Ver- treibungsaktionen. Heute, am 19. August um 17:00 startete vom Bahnhof in Kecel der erste Zug in Richtung der SBZ Deutsch- lands”. „Ein kosakischer Zugführer namens Vasil war der Mörder. Er kam 1944 mit den Russen, aber er desertierte. Er hat sich versteckt, auch in dem Haus, so sagt man, in dem er dann die Kinder er- mordete”, erzählt er. Hinsichtlich des Warums gibt es im Dorf mehrere Versionen: Entweder wollte der Kosake rauben oder er hat mit den Kindern Waffenhandel betrieben, aber dann kam es zum Streit wegen dem Geld. Manche sagen, dass Vasil eine Af- färe mit der Pflegemutter der Kinder haben konnte, und sie soll es gewesen sein, die den Hausherrn, einen Grundbesitzer mit 90 Joch, wegen des Versteckens von Waffen auslieferte, der dann auf den GULAG-Inseln landete – aber warum daraus ein Massa- ker wurde, darauf weiß keiner die Antwort. Die Senváclaver kamen in den Jahrzehnten nach dem Mord re- gelmäßig ins Krankenhaus ORFI zur Behandlung, wo in der Ká- dár-Ära einer der Ausflügler als Krankenschwester arbeitete: Sie erzählte auch einigen, dass der Angreifer Russe war. Aber jemand vom Dorf begegnete Vasil am Tag des Mordes: Im Wald an der Salabašina-Quelle wurde er von einem Mann aus Senváclav beobachtet, während der Kosake sein Blut abgewa- schen hat. - Was machst du hier, was hast du getan? - Geh zum Gehöft, dann siehst du es, aber dir könnte es auch so ergehen, solltest du es weitererzählen!, zitiert Rudo Fraňo den Dialog, was der Zeuge selbst der eigenen Familie nur Monate später zu erzählen wagte. Im Zusammenhang mit den Morden im Pilisch sprach man in der Presse vornehmlich von den vertriebenen Schwaben, die zurück- gekehrt sind. Es gab in der Tat solche Rückkehrer, die Hetzjagd hätte sich nach der allgemeinen Einschüchterung auch auf de- ren Festsetzung abzielen können. „Nach dem Beginn der Vertrei- bungsaktionen setzte sich die Rückkehr der Schwaben bereits im Sommer 1946 ein. Dies wäre im Sudetenland oder in Polen undenkbar gewesen, aber die Ungarndeutschen lebten mit der Mehrheitsbevölkerung größtenteils konfliktfrei zusammen. Meine Forschungsergebnisse zeigen, dass zwischen 1946-50 mindes- ten s 8-10.000 Vertriebene zurückgekehrt sind, die außerhalb der Gesellschaft leben mussten, d. h. sich jahrelang versteckt hiel- ten, es gab welche, die man gefasst und erneut deportiert hat, bzw. bis Juni 1948, bis zum Abschluss der Vertreibung, auf die Züge der Vertriebenen gesetzt hat”, schreibt Ágnes Tóth, Mit- arbeiterin des Minderheitenforschungsinstituts der Ungarischen Akademie der Wisenschaften gegenüber Index. Die Morde, die man ihnen angelastet hat, kamen dabei gelegen. Wie die Forscherin sagt: „Ab Sommer 1947 führte man regel- mäßig Razzien durch, diejenigen, die gefasst wurden, werden erneut ausgewiesen, vertrieben. Es ist ausgeschlossen, dass sich ehemalige SS-Soldaten im Pilisch bewaffnet versteckt hiel- ten, aber gegen die Schwaben hat man eine Pressekampagne gestartet, sie wurden kriminalisiert: Sie würden stehlen, den Ma- djaren die Arbeit wegnehmen, eine bewaffnete Verschwörung vorbereiten und laut Propaganda sollen natürlich alle von ihnen SS-Soldaten und Volksbund-Mitglieder sein.” Schauermärchen über herumstreunde Faschisten Wir wissen es nicht, wieviel Details die Polizei davon kannte, aber daraus, dass sie sofort das Konzept einer SS-Gruppen- attacke präsentierten, lässt sich schließen, dass sie genügend Kenntnis davon hatten. Es ist davon auszugehen, dass man we- der von Mordtaten geflohener noch irgendwelcher sowjetischer Soldaten hören wollte und dass eine Hetzjagd deshalb gestartet wurde, damit nicht eine weitere Straftat, die für Öffentlichkeit sor- gen könnte, begangen wird. Ein Tatverdächtiger wurde aber nie präsentiert. Anstelle dessen gab es eine antideutsche Hetzkampagne, in der jeder ungarlän- dische Schwabe per se SS-Bandit und potenzieller Mörder war. „So haben sich Terrortruppen von in zahlreichen Ländern Euro- pas sich versteckt haltenden deutschen und nichtdeutschen Hit- leristen zusammengerottet. Die schwäbischen Paschabauern, die glühenden Hass gegenüber dem Ungarn der Bodenvertei- lung und dem Land, der Armen siedelt, verspüren, betrachten die Causa der faschistischen Terrorgruppen als ihre eigene Sa- che. Deswegen wäre es abwägig, den Mord bei Sankt Andrä, die Angelegenheit der öffentlichen Sicherheit des Landes von der Frage der Vertreibung der Schwaben zu trennen. Man kann keinen Mörder verfolgen und gleichzeitig die Mittäter unbehelligt lassen”, schrieb die „Szabad Nép” in ihrem hetzerischen Artikel „Hitler Szentendrén” (Hitler in St. Andrä). Die Vertreibung der als kollektiv schuldig abgestempelten Un- garndeutschen (insgesamt wurde die Hälfte der deutschen Be- völkerung, 220.000 Menschen vertrieben) nahm Anfang 1946 sonntagsblatt (Forsetzung auf Seite 18) 17