Blätter zu werfen. Beim Leitartikel auf der Titelseite der Ausgabe von „ Népsport” vom 28. Dezermber ging es darum, dass tags davor die 3. Pionierwinterolympiade begonnen hat, und darüber hinaus berichtete man darüber, dass am 9. Januar 1968 im Rahmen des Messestädte-Pokals Liverpool von Ferencváros empfangen wird. Am unteren Rand der Titelseite berichtete man unter der Überschrift „ Florian Albert der beste europäische Fußballspieler von 1967” über die Auszeichnung Florian Alberts. Das Blatt der MSZMP, die „ Népszabadság”, widmete ihr keine einzige Zeile auf der Titelseite, anstelle dessen fand man Platz für die Erklärung Indira Gandhis, der Ministerpräsidentin von Indien, zum Vietnam-Krieg, und dafür, dass „ Genosse Hô Chí Minh das vietnamesische Volk zur Intensivierung des Kampfes aufgerufen hat”. Die Sportseite von „ Népszabadság” tat es in ein paar Zeilen ab, dass Florian Albert den Goldenen Ball erhielt. Überschrift des Artikels: „ Bewegte letzte Tage des Jahres”- hier wurde die Nachricht über die Vergabe des Goldenen Balles an Albert gebracht. Natürlich war das eine Entscheidung der Zentrale, denn wenn es an László Lukács gelegen hätte, hätte er sogar drei Seiten über den Goldener-Ball-Träger Albert schreiben können.
Das ungarische Gewerkschaftsblatt „ Népszava” beschäftigte sich wenigstens auf der Sportseite ausführlich mit der Auszeichnung Alberts, aber auch dort füllten die Ereignisse rund um den Vietnamkrieg die Titelseite. Arme „ Képes Sport” ereilte das, was ein Alptraum jedes Sportjournalisten ist. Die Redakteure der Sportzeitschrift – als hätten sie es geahnt – platzierten auf der Titelseite der Doppelnummer des Jahresschlusses die Familie Albert, und der Spieler von Ferencváros gab ein zu damaligen Verhältnissen sehr umfangreiches Interview. Das wurde erst davor geführt, als es herauskam, dass Albert der Preisträger des Jahres 1967 wird, dementsprechend wurde in dem Interview kein Wort darüber verloren. Die Monatszeitschrift „ Labdarugás” setzte Dezember 1967 Albert auf ihre Titelseite, mit der Frage, „ wer 1967 Europas Nummer Eins sein wird”. Die Antwort kam prompt: „ Albert”.
In der Zeitung erschien ein Gastbeitrag von Jean-Philippe Réthacker, einem „ France Football”-Redakteur. Der französische Sportjournalist nahm sich der Aufgabe an, über das Endergebnis der Abstimmung zu spekulieren. Bei ihm belegte Florian Albert den ersten Platz, vor dem Schotten Jimmy Johnstone und Anatolij Bišovec aus der Sowjetunion. Es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, wie die Sportjournalisten aus den sozialistischen Ländern abstimmten. Neben dem ungarischen Stimmberechtigten, dem „ Népszabadság”-Fachmann László Lukács, setzten Horst Braunlich aus der DDR und Geroges Milčev aus Bulgarian Albert auf den ersten Platz. Bei den rumänischen, tschechoslowakischen, polnischen, jugoslawischen und sowjetischen Stimmberechtigten gewannen andere. Zum Glück hatte dies wenig Einfluss auf das Endergebnis, denn Albert setzte sich mit deutlicher Mehrheit gegen den zweitplatzierten Bobby Charlton durch.
Florian Albert spielte in der Weltmeisterschaft von 1966 in England – insbesondere beim Gruppenspiel gegen die Brasilianer in Liverpool- so überzeugend, dass er bereits in diesem Jahr den Goldenen Ball verdient hätte. Eine bis heute falsche Annahme geht davon aus, dass man ihn gar nicht wegen seinen Leistungen im Jahre 1967 prämiert hätte, sondern dass man immer noch seine Spielerleistung von 1966 bewertet hat.( 1966 gewann der Kapitän der englischen Weltmeister von 1966, Bobby Charlton, den Goldenen Ball.) Aber das ist falsch. Da man 1967 weder eine WM noch eine EM veranstaltete, stellt sich die Frage, warum sich Albert durchsetzen konnte?! Auch wenn es ungewöhnlich klingt, so der Sportjournalist Károly Lakat T., erhielt Albert für seine sportlichen Leistungen in der ungarischen Meisterschaft den Goldenen Ball. Von den 30 nahm er an 27 Spielen teil und schoss 28 Tore. Die Stimmberechtigten konnten über seine Leistungen in der Ersten Liga( NB I) – aufgrund fehlender Fernsehübertragungen – auf den Seiten von „ France Football” von Woche zu Woche lesen, denn damals berichtete László Lukács noch wöchentlich zusammenfassend über die Geschehnisse rund um die Erste( Ungarische) Liga.( Genauso wie heute, wo es eine Selbstverständlichkeit ist, dass die ungarischen Zeitungen über die Ereignisse der Premier League berichten.)
20
Was die Leistungen in der Nationalelf anbelangt, war ein Auswärts-EM-Qualifikationsspiel gegen Dänemark( 0-2) das beste Match von Albert( er schoss in diesem Jahr lediglich bei diesem einzigen Spiel der Auswahl ein Tor), aber das wäre längst nicht ausreichend für den Goldenen Ball gewesen, obwohl der österreichische Sportjournalist Martin Mayer nach dem 3 zu 1-Sieg der Ungarn gegen Österreich in Budapest Folgendes schrieb: „ Es gab einen einzigen Mann, für den es sich lohnte, nach Budapest zu fahren: Florian Albert. Er bereichert als neues Gesicht den Fußball: als Superspieler.” Keine schlechte Kritik, aber es ist nicht sicher, dass dies für den Preis gereicht hätte. Dafür musste er bei Ferencváros eine Goldener-Ball-würdige Leistung erbringen.
Jetzt kehren wir zum Abend des 3. Mai 1968 zurück. Noch ein Tag bis zum Viertelfinalspiel gegen die Sowjetunion. Albert wollte ins Bett, als es an seiner Wohnungstür in Altofen klingelte. Auf der einen Seite der Tür stand Albert in Pyjama und mit halb geschlossenen Augen, auf der anderen Seite „ Népszabadság”-Sportjournalist László Lukács, Ungarn-Korrespondent von France Football. Hier beginnen die Erinnerungen von László Lukács: „ Als es sich herausstellte, dass der Fußballbund MLSZ eine Übergabe des Goldenen Balles vor dem Spiel gegen die Sowjetunion nicht genehmigen wird, fuhr die Delegation von France Football zum Hotel Sport, wo sich die Auswahl auf das große Spiel vorbereitete. Vor Ort stellte es sich heraus, dass sich Albert erst gar nicht im Hotel aufhielt, da er sich verletzte, so dass Teamchef Károly Sós ihn nach Hause schickte. Wir dachten, wenn man vor dem EM-Viertelfinale den Goldenen Ball nicht überreichen kann, dann sollten wir es im Restaurant des Hotel Sport machen. Da Albert nicht da war, bat ich den Chefredakteur und die Fotografen des französischen Blattes Platz zu nehmen und sagte, dass sie sich nicht von der Stelle rühren sollten. Ich habe mich ins Taxi gesetzt und fuhr zur Wohnung von Albert. Da war es bereits nach zehn Uhr. Albert in Pyjama verstand binnen Sekunden, worum es geht: Er zog sich schnell an, und wir fuhren mit seinem Auto zurück zum Hotel. Als wir dort endlich ankamen, bat ich Albert Platz zu nehmen, wir fingen an zu klären, wo die Übergabe stattfinden soll, was für Fotos angefertigt werden sollen. Dann hörte ich über den Lautsprecher des Hotels, dass ich einen Anruf erhielt. Ich konnte mir kaum vorstellen, wer zu dieser späten Stunde anrufen könnte. Am anderen Ende der Leitung war Bundestrainer Sós, der mich anschrie, was ich denn dort mit dem verletzten Albert verloren hätte. Wort auf Wort folgten, so dass wir letzten Endes den Goldenen Ball dort und dann nicht überreicht haben. In der Zwischenzeit signalisierten die Redaktionsleiter von France Football, dass sie sich ein ausführliches Interview mit Albert wünschen. Das haben wir auf den Vormittag des nächsten Tages gelegt, das Gespräch fand in der Wohnung Alberts statt. In der Zwischenzeit musste ich die Verantwortlichen stündlich informieren, die von keinerlei Feier wissen wollten. Letzten Endes passierte soviel, dass vor dem Spiel gegen die Sowjetunion auf der Tribüne des Volksstadions einige Fotos entstanden, und, um die Sache beim Empfang nach dem Spiel doch noch zu retten, übergaben wir den Goldenen Ball Albert im Geheimen im Restaurant Gundel. Dies geschah fast im Verborgenen, was ansonsten in jedem Stadion der Welt vor zehntausenden geschah. Es war in der Geschichte des Goldenen Balles das erste Mal, dass er nicht vor einem Spiel überreicht wurde. Der Chefredakteur von France Football, Max Urbini, lobte offiziell Albert, aber zeigte sich äußerst unzufrieden, wie der Fußballbund MLSZ die Angelegenheit der Übergabe regelte. Aus dem Gundel fuhren wir mitten in der Nacht ins Hotel Sport, wo er bereits von seinen Kameraden erwartet wurde, die bei einem Abendessen, begleitet von Zigeunermusik, den ersten und bislang letzten Goldener-Ball-Spieler Ungarns feierten.”
Vier Tage später, am 6. Mai 1968, tat Károly Lakat, der Cheftrainer von Ferencváros, auf der Konferenz der Fußballabteilung folgende Aussage: „ Im Dózsa-Spiel müssen wir unbedingt was überreichen, um diesen Scheißern eins auszuwischen, weil die es nicht zuließen, den Goldenen Ball in aller Öffentlichkeit zu überreichen. Man soll das niemanden wissen lassen, sondern bloß um ein Micro bitten und als Überraschung ein Geschenk überreichen.” Diese Aussage lag wenige Stunden später abgetippt auf dem Tisch des zuständigen Mitarbeiters des Innenministeriums, Mihály Ladányi, denn der Informant bei der Fußball-Abteilung von Ferencváros( IM „ Kőműves”) sofort das Innenministerium
sonntagsblatt