Versöhnung heißt Erinnerung
und Aufrichtigkeit
Wie führende Politiker Versöhnung praktizieren
Das Geheimnis von Versöhnung ist Erinnerung im öffentlichen
Raum, sagte Hartmut Koschyk, der Beauftragte der Bundesre -
publik für die Vertriebene und Aussiedler bei der Gedenkfeier zur
Vertreibung der Ungarndeutschen am 19. Januar in Budaörs/
Wudersch. (Ungarn gedenkt der Vertreibung. FAZ 20. Januar
2016) Mit einer Kranzniederlegung und einer Ansprache nahm
auch Ministerpräsident Viktor Orbán an der Gedenkfeier teil. Es
war dies die erste Teilnahme, die erste öffentliche Ehrerbietung
eines Ministerpräsidenten gegenüber uns Ungarndeutschen. Lan -
ge musste die ungarndeutsche Minderheit darauf warten. Umso
größer war die Spannung und die Erwartung. Seit der politischen
Wende vor fünfundzwanzig Jahren haben vor Viktor Orbán be -
reits zwei führende ungarische Staatsmänner den Ungarndeut -
schen die öffentliche Reverenz erwiesen, was jedes Mal in
Enttäuschung endete.
1991 besuchte der erste frei gewählte Ministerpräsident József
Antall die vertriebenen Ungarndeutschen in Sindelfingen im
Haus der Donauschwaben. Groß war die Freude und groß die
Erwartung bei den Vertriebenen. In großer Zahl begrüßten sie
den populären Politiker, der maßgeblichen Anteil an der friedli-
chen politischen Umwälzung und an dem demokratischen
Neubeginn in Ungarn 1989/90 hatte. Gebannt hörten sie die mit-
fühlenden Worte des hohen Gastes aus Budapest, als er die
Vertreibung der Ungarndeutschen aus ihrer Heimat als Unrecht
brandmarkte, als er ihre Tugenden und Leistungen lobte. Es hätte
ein Fest der aufrichtigen Aussöhnung werden können, diese histo-
rische Begegnung der vertriebenen Ungarndeutschen mit dem
demokratisch legitimierten Ministerpräsidenten ihrer alten Hei -
mat. Es kam anders. Die Begegnung der Vertriebenen mit dem
ranghohen Gast aus ihrer Heimat mündete nach dem freundli-
chen Auftakt in seiner Ansprache in eine herbe Enttäuschung, als
Antall in seinem historischen Rückblick den entscheidenden Satz
sagte, die ungarische Politik könne nichts für das Unrecht, die
Siegermächte hätten Ungarn dazu (zur Vertreibung) gezwungen.
Der Auftritt Antalls wurde bei den Ungarndeutschen mit der sar-
kastischen Bemerkung kommentiert, er kam, sprach und log.
Der zweite ranghohe Besuch eines Staatsmannes bei den Un -
garndeutschen erfolgte durch Staatspräsident Árpád Göncz einige
Jahre später im Lenau-Haus in Fünfkirchen. Göncz kam zu einer
bedeutenden Feier der Ungarndeutschen nach Fünfkirchen, zur
Einweihung des Vertreibungsdenkmals im Lenauhof, mit dem an
die Verfolgung und Vertreibung der Schwaben nach dem Zweiten
Weltkrieg erinnert werden soll. Auch da war die Erwartung riesig.
Man gedachte zum ersten Mal öffentlich der verschleppten, ver-
triebenen und entrechteten Landsleute. Auch da lobte der Staats -
präsident die Ungarndeutschen, würdigte ihre Leistungen und
viele der anwesenden Schwaben hatten Tränen in den Augen. Die
einfühlsamen Worte des schöngeistigen Staatspräsidenten lösten
die über Jahrzehnte versteinerte Verbitterung in den Herzen der
Leidtragenden. Es hätte der emotionale Befreiungstag aller Un -
garn deutschen werden können, ein Befriedungstag mit ihrer Hei -
mat. Es kam anders. Anders, weil Göncz bei der Erklärung der
Ursache für die ungarndeutsche Tragödie der Wahrheit mit einer
täuschenden Metapher auswich, indem er „den Hagelschlag der
Geschichte, der die Ungarndeutschen hart traf” (wörtlich!), ver-
antwortlich machte. Nicht die ungarische Politik, soll die Ungarn -
deutschen gemeinschaftlich getroffen und vertrieben haben,
mussten wir uns anhören. Ein landesweiter Hagelschlag war es.
Und nun hat uns unser neuer Weltenlenker, Viktor Orbán die
Ehre erwiesen. In W udersch, am Vertreibungsdenkmal erhob er
urbi et orbi sein Wort. Ich nehme es vorweg: Auch er kam, sprach
und täuschte. Nach bekanntem Redemuster wurden zur Einstim -
mung Lobeshymnen auf die schwäbischen Tugenden, auf die gro-
ßen Aufbauleistungen vorgetragen. Es folgte der Übergang zu der
„schmerzhaften und unwürdigen Nachkriegszeit in der ungari-
schen Geschichte” und schon schnappte die Lügenfalle zu: Weil
Ungarn in jener Zeit nicht souverän war, kann die damalige Re -
gierung nicht verantwortlich gemacht werden für das Unrecht von
Vertreibung und Entrechtung. Die politischen Nachkriegent -
scheidungen lagen alleine in der Macht der Sowjetunion, impli-
zierte geschickt und ungeniert Viktor Orbán im Sinne seiner zum
Verfassungsrang erhobenen Unschuldsthese, wonach in Ungarn
vom 19. März 1944 (deutsche Besetzung) für alles die Deutschen
und nach Kriegsende bis 1989 für alles die Russen verantwortlich
sind, was an Unrecht im Lande geschah. Die eigene Nation blieb
unbefleckt! An der Entstehung dieser Legende, die in Wahrheit
eine plumpe Geschichtslüge ist und von der Geschichtsforschung
längst widerlegt wurde, haben über 70 Jahre von nationalpatrioti-
scher Verblendung und Verdrängung behaftete Akteure eifrig mit-
gewirkt. Die treu-gläubige Schar dieser Geschichtslegende findet
immer wieder neue populistische Verführer.
Dem Hinweis des eingangs zitierten Beauftragen der Bundes -
republik, Helmut Koschyk sollte aus ungarndeutscher Lebenser -
fahrung eine kleine, nicht unwesentliche Ergänzung hinzugefügt
werden: Das Geheimnis von gelungener Versöhnung ist Erin -
nerung und Aufrichtigkeit.
Dr. Johann Till
O
Glauben in der Muttersprache
ausüben können
Gespräch mit Bonnhards neuem Pfarrer Stefan Wigand
Mehr als zehn Pfarrer in der Diözese Fünfkirchen zogen in diesem
Sommer gleichzeitig in andere Gemeinden um. Manche lebten bis
dahin mehrere Jahrzehnte an einem Ort, betroffen waren auch meh -
rere ungarndeutsche Ortschaften. Pfarrer Stefan Wigand wurde aus
Nadasch nach Bonnhard versetzt. Der Referent für Nationalitäten
der Diözese Fünfkirchen zelebriert gerne deutsche Messen, auch
außerhalb seiner Kirchengemeinde, und kommt so den Bedürfnissen
der Gläubigen nach deutschsprachigen Messen nach. Eine genaue
Statistik über deutsche Messen in Ungarn gibt es bis heute nicht. NZ
befragte Pfarrer Wigand.
Hochwürden, in zahlreichen Religionsgemeinschaften wurden in
diesem Sommer die Pfarrer versetzt. Was alles änderte sich?
Es ist üblich, dass jedes Jahr einige Pfarrer, Priester oder Kapläne
in eine andere Ortschaft versetzt werden. Das ist jedes Jahr so.
Auch dieses Jahr gab es mehrere Veränderungen. Ich wurde aus
Nadasch nach Bonnhard versetzt.
Warum ist das notwendig?
Einige gehen in die Rente. Jedes Jahr werden – hoffentlich auch
in Zukunft – neue Priester geweiht, die brauchen eine neue Stelle.
Andere möchten eine kleinere Gemeinde haben, weil sie zu müde
sind und das nicht mehr machen können.
Das hat mehrere Auswirkungen sowohl auf den Priester als auch auf
die Kirchengemeinde. Wie ist Ihre Erfahrung?
Ein Umzug ist nie einfach, auch für eine Familie nicht. Da muss
man sehr viel organisieren, umdenken. Das ist in der Kirche auch
so. Wenn ein Pfarrer versetzt wird, muss er umziehen, er muss
(Fortsetzung auf Seite 18)
17