Sonntagsblatt 1/2016 | Page 24

• Zum Feierabend • mein ( ungarn- ) deutschtum ( 22 )
Für den Institutsleiter , unmittelbar nach seinem Amtsantritt , war die Podiumsdiskussion ebenfalls ein Debüt . Michael Müller- Verweyen stellte György Dalos als einen intellektuellen Protago - nisten vor , der in Deutschland mitbestimmt . Der Historiker wurde am 3 . Oktober mit dem Verdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet . Es sei wichtig in Dialog zu treten , und in der Titelgebung der Reihe seien ja auch die Themen , „ über die man spricht ”, schon vorhanden . Auch der aus Graz stammende Historiker Gerhard Seewann ist mit zahlreichen Preisen – u . a . mit dem Minderhei - ten preis des ungarischen Ministerpräsidenten sowie mit der Ehren nadel in Gold für das Ungarndeutschtum – für seine Ver - dienste ausgezeichnet worden und ist ein Experte der Minder - heitenfragen in Ostmitteleuropa .
„ Bücher müssen nicht langweilig sein ” betonte Judit Klein . Sie zog in der Moderation Parallelen : zwei deutsche Gruppen , die sich im Osten ansiedeln , zwei Historiker , die nicht aus der Minderheit kommen und auch nicht zu der Titularnation gehören . György Dalos wies darauf hin , dass ihn das Ausprobieren von historischen Informationen an einem völlig neuen Stoff sehr reizte . Gerhard Seewann bezeichnete die Revolution von 1956 , die er als zwölfjähriger Junge mitbekommen hat , als erstes wichtiges Ereignis , das ihn politisch äußerst interessierte , Temeswar erlebte er später durch das Zusammenleben von sieben , acht Minderheiten als sehr spannenden Ort . Dalos empfand ebenfalls das Zusammenleben mehrerer Völker aus der Perspektive von dreihundert Jahren als ein richtiges Abenteuer .
Die Agenten , die um Ansiedler für das russische Zarenreich war ben , beschrieben das Klima dort wie das in Südfrankreich , er - zählte György Dalos , auf Herausforderungen der Ansiedler eingehend . Gerhard Seewann wies auf König Stephans I . Königs spiegel hin , im Testament wurde der Vielvölkerstaat mit vielen Minderheiten als Bereicherung verstanden , diese Auffassung erlitt mit dem Aufkommen des Nationalstaats eine völlige Abkehr , wodurch eine achthundert Jahre alte Tradition abgeschafft wurde .
Ein weiter Bogen der Geschichte der beiden deutschen Ge - mein schaften wurde gespannt , und obwohl Gerhard Seewann mein te , mit den Ungarndeutschen könne man besser ungarisch sprechen als deutsch , sind diese besprochenen Publikationen wichtige Ecksteine bei der Erschließung der Vergangenheit der Ungarndeutschen sowie der Rußlanddeutschen .
A . K . ( Quelle : Zentrum )

Josef Michaelis : Symbiose

Abgesehen von der Neuausgabe des Kin - derbuches Zauberhut ist seit 2004 kein Ge - dichtband von Josef Michaelis erschienen . 2015 ist seine neueste Sammlung mit dem Titel Symbiose veröffentlicht worden . Josef Michaelis ist 1955 in Schomberg /
Somberek in der Branau geboren . Seit 1976 verfasst er literarische Werke , Zauberhut , sein erster Band , erschien 1991 beim Lehrbuchverlag . Er ist Mitglied der Literatursektion des Verbandes Ungarndeutscher Autoren und Künstler und – neben anderen Auszeichnungen ( unter anderem dem Hauptpreis für Literatur der Donauschwä bischen Kul - turstiftung des Landes Baden-Württemberg und dem Minder - heitenpreis ) – Träger der Ehrennadel in Gold für das Ungarn - deutschum .
In der neulich erschienen Veröffentlichung sind neben Gedich - ten auch Rezensionen über Michaelis ’ Werke zu lesen . Das
Nach wort verfasste Gábor Kerekes , Dozent des Germanisti - schen Instituts der ELTE .
Das Buch empfehlen wir allen Liebhabern der ungarndeutschen Literatur . Josef Michaelis : Symbiose . – Eine Auswahl von Werken und Rezensionen – Budapest : Filantróp Társaság Barátság Egyesülete , 2015 ( 268 S .)

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Susanne Pfiszterer aus Schemling – eine ungarndeutsche Biografie
Ich bin gebürtige Schemlingerin , sowohl mütterlicher , als auch väterlicherseits ungarndeutscher Abstammung . Was das für mich bedeutet ?
Ich wuchs in der kleinen Ortschaft Schemling / Vértessomló im Komitat Komorn-Gran zweisprachig auf . Ich habe sogar die Urgroßeltern gekannt , ich habe unseren Dialekt gut verstanden , antwortete aber , besonders seit der Kindergartenzeit , eher ungarisch . Ich genoss die Geborgenheit , die ländliche Idylle , sang Volkslieder , tanzte auf Festen , hörte Märchen über die Esterházy- Familie . Ich konnte und könnte mir auch heute nicht vorstellen , das Dorf zu verlassen , mich irgendwo anders niederzulassen , bin mit Leib und Seele Schemlingerin . Ich pflege noch heutzutage zu erzählen , dass ich „ rechtzeitig ” geboren wurde . Ich erlebte noch die sogenannte „ schöne alte Zeit ”, wo man noch Zeit füreinander hatte , wo man sich der anderen Person annahm . Ich war draußen im Weingarten , habe fleißig mitgeholfen , aber das war ein Erlebnis , es wurde dabei erzählt und gesungen . Oma hatte auch Leckerbissen im Korb , oder ich wusste , nachher gibt es zu Hause etwas Feines . Ich weiß , wie unangenehm es ist , auf Stoppelfeldern zu marschieren , aber ich hatte Sandalen an ! Wie verwundert ich meine Leute anschaute , als mir klar gemacht wurde , dass sie als Kinder darauf barfuß gehen mussten . Ich hatte nie schwere Arbeit zu erledigen , litt nie Hunger . Ich hörte zwar des Öfteren den Satz aus der Rákosi-Ära : „ Kosche halten und éljen schreien !”, doch dachte mir nichts dabei . Ich verstand immer – in der gegebenen Situation –, worum es ging , man sollte lieber still bleiben , einverstanden und zufrieden sein . Man hat den Einwohnern unseres Dorfes gut beigebracht , nicht zu jammern , vieles lieber zu verschweigen . Erst als ich studierte , wurde mir bewusst , wie es einem früher erging , wenn man ungarndeutscher Abstammung war . Und hierbei denke ich nicht an Spott reime . Ich besuchte das Eötvös-Gymnasium in Totis / Tata , studierte dann an der Eötvös-Universität in Budapest Germanistik und Slawistik . Ich war nur einmal im Monat zu Hause , gebrauchte die Muttersprache wenig . Ich heiratete 1985 und lebe seit diesem Jahr wieder ununterbrochen in Schemling .
Frau Knipf und Frau Erb zogen Anfang der Neunziger durchs Land , und befragten Ungarndeutsche . Damals hatte ich noch die Hoffnung , dass alles erhalten bleibt , sowohl Sprache als auch alle Sitten und Bräuche . Man lernt nie aus . Heute würde ich sagen , es sieht nicht so rosig aus . Sogar in meiner Altersklasse gibt es wenige , die noch unsere Mundart fließend sprechen können . Die Jugend : Meine Kinder verstehen alles , aber unterhalten sich auf Deutsch . Andere können nicht einmal so viel . Immer seltener hört man alte Frauen die Mundart sprechen .
Ich bin fest davon überzeugt , dass man Menschen mit Visionen benötigt , solche , die an die Arbeit gehen , sich engagieren und dann auch andere mitreißen , um bewusst unsere Schätze zu pflegen und diese an die nächste Generation weiterzugeben .
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