Sonntagsblatt 1/2016 | Page 28

US-Army ein ganzes Regiment aufgelöst und die Dachboden - gegenstände sollen von den „ Tanyabauern ” zusammengesammelt worden sein . Auch hätten die Bauern den flüchtenden Wehr - machtssoldaten so weit wie möglich mit Zivilkleidern ausgeholfen . Doch zurück zu unserer Situation : Alfons übernahm jetzt die weiteren Schritte unseres Unterfangens . Wir sollten uns voll als Soldaten ankleiden , zumindest mit einer Jacke und einem Stahl - helm , was dann auch unter allgemeiner Belustigung geschah … . Es war schon eine eigenartige Truppe , die sich für ihren „ Einsatz ” – was immer da auch kommen sollte – bereit machte .
Nachdem wir alle Soldaten geworden waren , gab A . den Befehl , dass wir uns durch das hintere Tor aus der Scheune schleichen sollten . Von dort aus konnten wir , unbemerkt von den Erwachsenen , im Schutz einer Hecke in den nahen Wald gelangen . Der „ Aus - bruch ”, wie A . das nannte , war dann ganz gut gelungen , und wir standen jetzt am Rande des Waldes , wo die größte Überraschung des Tages auf uns wartete : ein deutscher Panzer vom Typ PKW IV „ Panther ”( spätere Feststellung )!!
Die seltsame Truppe mit den viel zu großen Uniformjacken und Stahlhelmen trat jetzt auf Befehl unseres Anführers vor dem Panzer an und wir kletterten danach auf den Turm , Alfons stieg hinein und begann mit dem „ Fahren ”. Beim Kommando „ Ab sit - zen ” sprangen wir vom Fahrzeug und legten uns in der Nähe in Deckung . So verging mit unserem „ Krieg-Spielen ” der Vormittag , und wir machten uns vorsichtig wieder auf den Weg in unsere Kleiderkammer , wo wir uns wieder enttarnten !
Wenn man diese kleine Episode unseres Tanyalebens im Juni 1946 betrachtet , ist es schon erstaunlich wie die damalige Kriegs - zeit selbst die Kinder schon geprägt hatte . Dies wird besonders am fast 10jährigen Alfons , der ja schon die vierte Klasse der Grund - schule besuchte , deutlich . Bereits dort und von den Erzählungen der Erwachsenen – drei ältere Brüder von A . waren im Krieg an der Ostfront – war die kindliche Gedankenwelt des Jungen stark vom „ Zeitgeist ” beeinflusst . Später erfuhr die Familie , dass alle drei jungen Soldaten gefallen sind !
Nach unserer „ Wehrübung ” war dann bald Mittagszeit . Ich ging in unsere „ Unterkunft ”, wo sich Vater und Mutter nach der Vor - mit tagsarbeit zum Essen bereit hielten . Die Tochter Dora , die mit ihrer Mutter und Schwester Frida zum Kochteam des Hofes gehörte , hatten für heute etwas echt „ Schwäbisches ” gekocht : „ Griabaschneckla ” mit Sauerkraut !! Dieses Essen schmeckte auch uns „ Schwaben ” aus Ungarn vorzüglich .
Nach dem Mittagessen gingen meine Eltern weiter ihren Ar - beiten nach . Unser Trio traf sich zwischen den beiden Höfen und wir gingen dann in die Streuobstgärten des Weilers . Hildegard kannte hier alle Obstbäume , hauptsächlich waren es Äpfel , Birnen und Zwetschgen . Pfirsiche , Marillen und Kirschen , wie sie in unserem Schorokscharer Hausgarten von Opa gepflegt wurden , suchte ich hier vergebens ! Dazu war das Klima auf der Ostalb bei einer Höhenlage von über 500 m doch zu rauh . Später hörten wir , dass die Ostalbgegend aus der Sicht der Stuttgarter als „ Schwäbisch Sibirien ” bezeichnet wurde . Klimatisch war die „ vielleicht- Neue- Heimat ” mit dem warmen Schorokschar nicht zu vergleichen .
Hildegard führte uns aber dann doch zu einem Baum mit Früh - äpfeln „ Jakobela ”. Diese ließen wir uns schmecken und H . hatte noch eine Überraschung auf dem Obstsektor für uns : Wir sollten nur warten bis Ende Juli , wenn die „ Wasserbiera ” reif sind , diese wären in Saft und Süße nicht zu überbieten ! Für das Wochenende hatte sie uns einen weiteren „ kulinarischen Höhepunkt ” angekündigt , dies sollte aber eine Überraschung werden . Maria und ich suchten dann später unsere Eltern und hörten von ihnen , dass morgen „ d ’ Heiet ” ( Heuernte ) beginnen sollte . Vater wollte dabei zeigen , wie er beim „ Vesper ” sagte , wie gut ein Schorokscharer Bauer mit der Sense umgehen kann ! Willi , der
Oberknecht , der Altbauer und der eben aus der französischen Ge - fangenschaft zurück gekommene Sohn Kasper misstrauten eigentlich allen Erzählungen meines Vaters . Morgen wollte er denen mal so richtig imponieren !
Davon wurde am nächsten Tage nichts , denn Vater hatte nicht mit der „ Mähmaschine ” des Bauern gerechnet , die die ungarndeutsche Sense hier schon abgelöst hatte !! Willi aus Ostpreußen saß auf der Messerbalken – Mähmaschine , die von zwei Pferden gezogen wurde , und drehte auf der großen Wiese Runde um Run - de . Vater hielt seine gut gedengelte Sense verlegen in der Hand und kam nur am Wegrand und an den Ecken zum Einsatz . Das Wetter war gut und das Heu trocknete schnell . Am Abend wurde es maschinell gewendet und am nächsten Mittag begann man dann mit dem „ Einführen ”. Die großen Bauernwagen bewunderte Vater sehr , und er durfte die Pferde führen und den Wagen beladen . Er verkniff sich aber in Bezug auf den rustikalen Aufbau der hiesigen Heuwägen nicht die Bemerkung , dass sein nagelneuer Wagen ( 1944 ) in Schorokschar bereits mit Kugellagern ausgerüstet gewesen sei ! Auch hier erntete er ein spöttisches Lächeln seiner Gesprächspartner . So wurde Wagen um Wagen eingefahren . Das Heu wurde mit einem elektrisch betriebenen Greifer - kran in die oberen Etagen der Heuscheune gehievt . Auch ich kam an diesem heißen Tag zum Einsatz : Die Pferde mussten immer wieder mit „ Bremsenöl ” eingestrichen werden , um sie vor den riesigen Stechmücken ( Bremsen ) zu schützen . Das Mittel hatte einen penetranten Geruch und wurde von mir mit einer großen Gänsefeder auf das Fell der Pferde aufgetragen , Rücken und Kopf der beiden Braunen wurden von meinem Vater „ behandelt ”. Der Tag verlief für meinen Vater eher frustrierend , musste er doch einige neue Erkenntnisse verarbeiten , die ihm nicht allzu große Freude bereiteten . Aber mit dem kugelgelagerten „ Ais- Strafwogn ” wollte er es den „ Ungläubigen ” schon zeigen . Mutter musste unser mitgebrachtes Familienalbum herauskramen . Mit diesem bewaffnet machte er sich nach dem Abendessen auf den Weg in die Bauern-Wohnstube . Hier war die ganze Familie um den großen Tisch versammelt . Vater legte das aufwändig in Leder gebundene Album auf den Tisch und begann darin zu blättern . „ Hier , schauen sie , ist mein erwähnter Wagen !!” Der Altbauer war beeindruckt , besonders als Vater ihm die technischen Details des Wagens erklärte . Besonders die Töchter waren von dem schönen Album fasziniert und hatten beim Blättern auch noch andere Bil - der entdeckt , die sie unbedingt genauer betrachten wollten . Dazu wurde meine Mutter auch in die Bauernstube gebeten . Ich schloss mich ihr an . Jetzt kam es zu einem richtigen „ Bilder – Anschau - abend ”, und meine Eltern mussten alles den staunenden Töchtern erläutern . Einige Bilder , auf denen meine Mutter mit ihren Scho - rokscharer Freundinnen in „ Ballkleidern ” zu sehen waren , hatten es ihnen besonders angetan , waren diese doch koloriert !! So was hatten die Bauernmädchen noch nicht gesehen ! Vater erklärte ihnen , dass unser jüdischer Fotografenmeister Temler diese Tech - nik in Budapest erlernt habe und schon ab Mitte der Dreißi - gerjahre „ farbige Wunschbilder ” erstellte . Mutter wurde gefragt , ob sie von den Ballkleidern welche mitgebracht habe , und sie sagte den ( Alt- ) Mädchen , dass sie eines in altrosa und ein weiteres in hellblau mitgebracht habe – vor der Enteignung retten konnte !! Beide Kleider hätten einen überaus schönen weißen Spitzenkragen um das Dekolletè . Mutter sollte die beiden Kleider doch in die Stube hochbringen . Diesem Wunsche kam Mutter nach . Nachdem die Modelle bewundert und begutachtet waren , rückten Dora und Frida mit ihrem Vorhaben heraus : Ihr Bruder Kaspar würde am Monatsende seine Verlobte , die einzige Tochter eines großen Bauern aus einer Nachbargemeinde heiraten , und dies würde eine ganz große Bauernhochzeit werden . Sie beide hätten kein entsprechendes Festkleid und könnten sich gut vorstellen in den Scho -
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